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Politik

Meşale Tolu: Freiheit in Sicht?

17. Dezember 2017

Seit fast acht Monaten sitzt die Deutsche Meşale Tolu in der Türkei in Untersuchungshaft. An diesem Montag wird ihr Prozess fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft fordert ihre Freilassung. Aus Istanbul Julia Hahn.

Deutschland Freilassung Mesale Tolu Corlu
Bild: picture-alliance/dpa/S. Puchner

Zum Auftakt des Verfahrens verlangte die Staatsanwaltschaft in Istanbul die Freilassung von Meşale Tolu und der fünf weiteren inhaftierten Angeklagten aus der Untersuchungshaft. Seit 33 Wochen sitzt die deutsche Journalistin und Übersetzerin in einem türkischen Gefängnis - wegen des gleichen Vorwurfs, der auch dem "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel und vielen anderen Inhaftierten hier im Land gemacht wird: "Terrorpropaganda".

Im Büro von Kader Tonç stapeln sich die Prozessakten. Ordner um Ordner, Schicksal um Schicksal. Hunderte Mandanten vertritt die kleine Istanbuler Kanzlei. Auch Meşale Tolu.

"Meşale ist tapfer und optimistisch. Die Vorwürfe gegen sie sind haltlos und das werden wir beweisen", sagt Kader Tonç. Die junge Anwältin kommt gerade von einem ihrer Gefängnisbesuche bei Tolu. Ein letztes Mal haben die beiden Frauen die Verteidigungsstrategie besprochen. Was den Fall zusätzlich brisant macht: Die in Ulm geborene Tolu hat nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Die türkische legte sie vor zehn Jahren ab.

Terrorvorwürfe, aber "keine Beweise"

Laut Anklageschrift soll die 33-Jährige, die in Istanbul für eine linke Nachrichtenagentur arbeitete, nicht nur Terrorpropaganda betrieben haben, sondern auch selbst "Mitglied in einer Terrororganisation" sein: in der linksextremen Marxistisch-Leninistisch Kommunistischen Partei (MLKP). Ein anonymer Zeuge, heißt es, habe Tolu bei Aktionen der Gruppe beobachtet. Außerdem liegen Fotos vor, die Tolu bei der Gedenkveranstaltung für eine in Syrien getötete Kämpferin der kurdischen YPG-Miliz zeigen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft.

Kader Tonç, Anwältin von Meşale ToluBild: DW/J. H ahn

Anwältin Kader Tonç hält das Verfahren für politisch motiviert. "Es gibt jede Menge Anschuldigungen, aber keine Beweise", sagt sie. "Wir hoffen, dass dieser angebliche Zeuge dieses Mal vor Gericht erscheint, dann haben wir endlich die Chance ihn zu befragen". Aktuell, so Tonç, gebe es keine rechtliche Grundlage, Tolu noch länger hinter Gittern zu behalten.

Mit einem Kleinkind im Knast

Der Fall Tolu ist zugleich ein Familiendrama. Die Journalistin sitzt seit ihrer Festnahme Ende April im Frauengefängnis Bakırköy ein - bis vor einigen Wochen gemeinsam mit ihrem noch nicht ganz drei Jahre alten Sohn Serkan. Tolu wollte nicht, dass er ohne seine Mutter aufwächst, also entschied sie, ihn zu sich in die Zelle zu nehmen. Inzwischen ist Serkan bei Tolu's Schwester in Deutschland und kommt für kurze Besuche in die Türkei. Auch für den Prozess am Montag wird er in Istanbul sein und auf seine Mutter warten. "Natürlich vermisst sie ihren Sohn", sagt Kader Tonç. "Aber ein Gefängnis ist auf Dauer kein Ort für ein Kleinkind."

Auch der Vater des Jungen, Suat Çorlu, saß bis vor kurzem wegen Terrorvorwürfen in Istanbul im Gefängnis. Er wurde Ende November vorläufig freigelassen. Zum Prozess seiner Frau wollte er sich auf Anfrage der DW zunächst nicht äußern.

Bundesregierung "nicht erpressbar"

Die deutsche Bundesregierung fordert die Freilassung von Tolu und mindestens neun weiteren Deutschen, die nach wie vor aus mutmaßlich politischen Gründen in der Türkei in Haft sind. Der türkische Präsident Erdoğan hatte angekündigt, er sei bereit, deutsche Gefangene freizulassen, wenn die Bundesrepublik im Gegenzug türkische Staatsbürger ausliefere, die am Putschversuch 2016 beteiligt gewesen sein sollen. Die Bundesregierung sei "nicht erpressbar", lautete die Antwort aus Berlin.

Abseits der politischen Bühne ruft in Deutschland eine ehemalige Lehrerin von Meșale Tolu dazu auf, die Journalistin freizulassen. Über 80.000 Menschen haben eine entsprechende Online-Petition bereits unterzeichnet. "Solche Aktionen machen Meşale Mut", sagt Anwältin Kader Tonç. "Sie bekommt viele Postkarten und Briefe ins Gefängnis, auch von Leuten, die sie gar nicht kennt. Das freut sie sehr, es gibt ihr Kraft".

Im Istanbuler Justizpalast Çağlayan wird der Prozess gegen Meşale Tolu fortgesetztBild: Reuters/M. Sezer

Am ersten Prozesstag im Oktober hatte Meşale Tolu einen Freispruch gefordert. "Ich habe keine der genannten Straftaten begangen und habe keine Verbindung zu illegalen Organisationen." Doch während mehrere Mitangeklagte gegen Auflagen vorläufig freikamen, blieb Tolu hinter Gittern. Kader Tonç hofft, dass Tolu dieses Mal ebenfalls freigelassen wird. Doch sicher ist sie nicht. "In einem Rechtsstaat ist man unschuldig, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird - hier in der Türkei ist das anders, hier ist ein Angeklagter so lange schuldig, bis er das Gegenteil beweisen kann", sagt Kader Tonç.

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