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Türkei: Menstruationsartikel sind kein Luxus

19. Januar 2022

Die Initiative "Campushexen" setzt sich in der Türkei für Frauenrechte ein. Seit Monaten fordern sie die umgehende Abschaffung der sogenannten Tamponsteuer, denn die Preise für Menstruationsartikel steigen immer weiter.

Markenzeichen der "Campushexen": ihre pink- oder lilafarbenen Hexenhüte, die sie bei ihren Veranstaltungen und Protesten tragen.
Markenzeichen der "Campushexen": ihre pink- oder lilafarbenen Hexenhüte, die sie bei ihren Protesten tragen. Bild: Kampüs Cadıları

Mitte Januar in Izmir: 20 Studentinnen stehen vor dem Finanzamt der westlichen Hafenmetropole, halten zwei weiße überdimensional große Damenslips mit roten Flecken hoch und skandieren laut: "Wir können keine Damenbinden mehr kaufen, wir können uns noch nicht mal zwei Mahlzeiten am Tag leisten."

"Campushexen" nennt sich die Initiative, die sich vorwiegend an türkischen Hochschulen organisiert. Die Gruppe setzt sich für die Rechte von Frauen und Mädchen ein. Ihr Markenzeichen sind ihre pink- oder lilafarbenen Hexenhüte, die sie bei ihren Veranstaltungen und Protesten tragen. Auch bei der Demo vor dem Finanzamt in Izmir.

Die Gruppe organisierte in den vergangenen Monaten vor allem Proteste gegen den drastischen Preisanstieg von Damenhygieneprodukten in der Türkei. Ihre Forderung an die Politik: die Mehrwertsteuer von 18 Prozent auf Menstruationsartikel abzuschaffen. Menstruation gehöre nun mal zur Natur der Frauen und die Produkte für die monatliche Blutung seien keine Luxusware. Im Gegenteil, eher ein Grundbedürfnis. Daher sollte der Staat sie eigentlich kostenlos zur Verfügung stellen.

Die Aktivistinnen fordern ein Ende der Besteuerung für MenstruationsartikelBild: Imago Images/Science Photo Library

Die "Campushexen" und andere Frauengruppen verstärken in den letzten Monaten ihre Kampagnen für die Versorgung der Frauen mit kostenlosen Menstruationsprodukten. Mit Solidaritätsboxen in den Damentoiletten der Hochschulen oder anderen öffentlichen Orten versuchen sie sich seit Jahren gegenseitig zu unterstützen. Wer Damenbinde oder Tampons übrig hat, kann sie in diese Boxen einwerfen. Wer sie gerade benötigt, aber knapp bei Kasse ist, kann sich dort bedienen.

Menstruationsprodukte in schwarzen Tüten

Leylanur Mavili, Studentin an der Universität Ankara, beklagt, dass das Geld in ihrem Geldbeutel Monat für Monat an Wert verliert. Im Durchschnitt benötige die junge Frau 20 bis 25 Binden. Das ist mehr als eine Packung pro Monat. "Die Markenprodukte kosten rund 50 Türkische Lira", erzählt die junge Frau. Das sind gut 3,20 Euro (Stand 19.1.2022). Natürlich kaufe sie nur noch die billigsten, eine andere Wahl bliebe ihr nicht.

Auch die Jurastudentin Zeynep Kurt von der Universität Ankara erzählt der ANKA, wie schwer es geworden sei, überhaupt über die Runden zu kommen. "Ich bekomme ein staatliches Stipendium in Höhe von 800 Lira im Monat und 50 Lira davon muss ich für die Damenbinden ausgeben", beschwert sich Kurt.

Seit ihrer Kindheit erlebe sie, dass die Menstruationsprodukte nicht in die Öffentlichkeit gehörten. An der Kasse der Drogeriemärkte würden sie in schwarze Tüten gepackt, als ob Frauen sich dafür schämen müssten, ihre Periode zu bekommen. Dazu kommt: Sie werden daher auch nicht überall angeboten, auch nicht in den Shops der Hochschulen. 

Rekordinflation in der Türkei

Die andauernde Krise der türkischen Landeswährung Lira treibt die Preise in der Türkei seit Monaten in die Höhe. Nach offiziellen Angaben lag die Inflation im Dezember bei mehr als 36 Prozent. So hoch wie seit 19 Jahren nicht mehr. Auch die Preise für Gas und Strom wurden zum Jahresbeginn drastisch angehoben - für Verbraucher um 50 Prozent, für Unternehmen sogar um mehr als 100 Prozent.

Die Mehrheit der Bevölkerung leidet unter der Teuerungsspirale. Sie kann sich, wenn überhaupt, mit Mühe die Grundnahrungsmittel leisten. In Ankara und Istanbul werden die Schlangen vor Brotausgabestellen der Stadtverwaltungen immer länger. Dort werden Backwaren von den Behörden subventioniert angeboten. Auf Wochenmärkten sieht man häufiger Menschen - besonders ältere - die am Ende des Tages auf dem Boden und in den Müllcontainern nach verwertbarem Obst und Gemüse suchen.

Türkei: Die Not der Müllsammler

05:17

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Immer mehr Supermärkte befestigen an gewöhnliche Alltagsprodukte wie Babynahrung, Kaffee oder Käse zusätzlich Alarmkabel, um potentielle Diebe abzuschrecken.

Laut der türkischen Statistikbehörde TÜIK sind Damenbinden im vergangenen Jahr um mehr als 50 Prozent teurer geworden. Nach Angaben der türkischen Nichtregierungsorganisation "Netzwerks tiefe Armut" können sich 82 Prozent derzeit keine Menstruationsartikel mehr leisten. Für ihre Studie haben die Armutsforscher Interviews mit 103 Familien geführt.

Irmak Sarac, Frauenärztin und Ehrenmitglied des Türkischen Ärzteverbands (TTB), beschrieb der türkischen Nachrichtenagentur ANKA die Umstände für Frauen in der saisonalen Landwirtschaft als unzumutbar: "Wir hören, dass die Frauen dort für ihre monatliche Blutung Blätter nehmen und darauf saubere Erde legen", so Sarac. Auch sie ist der Meinung, dass solche Produkte gerade den Bedürftigen vom Staat zur Verfügung gestellt werden sollten. 

Menstruation immer noch ein Tabuthema

Menstruation ist immer noch für viele ein Tabuthema in der Türkei. In der breiten Öffentlichkeit wird eher darüber geschwiegen. Umso beachtlicher ist der Mut dieser Frauen, die derzeit offen das Problem ansprechen, und lautstark ihre Forderungen zum Ausdruck bringen.

Türkei: Frauen wehren sich

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Mit der wachsenden Armut im Land steigt auch die Kritik der Politik. Davon bleibt auch die Familien- und Sozialministerin Derya Yanik nicht verschont. Sie gerät derzeit immer wieder unter öffentlichen Druck. Bei einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche, räumte sie ein, dass sie auch aufgrund der steigenden Preise für Windeln Beschwerden aus der Bevölkerung erhalte. Sie könne sich vorstellen, sich intensiver mit dem Thema zu befassen, hieß es.

Ob die 18 Prozent Mehrwertsteuer für Menstruationsartikel gesenkt, abgeschafft oder ob die Artikel teilweise kostenlos zur Verfügung gestellt werden, ist ungewiss.

Dafür wollen die "Campushexen" auf jeden Fall weiterkämpfen. Nicht nur in Izmir, sondern im ganzen Land. "Wir sind für die Wirtschaftskrise nicht verantwortlich. Wir wollen die Konsequenzen nicht tragen", skandieren die jungen Frauen lautstark vor dem Finanzamt von Izmir: "Binden und Tampons sind kein Luxus, sondern Grundbedürfnis."

Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas