1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Rumänien: Die Diaspora soll es richten

Robert Schwartz
9. August 2018

Unter dem Motto #rezist gehen in Bukarest seit Januar 2017 Menschen auf die Straße, um gegen korrupte Politiker und für eine unabhängige Justiz zu demonstrieren. Jetzt wollen Zehntausende Auslandsrumänen dazu stoßen.

Rumänien Protest Demonstration
Bild: picture-alliance/dpa/D. Bandic

An den westlichen Grenzübergängen rollt eine breite Autolawine mit britischen, spanischen, italienischen und deutschen Kennzeichen nach Rumänien hinein. Über Social Media haben Auslandsrumänen von Skandinavien bis Portugal seit Wochen angekündigt, ihren Sommerurlaub in Bukarest verbringen zu wollen, um am 10. August vor dem Regierungspalast für die Stärkung des Rechtsstaats zu demonstrieren - eine Premiere in der EU.

Diaspora - Die Macht von draussen

Im europäischen Ausland leben, arbeiten oder studieren rund vier Millionen Rumänen - das sind 20% der Gesamtbevölkerung des Landes. Die meisten von ihnen haben sich gut in ihrem neuen Umfeld integriert. Die Ereignisse in ihrer alten Heimat verfolgen sie über rumänische TV-Sender und vor allem in den sozialen Netzen. Kritisch kommentieren sie - auch auf der Facebook-Seite von DW-Rumänisch - die wiederholten Versuche der sogenannten sozial-liberalen Regierung und des mächtigen sozialdemokratischen Parteichefs und Strippenziehers Liviu Dragnea, die Justiz unter politische Kontrolle zu bringen und den Rechtsstaat auszuhebeln. Hin und wieder organisieren sie Demonstrationen in europäischen Großstädten, um den Rumänen zu Hause zu zeigen, dass sie den Unmut ihrer Landsleute mittragen.

Die "Giraffe" auf dem Platz vor dem Victoria-Palast - symbolischer Treffpunkt der DemonstrantenBild: DW/C. Stefanescu

Jetzt wollen viele von ihnen aber nicht länger "am Rande" stehen. Sie wollen Teilhaber der Gesellschaft sein, die sie laut rumänischem Nationalen Amt für Statistik jährlich mit über drei Milliarden Euro finanzieren. Allein in den letzten zehn Jahren haben die Rumänen, die im Ausland - überwiegend in der EU - leben und arbeiten, rund 40 Milliarden Euro nach Hause überwiesen. Ob Krankenpfleger oder Ärzte, IT-Fachkräfte oder Bauarbeiter, Erntehelfer oder Fernfahrer, sie alle unterstützen ihre Familien in der Heimat und damit auch die Wirtschaft ihres Landes. Ohne dieses hart erarbeitete Geld würden viele Familien in Rumänien unter der Armutsgrenze leben müssen. Und der Konsum, die treibende Kraft der rumänischen Wirtschaft, würde zusammenbrechen. Allein schon deshalb sehen sich viele Auslandsrumänen berechtigt, sich in das politische Geschehen zu Hause aktiv einzumischen.

Ihr Unmut ist in den letzten Wochen gestiegen, nachdem sich Politiker der regierenden PSD und deren Anhänger verstärkt unflätig über die Auslandsrumänen geäußert haben. Als "Bettler, Diebe und Huren" oder "Lumpendiaspora" beschimpft, von Soros, dem amerikanisch-jüdischen Milliardär und Philantrop, bezahlt, um Rumänien zu destabilisieren, von Brüssel manipuliert - solche und ähnliche "Infos" werden in den "haus- und hofeigenen" TV-Sendern der Regierung täglich ausgestrahlt. Auch deshalb wollen sie sich an diesem Freitag vor der "Giraffe", einer lebensgroßen Tierfigur vor dem Naturwissenschaftlichen Museum, gegenüber dem Regierungspalast, treffen.

