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Proteste in Kenia: Regierung nimmt Pressefreiheit ins Visier

Veröffentlicht 27. Juni 2025Zuletzt aktualisiert 28. Juni 2025

Als am Mittwoch junge Kenianer gegen autoritäres Gebaren demonstrierten, wurde den Medien untersagt, live zu berichten. Für Beobachter ein gefährlicher Präzedenzfall - und zugleich ein Momentum für die Demokratie.

Ein Mensch mit einer Maske über dem Gesicht in den Farben der kenianischen Fahne reckt beide Arme weit auseinander in die Höhe
Viele Anhänger der "Gen Z"-Protestbewegung in Kenia haben kein Verständnis für das einstweilige Verbot der Medienaufsicht, das sich gegen Live-Berichterstattung richtete - und per Eilentscheid widerrufen wurdeBild: John Muchucha/REUTERS

Der Tränengas-Nebel hat sich gelichtet nach den landesweiten regierungskritischen Protesten vom 25. Juni in Kenia. Die erschütternde Bilanz: 19 Demonstranten sind laut Amnesty International getötet worden, allesamt durch Schüsse, mindestens 500 wurden verletzt. Nach Angaben lokaler Journalisten hatte die Polizei nicht nur Tränengas und Gummigeschosse, sondern vielfach auch scharfe Munition eingesetzt. Aber auch von einzelnen Demonstranten soll Gewalt ausgegangen sein; zudem wurden unter anderem in der Hauptstadt Nairobi Geschäfte geplündert.

Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte an diesem heftigen Protesttag hat bei Beobachtern die Sorge um die Meinungsfreiheit in Kenia verstärkt. Dazu kam eine Eilanweisung der Medienregulierungsbehörde KCA, die die Live-Berichterstattung von den Protesten untersagte - mit Verweis auf einen Absatz der Verfassung, der Anstachelung zur Gewalt von der Meinungsfreiheit ausnimmt. Richter widerriefen diese Anweisung zwar umgehend. Doch allein der Versuch, Berichterstattung zu unterbinden, hat Schaden angerichtet.

Zunehmende Entfremdung zwischen Regierung und Jugend

Muthoki Mumo beobachtet von Nairobi aus für die Pressefreiheits-NGO Committee for the Protection of Journalists (CPR) die Lage in Subsahara-Afrika. Sie glaubt, die KCA wurde hier als politische Waffe eingesetzt: "Aus Erfahrung können wir sagen, dass diese Regierung abweichende Meinungen nicht gut annehmen kann und nicht gut auf die Kritik Tausender junger Menschen reagiert hat, die über das letzte Jahr auf die Straße gegangen sind. Dazu passt auch diese Eilanweisung", sagt sie im Gespräch mit der DW.

Eine ähnliche Anordnung der KCA habe es auch 2018 unter Präsident William Rutos Vorgänger Uhuru Kenyatta gegeben; erst im November 2024 habe der High Court unmissverständlich geklärt, dass die KCA gar keine Befugnis hat, Live-Berichterstattung zu unterbinden.

Seit einem Jahr entfremden sich die Regierung und die junge Generation zunehmend - und das immer konfrontativer. Die "Generation Z", geboren in den späten 1990er- bis frühen 2010er-Jahren, stellt das Gros der Protestteilnehmer.

Am 25.06.2024 stürmten Demonstranten das Parlament - in den Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften waren damals 60 Menschen getötet wordenBild: LUIS TATO/AFP

Im Juni 2024 richteten sich die ersten großen "Gen Z"-Proteste zunächst gegen ein geplantes Steuergesetz. Schnell ging es um die wirtschaftliche Lage insgesamt, um einen Mangel an Chancengleichheit - und um Unzufriedenheit mit Ruto, der die Wahl 2022 mit sozialpolitischen Versprechen gewonnen hatte, aber bislang die finanziellen Belastungen der meisten Familien nicht verringern konnte.

Ein Zensurversuch und Gewalt gegen Journalisten

"Die Medien abzuschalten, einfach nur weil sie berichten, was die Menschen auf der Straße sagen - das ist fast schon ein Versuch, den wahren Grund für den Unmut im Land zu vertuschen", sagt Irũngũ Houghton, Direktor der Kenia-Sektion von Amnesty International, im Gespräch mit der DW. Außerdem seien die Informationen aus Live-Sendungen wichtig etwa für die Einsatzkoordination von Notfallsanitätern oder auch für Zivilisten, die möglichen Eskalationen aus dem Weg gehen wollten.

Dieser Gefahr sind auch Journalisten und Blogger ausgesetzt. CPR-Repräsentantin Muthoki Mumo sind in den letzten Monaten immer wieder Fälle zu Ohren gekommen, in denen Sicherheitskräfte Journalisten angriffen - wie jener der Reporterin Catherine Wanjeri, die bei Protesten in der zentralkenianischen Stadt Nakuru mit Gummigeschossen attackiert wurde, obwohl sie eindeutig als Journalistin zu erkennen war. "Ich bin skeptisch, wenn ich höre, dass die Journalisten bei all diesen Fällen einfach nur zwischen die Fronten geraten sein sollen", sagt Muthoki Mumo.

In Nairobi und andernorts eskalierten die Proteste - laut Amnesty International wurden 19 Tote landesweit registriert, die staatliche Menschenrechtskommission KNCHR sprach zuletzt noch von 16 TotenBild: Luis Tato/AFP/Getty Images

"Erstens gibt es immer wieder Beweise, dass Journalisten klar zu erkennen waren und trotzdem gewaltsam angegangen wurden. Und zweitens, selbst wenn sie einfach nur dazwischengeraten wären, heißt das, dass die Polizei einen Zivilisten angegriffen hätte. Und das ist keine gute Verteidigung, sondern deutet auf eine Kultur der Gewalt und der Straflosigkeit hin."

Auch Aktivisten leben gefährlich

Im vergangenen Jahr habe sich nicht nur die Lage der klassischen Presse deutlich verschlechtert, sagt Amnesty-Direktor Houghton. "Das hat sich auch auf Individuen ausgeweitet, die in sozialen Netzwerken unterwegs sind. Jemand mit 30.000 bis 40.000 Followern wird zum Ziel, weil er einen Kommentar über eine mächtige Person abgegeben oder zu einer Demonstration wie der am Mittwoch aufgerufen hat."

"Wenn der Staat speziell in Kenia hinter abweichenden Stimmen her ist, dann fängt er nicht in etablierten Medienhäusern an, in denen erfahrene, gut ausgebildete Journalisten arbeiten", sagt CPR-Repräsentantin Mumo. "Er beginnt an den Rändern, bei Leuten, die gerade erst ein Blog eingerichtet haben, oder die auf X, Facebook oder TikTok etwas gepostet haben."

Der Tod des 31-jährigen Albert Ojwang wurde von vielen als frappierendes Beispiel für Polizeigewalt und Straflosigkeit aufgefasstBild: Gerald Anderson/Anadolu/IMAGO

Dazu passt ein Vorfall, der seit ein paar Wochen die Gemüter der "Gen Z" erregt und die Proteste neu aufflammen ließ: Der Anti-Korruptions-Aktivist Albert Ojwang starb im Polizeigewahrsam, nachdem er im sozialen Netzwerk X einen ranghohen Polizisten der Korruption bezichtigte. In einer ersten Pressemitteilung wurde nahegelegt, Ojwang habe sich die tödlichen Verletzungen selbst zugefügt - inzwischen müssen sich drei diensthabende Polizisten wegen Mordes vor Gericht verantworten.

Im Polizeigewahrsam ohne Rechtsbeistand fand sich Anfang Juni auch Rose Njeri wieder. Die Software-Entwicklerin hatte ein Tool programmiert, mit dem Nutzer online Widerspruch gegen Rutos Steuergesetz einlegen konnten. Ihr wurde ein Verstoß gegen das 2018 eingeführte Gesetz gegen Cybercrime und Computer-Missbrauch vorgeworfen. Sowohl Mumo als auch Houghton bezeichnen das Gesetz im DW-Interview als "Waffe" der Politik gegen unliebsame Stimmen der Zivilgesellschaft.

Regierung spricht von "Putschversuch"

Der Umgang mit Menschen wie Catherine Wanjeri, Albert Ojwang oder Rose Njeri hat jeweils den Zorn der "Gen Z" weiter angefacht und neue Demonstrationen ausgelöst. Kenia hat seit 2010 eine verhältnismäßig moderne Verfassung mit weitreichenden bürgerlichen Freiheiten - und die häufig gut gebildeten jungen Erwachsenen kennen sie gut genug, um sich auf diese grundlegenden Rechte berufen zu können. "Ich übe mein Recht aus, gegen ein tyrannisches Regime aufzustehen", sagte eine Demonstrantin am Mittwoch der DW.

Anti-government protests in Kenya turn deadly

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Die Regierung lässt nach den Protesten wenig Entgegenkommen erkennen: Von einem "Putschversuch" ausgehend von "kriminellen Anarchisten" sprach Innenminister Kipchumba Murkomen am Tag danach.

Irũngũ Houghton hebt hervor, dass die "Gen Z" letztlich Entwicklungs- und Wachstumschancen fordert: "Wenn die Regierung darauf nicht eingeht, werden die Proteste weitergehen. Die nächsten regulären Wahlen sind 2027, das ist noch lange hin für eine Gesellschaft, der die Geduld ausgegangen ist."

Mitarbeit: Sella Oneko in Nairobi

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