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PolitikAsien

Kasachstan: Putins Albtraum - oder Chance?

Roman Goncharenko | Emily Sherwin | Olga Sosnytska
7. Januar 2022

Russland will die Regierung von Kasachstan stützen und schickt Militär. Für Präsident Putin geht es um mehr als nur seinen Einfluss in einem Partnerland, das gerade von Unruhen erschüttert wird.

Wladimir Putin und Qassym-Schomart Toqajew
Russlands Präsident Wladimir Putin (r) mit dem kasachischen Präsidenten Kassym-Jomart Tokajew (28.12.2021)Bild: Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Wie wichtig ist Kasachstan für Russland? Eine Zahl macht es deutlich: Die gemeinsame Grenze zwischen den beiden früheren Sowjetrepubliken ist rund 7600 Kilometer lang. Es ist eine der längsten Landesgrenzen weltweit. Doch es kommt nicht nur auf die Länge an. Die benachbarten Regionen sind seit der Sowjetzeit militärisch wichtig. Beispiele sind das Raketentestgelände Kapustin Jar, das teilweise in Kasachstan liegt, oder die vielen Waffenschmieden am und hinter dem Ural. Geopolitisch betrachtet Russland Kasachstan - wie die gesamte Region - als seinen Hinterhof.

Als Moskau am Donnerstag dieser Woche Fallschirmjäger nach Kasachstan schickte, um der dortigen Regierung bei der Niederschlagung der Proteste zu helfen, ging es auch um Eigeninteressen. Der Einsatz wird zwar eingebettet in eine  sogenannte "Friedensmission" der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit, eines von Russland dominierten Militärbündnisses ehemaliger Sowjetrepubliken.

Die Parole heißt: durchgreifen - Militär in Almaty am 6. Januar 2022Bild: Mariya Gordeyeva/REUTERS

Die Unruhen in Kasachstan seien jedoch eine "ernsthafte Bedrohung" für Russland selbst, sagte der russische Politik-Experte Nikolaj Petrow im DW-Gespräch. Die russisch-kasachische Grenze sei wegen ihrer Länge "nicht besonders gut geschützt".

Russische Interessen in Kasachstan: Raumfahrt, Öl, Uran

Die Bedeutung Kasachstans für Russland ist kaum zu überschätzen. Es ist die größte und reichste ehemalige Sowjetrepublik in Zentralasien, die außerdem mit Moskau am engsten verbunden ist. Kasachstan trieb zusammen mit Russland und Belarus die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion nach EU-Vorbild voran, eines Prestigeprojekts des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Nach offiziellen Angaben waren Kasachen im Jahr 2020 mit mehr als 60.000 Personen die größte Gruppe unter ausländischen Studenten an russischen Hochschulen. In Umfragen des renommierten Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum bewertete rund ein Drittel der Russen Kasachstan wiederholt als das zweitfreundlichste Land nach Belarus. 2014 wurde es von China überholt und rangiert seitdem an dritter Stelle.

Ein russisches Raumschiff startet in Baikonur, Dezember 2021Bild: Shamil Zhumatov/REUTERS

Im Dezember vermeldete der russische Ministerpräsident Michail Mischustin beim Treffen mit seinem damaligen kasachischen Kollegen Askar Mamin Rekordumsätze im Handel. Die aus Moskauer Sicht strategisch wichtigste Zusammenarbeit betrifft die Raumfahrt. Kasachstan erbte von der Sowjetunion den Weltraumbahnhof Baikonur, den Russland für 115 Millionen US-Dollar im Jahr pachtet. Moskau hat inzwischen einen eigenen Weltraumbahnhof im fernen Osten in Betrieb genommen, will aber Baikonur weiter nutzen.

Einige russische Ölfirmen sind im rohstoffreichen Kasachstan aktiv - genauso wie US-amerikanische. Auch am Uranabbau in Kasachstan ist Russland beteiligt und hofft, bald ein erstes Atomkraftwerk dort zu bauen. Der Strombedarf in Kasachstan war jüngst stark gestiegen, das Land bat Russland um Hilfslieferungen.

Ein Experte des Russischen Rates für Außenpolitik (RSMD), einer regierungsnahen Moskauer Denkfabrik, stellte allerdings in einer Analyse fest, dass Russland "kein attraktives Modell" für Kasachstans soziale und wirtschaftliche Entwicklung sei. Die politische Führung und die Gesellschaft des zentralasiatischen Landes hätten "andere Vorbilder", von Europa über die Türkei bis nach Singapur.

Will Russland Nordkasachstan annektieren wie die Krim? 

Anders als Belarus ist Kasachstan nicht von russischen Krediten abhängig und bemühte sich trotz des engen Verhältnisses um eine gewisse Distanz zu Moskau. Entsprechend kritisch wurde in Russland die Entscheidung bewertet, das kasachische Alphabet von kyrillischen auf lateinische Buchstaben umzustellen.

In den nördlichen Provinzen Kasachstans leben rund 3,5 Millionen ethnische Russen, bei einer Gesamtbevölkerung von rund 19 Millionen Menschen. In beiden Ländern wird seit Jahren darüber spekuliert, ob Russland diese Gebiete ähnlich wie die ukrainische Halbinsel Krim annektieren könnte. Der Präsident Kassym-Jomart Tokajew dementierte 2019 in einem DW-Interview solche Befürchtungen. Das Verhältnis seines Landes zu Russland sei "absolut vertrauensvoll und nachbarschaftlich".

Bewertet das Verhältnis zu Russland als "vertrauensvoll": Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokajew Bild: Alexei Nikolsky/Kremlin/REUTERS

Wie spannungsgeladen das Thema ist, zeigte sich Ende 2020. Der russische Duma-Abgeordnete Wjatscheslaw Nikonow bezeichnete Kasachstans Territorium als "ein großes Geschenks seitens Russland". Das kasachische Außenministerium protestierte, Nikonow ruderte zurück, Tokajew schrieb einen Artikel und verteidigte Kasachstans Unabhängigkeit. 

Jetzt wird vor allem in sozialen Netzwerken erneut über Russlands Vorgehen in Kasachstan diskutiert. Putin könne die Entsendung der Truppen als eine Chance ergreifen, um russische Präsenz dort aufzubauen, so eine gängige Meinung. Russland hat derzeit keine Stützpunkte in Kasachstan.

Die Angst vor den bunten Umbrüchen

Die Unruhen in Kasachstan sind jedenfalls ein Albtraum für den russischen Präsidenten. Der Kreml nennt solche Ereignisse "farbige Revolutionen" - nach dem Vorbild der Rosenrevolution in Georgien und der Orangen Revolution in der Ukraine. Moskau wirft dem Westen vor, dahinter zu strecken.

Einen erfolgreichen Aufstand gab es zuletzt 2018 in Armenien, das mit Russland eng verbunden ist. In Belarus konnte sich der Machthaber Alexander Lukaschenko 2020 mit Gewalt an der Macht halten. "Alle großen Nachbarn Russlands sind erschüttert worden von sozialen Unruhen", so der Russland-Experte Hans-Henning Schröder gegenüber  der DW. "Da würde ich mir als jemand, der im Kreml sitzt, schon Gedanken darüber machen, ob Russland das nächste Land ist."