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PolitikEuropa

Proteste gegen Korruption und Oligarchie

13. Juli 2020

"Es ist eine kleine Gruppe von Menschen, die über Medien und Hinterzimmerdeals Politik und Justiz toxisch beeinflussen" - im DW-Interview rechnet Oppositionspolitiker Hristo Iwanow hart mit der bulgarischen Regierung ab.

Bulgarien Politiker Hristo Iwanow
Oppositionspolitiker Hristo Iwanow will einen Neustart in BulgarienBild: BGNES

Der ehemalige bulgarische Vizepremier (2014) und Justizminister (2014-2015) Hristo Iwanow hat letzte Woche (7. Juli) mit einer spektakulären Aktion an der Schwarzmeerküste einen politischen Volltreffer gelandet. Mit einem Motorboot und zwei politischen Weggefährten wollte er neben der Luxusresidenz eines der einflussreichsten Männer in Bulgarien an Land gehen, um auf die gesetzwidrig abgeriegelte öffentliche Einrichtung und auf die dort rechtswidrig eingesetzten staatlichen Bodyguards aufmerksam zu machen. In der Residenz versteckt sich seit Jahren der als Strippenzieher der bulgarischen Politik bekannte Ahmed Dogan, Ehrenvorsitzender der Parlamentspartei "Bewegung für Rechte und Freiheiten" und politischer Mentor des Abgeordneten und Oligarchen Deljan Peewski. Dieser ist einer der reichsten Männer in Bulgarien und kontrolliert gleichzeitig ein Imperium von Boulevardmedien, die von Reporter ohne Grenzen und anderen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert werden. In letzter Zeit unterstützt Peewski den konservativen Ministerpräsidenten Boiko Borissow.

Ahmed Dogan ist Ehrenvorsitzender der Partei "Bewegung für Rechte und Freiheiten"Bild: BGNES

Die Aktion von Hristo Iwanow, die auf Facebook mehr als eine Million Zuschauer gefunden hat, löste in Bulgarien Massenproteste gegen Korruption, Oligarchie und Regierung aus. In der Hauptstadt Sofia forderten mehr als 3.000 vor dem Parlament versammelte Demonstranten am Sonntag den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Auch in anderen bulgarischen Städten demonstrierten hunderte Menschen gegen die Regierung.

Ausgelöst wurden die Proteste nicht nur durch Iwanows Landung an der Schwarzmeerküste, sondern auch durch Razzien am Amtssitz des Präsidenten Rumen Radew. Dabei wurden ein Anti-Korruptionsbeauftragter und ein Sicherheitsberater des Staatschefs vorläufig für Befragungen festgenommen. Der von den Sozialisten unterstützte Präsident Radew ist ein vehementer Kritiker von Borissow und dessen Regierung, denen er "Verbindungen zu Oligarchen" vorwirft. In einer Fernsehansprache am Samstag kritisierte Radew das "mafiöse" Gebaren der Regierung und forderte sie zum Rücktritt auf.

Am Rande der regierungskritischen Proteste in Sofia wurden zwei Demonstranten und vier Polizisten verletzt. An diesem Montag soll eine weitere Demonstration in der Hauptstadt stattfinden. Für Donnerstag riefen die Organisatoren zu landesweiten Kundgebungen auf.

Proteste gegen die Regierung Borissow in SofiaBild: BGNES

Forderung nach Neustart

DW: Herr Iwanow, was geschieht gerade in Bulgarien?

Hristo Iwanow: Es ist der Ausbruch einer sich lange angehäuften Empörung gegen die Korruption und die Arroganz der Macht, gepaart mit der Angst vor der kommenden schlimmen Wirtschaftskrise. Viele Menschen von unterschiedlicher politischer Couleur sind mit der Forderung nach einem moralischen und politischen Neustart auf die Straße gegangen. Diese Menschen sind wütend auf die arrogante Machtdemonstration der Staatsanwaltschaft, die sich eindeutig politisch positioniert und das Gesetz bricht.

Die Menschen protestieren auch gegen die Oligarchie in Bulgarien. Wer ist diese "Oligarchie"?