Die Polizei: Freund und Helfer der PSD

"Nicht nur, dass uns die Regierenden in Bukarest ignorieren, jetzt beschimpfen sie uns auch noch", empört sich Dana Hering, die als Krankenschwester in Schweden arbeitet. Razvan Stefanescu, ein Landsmann, der in Schweden als Fernfahrer sein Geld verdient, hat seinen Groll auf originelle Art zum Ausdruck gebracht. Mit einem legalen schwedischen KfZ-Wunschkennzeichen, auf dem ein vulgärer Kampfslogan der Fußball-Hooligans gegen die PSD zu lesen war, versetzte er die Regierungspartei in hellen Aufruhr. Die rumänische Polizei nahm den Mann nach seiner Einreise unter fadenscheiniger Begründung fest und musste ihn nach heftiger Kritik aus dem In- und Ausland freilassen. Der Slogan wurde wegen der überspitzten Reaktion aber zum überall hörbaren Schlachtruf der Protestbewegung, die Polizei musste den Vorwurf ertragen, auf politischen Befehl willkürlich gehandelt zu haben.

Das schwedische KfZ-Nummernschild wurde viral im Netz geteiltBild: DW/R.Schwarz

Zwischen den Rumänen zu Hause und denen im Ausland darf es keinen Unterschied geben - das ist eine zentrale Botschaft der Protestler. Und das unterstreicht auch Cristian Presura im DW-Gespräch. Er arbeitet als Forscher in den Niederlanden und wehrt sich gegen frei erfundene Vorwürfe, die "Diaspora" sei bezahlt worden, um an den Protesten in Bukarest teilzunehmen: "Uns werden keine unentgeltlichen Transportmittel zur Verfügung gestellt" - eine Anspielung auf die Art, wie die Regierungspartei ihre Anhänger zu Kundgebungen in die rumänische Hauptstadt holt. "Wir bezahlen unsere Flugtickets selbst, wir richten unseren Urlaub so ein, damit wir rechtzeitig hier sind", fügt er lächelnd hinzu.

Demokratiestudium im Ausland

Gabriela Mirescu aus Zürich ist davon überzeugt, dass die Verleumdung der Auslandsrumänen durch die Regierung ein klares Zeichen der Angst vor der Macht der Diaspora darstellt. "Im Ausland haben die Rumänen gesehen, wie eine demokratische Gesellschaft funktioniert. Jetzt wollen sie, dass so etwas auch in ihrem Land möglich wird".

Viele Inlandsrumänen wollen sich dem Protest der Diaspora anschließen. Auch der "Senior der Festung", der 102jährige Bukarester Kulturphilosoph Mihai Sora, ein regelmäßiger Teilnehmer an den Protesten, die seit über 550 Tagen vor dem Victoria-Palast, dem Sitz der rumänischen Regierung, stattfinden. Und die weitergehen sollen, bis die Regierung zurücktritt und Präsident Klaus Iohannis, ein Verfechter des Rechtsstaats, Neuwahlen ausruft. Auf seiner Facebook-Seite schrieb Mihai Sora mit einem Augenzwinkern, seine Ärzte hätten ihm nach einer Operation geraten, das Box- und Karate-Training aufzugeben und sich nicht mehr übermäßig aufzuregen. "Das hält mich aber nicht von einem Wiedersehen mit euch allen am 10. August vor der ‚Giraffe‘ ab. Dort können wir uns dann in aller Ruhe aufregen!"

Mihai Sora, 102jähriger Kulturphilosoph und "Senior der Festung" Bild: ADRIAN CATU/AFP/Getty Images

Ob die Proteste "in aller Ruhe" verlaufen werden, ist die große Frage. Im Netz zirkulieren Aufrufe zum zivilen Ungehorsam. Polizei und Gendarmerie haben angekündigt, gegen jede Art von Provokation hart durchzugreifen. Der August bleibt auch politisch heiß in Bukarest.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen