Gewalt bei Protesten in Serbien: Wie reagiert die EU?
23. August 2025
Die Lage in Serbien ist angespannt: Täglich gibt es neue Berichte über Polizeigewalt gegen Demonstrierende, Verhaftungen - und Anschuldigungen, die Regierung des Westbalkanlandes engagiere kriminelle Schlägertrupps gegen die eigene Zivilbevölkerung.
Seit im November 2024 ein Bahnhofsvordach in der nordserbischen Stadt Novi Sad einstürzte und 16 Menschen tötete, reißen die Proteste gegen Serbiens Regierung nicht ab. Lange waren die Demonstrationen friedlich - doch seit einigen Tagen eskaliert die Gewalt auf den Straßen der Hauptstadt Belgrad und anderer Städte. Und der rechtspopulistische Präsident des Landes, Aleksandar Vucic, will nun noch härter gegen die Proteste vorgehen.
Wie reagiert Brüssel auf die jüngsten Eskalationen in dem EU-Kandidatenland? Der Botschafter der Europäischen Union in Serbien, Andreas von Beckerath, rief in einem Statement "alle Seiten zur Deeskalation der Spannungen auf". Jeder Verdacht auf übermäßige Gewaltanwendung seitens der Polizei müsse ordnungsgemäß untersucht werden.
Die Europäische Kommission teilte auf Anfrage der DW mit, dass sie die Lage in Serbien genau beobachte. Man habe eine klare Position: "Das Recht auf friedliche Demonstrationen und die Versammlungsfreiheit müssen respektiert werden, und die Behörden müssen die Teilnehmenden von Versammlungen vor Schaden oder Gewalt schützen", so Guillaume Mercier, ein Pressesprecher der Kommission. Doch diese Stellungnahmen gehen vielen Politikern und Beobachtern nicht weit genug. Seit Monaten fordern sie einen härteren Kurs gegenüber der serbischen Regierung und Präsident Vucic.
Kritik aus dem europäischen Parlament
Einer der Kritiker ist der Europa-Abgeordnete Tonino Picula. Als Berichterstatter für Serbien beschäftigt er sich viel mit dem Land. Der kroatische Sozialdemokrat bemängelte am Mittwoch gegenüber Westbalkan-weit sendendem Fernsehsender N1, dass Brüssel keine einheitlichere, kritischere Haltung gegenüber Serbien zeige. "Die EU hat derzeit weder den Anreiz noch die Kapazität, sich anders gegenüber dem Regime von Aleksandar Vucic zu verhalten. Im Gegensatz zur Ukraine fehlt hier die Geschlossenheit, um Druck aufzubauen", so Picula.
Strategische Interessen sowohl Brüssels als auch Belgrads könnten dabei auch eine Rolle spielen: 2024 unterzeichnete die EU ein Abkommen mit Serbien, mit dem sie sich Zugang zu serbischem Lithium sicherte. Zudem habe Serbien seine freundschaftlichen Beziehungen zu Russland geschickt ausgespielt, sagt Antigona Imeri vom Centre for European Policy Studies, einem Brüsseler Thinktank. Aus Sorge vor einer Annäherung an das Regime des russischen Langzeit-Präsident Wladimir Putin sei Europa zu nachsichtig gewesen: "Diese Strategie der Beschwichtigung ist gescheitert, die EU muss nun dringend einen anderen Ton anschlagen."
Nur noch 40 Prozent für EU
Doch auch nach der jüngsten Gewalteskalation habe die EU "Business as usual" mit Serbien betrieben und die Regierung nicht explizit in die Verantwortung genommen. "Das ist aus geopolitischer Perspektive nachvollziehbar, wird aber problematisch, wenn es den Eindruck erweckt, auf Kosten der Grundwerte der Union zu gehen", so Imeri.
Dieser Eindruck untergrabe bei vielen Menschen das Vertrauen in die EU - und das ist in Serbien ohnehin relativ schwach ausgeprägt: In einer Umfrage des International Republican Institutes aus dem Frühjahr 2025 gaben nur 40 Prozent der Befragten an, dass sie für einen EU-Beitritt ihres Landes stimmen würden. Mehr als die Hälfte glaubt derweil nach eigenen Angaben nicht mehr, dass die EU ernsthaft an einem Beitritt der Westbalkanstaaten interessiert ist.
EU wichtigster Wirtschaftspartner Serbiens
Nicht alle Expert*innen finden Brüssels Strategie gegenüber Belgrad problematisch: "Ich denke, es ist zu früh, die EU-Position zu diesem Thema zu bewerten", sagt Nina Vujanovic vom Brüsseler Think Tank Bruegel. Die EU habe signalisiert, dass sie die Lage beobachte, sie müsse dies auch weiterhin tun.
Statt Druck auszuüben, solle Brüssel auf wirtschaftliche Anreize setzen - dann sei auch das Risiko gering, Serbien in Richtung Russland zu verprellen: "Serbien hat ein weitaus größeres wirtschaftliches Interesse daran, EU-Reformen umzusetzen, als sich Russland zuzuwenden," so Vujanovic. Das Land sei wirtschaftlich schon längst stark mit der EU verknüpft: Über 60 Prozent der serbischen Exporte gehen in die EU, über 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Serbien kommen von dort.
Welchen Spielraum hat Brüssel?
Mit wirtschaftlichen Mitteln ließe sich also durchaus Druck gegen Vucic und sein Regime aufbauen: Die EU hat Serbien bis 2027 stolze 1,6 Milliarden Euro in Aussicht gestellt - diese Gelder sind jedoch an die Umsetzung von Reformen geknüpft. "Die EU könnte diese Mittel kürzen oder die Vergabe verzögern, wenn sie feststellt, dass ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt", erklärt Vujanovic.
Stand jetzt scheint Serbien, das seit 2012 EU-Beitrittskandidat ist, von der Umsetzung der für eine EU-Mitgliedschaft notwendigen Reformen weit entfernt. Ein im Juli veröffentlichter EU-Bericht über Rechtsstaatlichkeit in Serbien stellt unter anderem fest, dass weiterhin starker politischer Druck auf die Justiz und zivilgesellschaftliche Akteure ausgeübt wird. Man mache sich zunehmend Sorgen um die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten in Serbien.
Genau dagegen gehen Studierende und viele andere Bürgerinnen und Bürger des Landes seit Monaten auf die Straße - trotz der Gefahr, von der Polizei verhaftet oder verletzt zu werden. Sollte die Gewalt bei den Protesten nicht abreißen, könnte die EU zunehmend unter Druck geraten, klarere Kante gegenüber Belgrad zu zeigen.
Mitarbeit: Sanja Kljajic und Martina Domladovac