Diese Frage kann nur ein Gericht nach einem fairen Prozess im Einklang mit den europäischen Standards beantworten. Auch die Menschen auf der Straße verstehen das, wenn sie gegen den Generalstaatsanwalt mit Sprechchören protestieren. Das ist ein starkes Signal an unsere europäischen Partner, die endlich ihre Augen für die Entwicklungen in Bulgarien öffnen sollten. Die eindeutig proeuropäische Einstellung der Bulgaren entspringt eigentlich aus der Hoffnung, dass die EU die europäischen Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in Bulgarien durchsetzen kann. Und wenn man in Europa von den Handlungen der bulgarischen Regierung und von Borisow weiterhin nur wegschaut, führt dies zu einer tiefen Demoralisierung der bulgarischen Gesellschaft.

Premier Borissow lehnt Rücktrittsforderungen abBild: BGNES

Die Proteste richten sich auch gegen zwei Politiker einer kleinen im Parlament vertretenen Partei - die Bewegung für Rechte und Freiheiten (BRF), die sich ursprünglich für die Rechte der türkischsprachigen bulgarischen Moslems einsetzte. Sie, Herr Iwanow, haben letzte Woche eine spektakuläre Aktion durchgeführt und landeten mit einem Boot am Strand der Residenz des BRF-Ehrenvorsitzenden Ahmed Dogan. Von ihm heißt es, er sei der Mentor einer Schlüsselfigur in der bulgarischen Politik - Deljan Peewski, Abgeordneter, Geschäftsmann und Medienboss. Warum sind gerade diese zwei Politiker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten?

Es ist eine kleine Gruppe von Menschen, die seit Jahren über Medien und Hinterzimmerdeals die bulgarische Politik und die Justiz toxisch beeinflussen. Unser Protest am Strand der Residenz, die illegal von der Außenwelt abgeschirmt und vom staatlichen Personenschutz bewacht wird, hat deutlich gezeigt, dass es sich dabei nicht um eine Konfrontation mit den türkischsprachigen Bulgaren, sondern um die Korruption in der bulgarischen Politik geht. Sowohl die Demonstranten, als auch die angereisten BRF-Anhänger waren sich letztendlich einig: es geht darum, dass die Gesetze in Bulgarien für alle gelten. Die Protestierenden sind der Meinung, dass Herr Dogan und Herr Peewski seit Jahren gegen alle Gesetze im Lande immun sind, dass sie sogar die ganze Zeit von den staatlichen Institutionen bedient werden. Dadurch bekommen die zwei Herrschaften einen immer grösseren Einfluss auf Politik, Wirtschaft, Medien und Justiz in Bulgarien. So richten sich die Proteste letztendlich gegen die Regierung, weil die politische Verantwortung für diese toxischen Entwicklungen von der Regierungspartei GERB und von Premier Boiko Borissow getragen wird.

Miserable Lage der Rechtsstaatlichkeit

Es wird zurzeit sehr viel auch über die Konfrontation zwischen Premier Borissow und Staatspräsident Radew, der von den Sozialisten unterstützt wird, gesprochen.

Diese Konfrontation gibt es zwar, weil Radew den richtigen Moment für eine Attacke gegen Borissow gesehen hat. Darum geht es aber nicht. Die heutige politische Krise wurzelt in der miserablen Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Institutionen in Bulgarien, die während der langjährigen Regierungszeit von Borissow entstanden ist. Staatspräsident Radew versucht also die Wut der Menschen auf die Ungerechtigkeit und Rechtlosigkeit im Lande zu kanalisieren.

Präsident Radew bei den Demonstranten in Sofia (9. Juli 2020)Bild: Reuters/S. Nenov

Aber Sie selbst sehen sich wohl in einer vergleichbaren Position, als Leitfigur der Proteste. Ist das Ihr politisches Projekt und was erwarten Sie in den nächsten acht bis neun Monaten bis zur Parlamentswahl?

Mein persönliches politisches Projekt ist eigentlich die Causa des ganzen öffentlichen Lebens in Bulgarien. Ich plädiere für eine tatsächliche Justizreform in Bulgarien, damit das Land endlich die EU-Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erreichen kann. Bulgarien wurde 2007 allein dank eines Kompromisses EU-Mitglied und bleibt weiterhin hinter den vereinbarten Standards zurück. Das ist mein politisches Projekt, das nur auf einem breiten politischen Konsens zur Justizreform erfolgreich umgesetzt werden kann. Dies gilt vor allem für die Staatsanwaltschaft in Bulgarien, die sofort einer transparenten demokratischen Kontrolle unterzogen werden müsste. Dieser Konsens kann nur auf einem demokratischen Weg erreicht werden: durch demokratische Parlamentswahlen.