Proteste in Israel: Hunderttausende verlangen Kriegsende
18. August 2025
In ganz Israel haben am Sonntag Israelis ihre Solidarität mit den Geiseln gezeigt, die seit fast zwei Jahren von der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen festgehalten werden. Nach Angaben der Organisatoren beteiligten sich landesweit fast eine halbe Million Menschen an Streiks und Protestaktionen. Allein im Zentrum von Tel Aviv versammelten sich am Abend mehr als 200.000 Demonstrierende. Sie forderten lautstark die Freilassung der Geiseln und ein Ende des Israel-Hamas-Krieges. Mehrere wichtige Verkehrsachsen wurden blockiert, während in Jerusalem und Tel Aviv zahlreiche Geschäfte geschlossen blieben.
Das Forum der Geiselangehörigen hatte für Sonntag, dem Beginn der israelischen Arbeitswoche, zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Das Land solle an diesem Tag "lahmgelegt" werden, hieß es im Vorfeld. Bereits am Morgen blockierten Demonstrierende Straßen im ganzen Land, darunter auch die Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Sie schwenkten israelische Flaggen sowie gelbe Fahnen als Symbol der Solidarität mit den Geiseln. Bilder in israelischen Medien zeigten brennende Reifen und kilometerlange Staus. Die Polizei nahm mehr als 30 Menschen fest und setzte in Jerusalem Wasserwerfer ein.
Der mächtige Gewerkschaftsbund "Histadrut" beteiligte sich zwar nicht am Streik, äußerte jedoch Verständnis. Viele Unternehmen, Kommunen und auch die beiden großen Theater in Tel Aviv stellten den Betrieb ein.
Regierung plant Einnahme von Gaza-Stadt
Am Abend forderten Redner auf der Großkundgebung in Tel Aviv ein Ende des Krieges und die sofortige Freilassung der Geiseln. "Bringt sie alle nach Hause!", "Beendet den Krieg!", skandierte die Menge. Redner warfen der Regierung vor, nie ernsthaft ein umfassendes Abkommen zur Freilassung verfolgt zu haben. "Sie machte aus dem am meisten gerechtfertigten Krieg einen falschen", sagte Einav Zangauker, deren Sohn Matan eine der noch lebenden Geiseln ist.
Die israelische Armee will nach eigenen Angaben die Stadt Gaza und im Zentrum des Gazastreifens liegende Flüchtlingslager einnehmen. Die Familien der Geiseln befürchten, dass die Ausweitung des Einsatzes zum Tod ihrer festgehaltenen Angehörigen führen könnte.
Der israelische Armeechef Ejal Samir gab am Sonntag die Genehmigung der "nächsten Phase" der Pläne zur Einnahme der Stadt Gaza bekannt. Diese sehen laut Medienberichten eine Evakuierung der Bewohner der Stadt und eine anschließende Umzingelung und Eroberung vor. Die Armee werde ihre Einsätze nun auf die Stadt Gaza "konzentrieren", um die radikalislamische Hamas "entscheidend" zu schlagen, hieß es in einer Erklärung der Armee. Die Hamas wird von zahlreichen Ländern weltweit als Terrororganisation eingestuft. Zehntausende Reservisten der israelischen Streitkräfte werden nach israelischen Medienberichten für die Einsätze einberufen werden.
Auch vor der Residenz des israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu in Jerusalem versammelten sich dutzende Demonstranten und forderten den Ministerpräsidenten auf, den Krieg zu beenden und "alle zurückzuholen". Sie hielten Fotos von Geiseln in die Luft und schwenkten israelische und gelbe Fahnen, die symbolische Farbe der Geiseln. Auf dem sogenannten "Platz der Geiseln" am Kunstmuseum in Tel Aviv, der seit Beginn des Krieges im Gazastreifen zu einem Symbol geworden ist, wurde eine riesige israelische Flagge mit Porträts von Entführten aufgehängt.
Die Tante von Geisel Alon Ohel, der auch deutscher Staatsbürger ist, sagte auf dem "Platz der Geiseln": "Unser Alon befindet sich vierzig Meter unter der Erde. Er ist in Ketten gefesselt, schwer verwundet und verliert wahrscheinlich sein Augenlicht. Er leidet unter schweren Kopfverletzungen und Splittern im ganzen Körper, und er ist allein. Er ist hungrig, ihm ist heiß, und er ringt nach Atem. Er schwebt in unmittelbarer Lebensgefahr - rettet ihn!" Mehrere ehemalige Hamas-Geiseln, die während einer Waffenruhe im Frühjahr freigekommen waren, hielten ein Spruchband mit der Aufschrift: "Bringt sie jetzt heim!"
Netanjahu wirft Demonstranten Stärkung der Hamas vor
Premierminister Netanjahu verurteilte die Kundgebungen. Er warf den Demonstranten vor, "nicht nur die Position der Hamas zu stärken und die Freilassung unserer Geiseln zu verzögern, sondern auch dafür zu sorgen, dass sich die Gräueltaten des 7. Oktober wiederholen". Die Hamas und mit ihr verbündete militante Gruppen hatten mit ihrem Großangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 den Krieg im Gazastreifen ausgelöst. Bei dem Angriff wurden nach israelischen Angaben mehr als 1200 Menschen getötet, 251 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer hält die Hamas rund 50 Geiseln in ihrer Gewalt. Jedoch sind nur etwa 20 von ihnen nach Einschätzung der israelischen Armee am Leben.
Israel geht seit dem Hamas-Großangriff massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden bislang mehr als 61.900 Menschen getötet. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, werden von den Vereinten Nationen aber als realistisch eingestuft. Indirekte Verhandlungen Israels und der Hamas um ein Ende des Krieges und die Freilassung der Geiseln kommen nicht voran.
Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog besuchte den "Platz der Geiseln" im Tel Aviver Stadtzentrum und forderte internationale Entscheidungsträger dazu auf, Druck auf die Hamas auszuüben, damit diese die Geiseln freilässt. "Ich will der Welt sagen: Hört auf mit der Heuchelei!"
pgr/se/ack (afp, dpa, rtr)