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Politik

Polen: "Meine Fernbedienung gehört mir"

Magdalena Gwozdz-Pallokat
20. Dezember 2021

Tausende Menschen haben am Sonntag auf Polens Straßen gegen ein umstrittenes Mediengesetz demonstriert, das den regierungskritischen Sender TVN24 zum Schweigen bringen könnte.

Polen, Krakau | Protest für freie Medien
"Freie Medien" fordert die Demonstrantin auf ihrem Plakat in Krakau am 19.12.2021Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Es waren Tausende, die am nasskalten Sonntagabend (19.12.2021) in Polen auf die Straßen gingen - für einen Fernsehsender und freie Medien. Viele trugen weiß-rote polnische und blaue EU-Fahnen. Einige von ihnen waren sichtbar wütend, andere eher besorgt oder sogar traurig. "Meine Fernbedienung gehört mir", hieß es auf einem Transparent.

Eine ältere Frau sagte deutlich gerührt in die Kamera eines Teams des privaten Nachrichtenkanals TVN24, sie werde für freie Medien und Freiheit im Allgemeinen demonstrieren, solange sie das könne. Ein Mann ähnlichen Alters ergänzte mit vor Erregung zitternder Stimme, er habe 1989 Jahren für ein freies Polen demonstriert und werde das auch 2021 tun.

Protest gegen das neue Mediengesetz in Krakau am 19.12.2021Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Eingefangen haben diese Statements Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders, um den es in der derzeitigen polnischen Debatte um die Freiheit der Medien geht. "Der nächste Schlag gegen die freien Medien" richte sich gegen TVN24, wie der Sender selbst und in eigener Sache titelte. Die sonst farbigen Schlagzeilen am unteren Bildschirmrand liefen am 19.12.2021 in schwarzer Schrift, zeitweise war auch die TVN24-Webseite nur in schwarz-weiß zu sehen.

Zwei Tage zuvor hatte das polnische Parlament überraschend und ohne Ankündigung ein von der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf den Weg gebrachtes Mediengesetz verabschiedet, nach dem außereuropäische Medienunternehmen künftig nicht mehr als 49 Prozent der Anteile an in dem EU-Land betriebenen Fernseh- und Radiosendern halten dürfen. Für TVN24 bzw. dessen Besitzer, die TVN-Gruppe, würde das bedeuten, dass sie nicht länger im mehrheitlichen Besitz der US-amerikanischen Discovery-Gruppe bleiben dürfen.

"Re-Polonisierung" geht weiter

Kritiker des neuen Gesetzes sehen darin eine Einschränkung der Pressefreiheit - oder genauer, den nächsten Schritt in einem voranschreitenden Prozess, Medien der Regierungspartei unterzuordnen. Ende vergangenen Jahres hatte der staatlich kontrollierte Ölkonzern PKN Orlen mehrere Regionalzeitungen übernommen, die zur Verlagsgruppe Polska Press gehörten. Bald darauf wurden die Chefredakteure der Blätter ausgetauscht.

Das Polska Press-Logo in BydgoszczBild: Jaap Arriens/NurPhoto/picture alliance

Von dieser Art der "Re-Polonisierung" war TVN24 bislang wohl auch deswegen verschont geblieben, weil man es sich in der Warschauer PiS-Zentrale nicht mit den USA verscherzen wollte. Und so blieb das Gesetz, das bereits im Spätsommer auf den parlamentarischen Weg gebracht worden war, nach einem ablehnenden Votum des Oberhauses des polnischen Parlaments zunächst liegen.

Kaczynskis Wut

Miroslaw Oczkos ist ein politischer Beobachter und Dozent an der Wirtschaftshochschule Warschau, der sich seit Jahren mit politischem Marketing beschäftigt. Er sagt der DW, hinter dem Entschluss von Polens Regierungspartei, das umstrittene Gesetz nun doch auf den Weg zu bringen, stecke vermutlich der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der oft impulsiv und aus Wut heraus handele.

Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiSBild: KACPER PEMPEL/REUTERS

"Es kann gut sein, dass Kaczynski von einer TVN-Sendung irritiert war und sich gedacht hat 'jetzt zeigen wir es ihnen'", sagt Oczkos. Zudem würde der Schlag gegen die polnische Discovery-Tochter vielen PiS-Wählern gut gefallen: "Sie eint ein tiefes Misstrauen gegen den Journalismus und eine Vorliebe für Empörung über Darstellungen, die nicht dem eigenen Weltbild entsprechen." Bei TVN24 würde die Politik der PiS konsequent kritisch dargestellt.

Entscheidet der Präsident oder der PiS-Chef?

Das Gesetz liegt nun bei Präsident Andrzej Duda, der drei Möglichkeiten hat: Er kann es unterzeichnen, sein Veto dagegen einlegen - oder den Parlamentsbeschluss an das Verfassungsgericht weiterleiten. Dieses gilt als "verlängerter Arm der Regierung" und wird von der Gerichtspräsidentin Julia Przylebska geführt, die mit dem PiS-Chef auch privaten Kontakt unterhält. TVN24 nannte die oberste Justizgremium daher in Berichten immer wieder ein "Verfassungsgericht Julia Przylebskas".

Polens Staatspräsident Andrzej DudaBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Kritiker der PiS-Regierung bezweifeln, dass das Staatsoberhaupt des EU-Landes eigenständig handelt. Sie verspottens Polens Präsidenten immer mal wieder als "Kaczynskis Kugelschreiber". "Duda führt aus, was Kaczynski entscheidet", meint auch Miroslaw Oczkos. Auch immer Falle des umstrittenen Mediengesetzes läge die Entscheidung letztlich beim PiS-Chef. Oczkos prophezeit, Duda werde das Mediengesetz dem Verfassungsgericht vorlegen - was wiederum Kaczynski die Möglichkeit eröffnen würde, TVN24 zum Schweigen zu bringen.

Unruhe unter Journalisten

Der Fall TVN reicht indes weit über den Sender und dessen Besitzer selbst hinaus, nicht nur wegen der Reichweite, die vielerorts vor dem regierungsnahen TVP liegt. Vor allem galt TVN24 bislang aufgrund seines US-Eigners als unangreifbar. "Wenn sie die abschalten, können sie jedes Medium abschalten", heißt es nicht umsonst auf der Webseite des Senders. Unter polnischen Journalisten herrscht große Unruhe, vor allem in Redaktionen, die ebenfalls ausländische Eigner haben.

Mikrofon mit dem Logo von TVN, dem Besitzer des Nachrichtenkanals TVN24Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Ein Journalist, der anonym bleiben will, ist sich sicher: "Wenn ich Redaktionsleiter wäre, wäre mir spätestens jetzt klar, dass es unabhängige Medien in Polen künftig nicht mehr geben soll." Das unterstreiche auch die Aussage eines PiS-Politikers, der die Medienreform der Regierungspartei federführend vorantreibt: "In Polen gibt es keine starken Medien, die die Regierung unterstützen", klagte Marek Suski im Sender Polsat, dem drittgrößten TV-Kanal im Land. Damit habe der PiS-Mann verraten, so der Journalist, worum es der Regierung gehe: Die Medien sollten ihr dienen.

EU-Kommission besorgt, US-Botschafter enttäuscht

Die Europäische Kommission verfolgt die Entwicklung der Medienfreiheit in Polen laut Sprecher Christian Wigand "mit Sorge". Auch Bix Aliu, der US-Botschafter in der Hauptstadt Warschau, reagierte in einem Tweet mit "großer Enttäuschung" auf die Verabschiedung des Mediengesetzes.

Mehr als 2,4 Millionen Polen haben mittlerweile einen "Appell zur Verteidigung von TVN" unterschrieben. Und Polens Oppositionsparteien zeigten sich vereint auf der Protestbühne in Warschau. "Für mich war es ein wichtiges Signal, dass es vielleicht doch noch zu einem Ruck kommt und die Opposition sich der PiS gemeinsam widersetzt", sagt Katarzyna, die bei der Demonstration am Sonntag war. Dort hat sie besonders bewegt, dass anders als bei früheren Protesten diesmal viele junge Menschen mit auf die Straße gegangen seien.

"Bei vielen Protesten gegen die PiS-Regierung habe ich nur gleichaltrige, 50- oder 60-Jährige gesehen", so Katarzyna weiter. "Das hat mich traurig gemacht, denn wir haben schon genug für unsere Freiheit gekämpft, jetzt sind die Jüngeren dran." Obwohl sich junge Polinnen und Polen genauso sehr vom herkömmlichen Fernsehen abwenden wie in anderen Ländern auch: TVN24 scheint für sie doch etwas mehr zu sein als irgendein Anbieter in der polnischen Medienlandschaft.

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen