Prozessauftakt gegen Jaysh al-Islam in Frankreich
29. April 2025
Der Syrer Majdi Nema, alias Islam Allouch, wollte eigentlich nur für ein paar Monate in Frankreich bleiben. Er kam für ein Austauschprogramm am Arabischen Institut der südfranzösischen Universität Aix-Marseille. Doch etwa zwei Monate nach seiner Ankunft wurde er Ende Januar 2020 festgenommen. Dem ehemaligen Mitglied der syrischen Islamistengruppe Jaysh al-Islam ("Armee des Islams", JAI) wird Beihilfe zur Rekrutierung von Kindersoldaten vorgeworfen. Außerdem soll er einer Gruppe angehört haben, die zwischen 2013 und 2016 Kriegsverbrechen geplant haben soll.
Der Prozess, der an diesem Dienstag beginnt, ist der erste, der sich mit den mutmaßlichen Gräueltaten der JAI während des syrischen Bürgerkriegs befasst. Einige erhoffen sich von der Verhandlung einen gewissen Grad an Heilung.
JAI hatte nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 15.000 Mitglieder. Die Koalition aus Rebellengruppen kämpfte in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg gegen Diktator Baschar al-Assad, vor allem in der Hauptstadt Damaskus und der nahegelegenen Region Ost-Ghouta im Westen Syriens. Im vergangenen Dezember stürzte die islamistische HTS-Miliz den Diktator nach 24 Jahren an der Macht. Assad soll sich mit seiner Familie inzwischen in Russland aufhalten.
Welche Rolle JAI derzeit spielt und wie viele Mitglieder die Gruppe noch hat, ist unklar. Ihr wird jedoch vorgeworfen, in der Vergangenheit Menschen gekidnappt, gefoltert und hingerichtet zu haben. Außerdem soll sie Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt haben. JAI hatte sich zumindest zeitweise zum Ziel gesetzt, ein islamistisches Kalifat in Syrien zu etablieren.
Internationale Gerichtsbarkeit mit Signalwirkung
Chloé Pasmantier findet es wichtig, JAI für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Sie ist Juristin bei der Nichtregierungsorganisation Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH), die zu den Nebenklägern gehört. "Das Regime al-Assads hat den Großteil der Gräueltaten und Verbrechen begangen", sagt sie der DW. "Aber auch andere Gruppen muss man für ihre Verbrechen vor Gericht bringen. Nur dann hat Syrien die Chance auf eine Zukunft."
Frankreich hat 2010 das sogenannte Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in nationales Recht übertragen. Damit kann das Land in bestimmten Fällen über völkerrechtliche Straftaten wie Kriegsverbrechen urteilen, auch wenn sie außerhalb Frankreichs begangen wurden. Bei Nema ist das möglich, weil Syrien den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennt und er zum Zeitpunkt der Verhaftung in Frankreich einen Wohnsitz hatte.
Für Marc Bailly, einen der Anwälte der Zivilkläger, haben solche Fälle im Rahmen der internationalen Gerichtsbarkeit auch generell Signalwirkung. "Selbst wenn diese Prozesse nach wie vor Ausnahmen darstellen, sind sie notwendig, um die Straflosigkeit der Kriegsverbrecher von morgen zu verhindern", sagt er gegenüber DW. Zu den Zivilklägern gehören auch das Syrische Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit (SCM), der Pariser Verein Liga der Menschenrechte sowie fünf Personen. Sie geben an, Opfer von Kriegsverbrechen zu sein, die von JAI begangen wurden und an denen Nema beteiligt gewesen sei.
Diese fünf Kläger erhofften sich von dem Prozess eine gewisse Anerkennung ihrer Leiden, sagt Anwalt Bailly: "Für meine Mandanten hatte der Angeklagte eine Führungsrolle. Einige von ihnen haben ihn auch in Gefängnissen von JAI gesehen und dort beobachtet, wie er militärische Schulungen für Mitglieder der Gruppe durchführte."
Welche Rolle spielte Nema?
Doch Nemas Anwälte bestreiten, dass er eine wichtige Rolle gespielt hat. "Er war Sprecher von JAI ohne strategische oder militärische Befehlsgewalt. Er hat keine Einsätze geplant und erst im Nachhinein davon erfahren", sagen Romain Ruiz und Raphaël Kempf im Gespräch mit DW. "Anklagepunkte wie seine angebliche Beteiligung an dem Verschwindenlassen von vier Personen hat das Berufungsgericht bereits Ende 2023 fallengelassen. Auch bei den restlichen Beschuldigungen wird man sehen, dass er unschuldig ist."
Der heute 37-jährige Syrer hat den Behörden gegenüber erklärt, sich Anfang 2013 der JAI angeschlossen zu haben. Ab Mai 2013 habe er von der Türkei aus agiert, wo er bis zu seiner Reise nach Frankreich gelebt und später Politikwissenschaften studiert habe. Mitte 2016 habe er JAI verlassen. Nema führt seine relativ frühe Ausreise aus Syrien als Beleg dafür an, dass er in der islamistischen Gruppe lediglich eine untergeordnete Rolle gespielt habe.
Doch laut Urteilsbegründung des Pariser Berufungsgerichts wurde Nema von Zeugen noch 2014 und 2015 in Ost-Ghouta gesehen. Außerdem hat das Gericht den Anklagepunkt des Verschwindenlassens nur deshalb fallengelassen, weil man nach französischer Auslegung des internationalen Rechts allein staatliche Gruppen und Akteure deswegen anklagen kann. Dazu gehöre JAI nicht.
Diese Interpretation hält Jeremy Sarkin für zu restriktiv. Er ist Jura-Professor an der Nova Universität im portugiesischen Lissabon und spezialisiert auf Menschenrechtsfragen und kollektive Vergangenheitsbewältigung. "Frankreich ist Teil der UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen und sollte diese auch auf nichtstaatliche Täter anwenden", argumentiert er im DW-Gespräch.
Dass der Fall nun hier vor Gericht kommt, sei trotzdem positiv. "Der UN-Sicherheitsrat konnte keinen internationalen Ad-Hoc-Gerichtshof zu Syrien aufsetzen, weil Russland und China das blockiert haben. Gerichte in Frankreich, Deutschland, Schweden und die Schweiz sind so zentral im Kampf gegen Straffreiheit", sagt Sarkin. Viele dieser Verhandlungen basierten dabei auf der Arbeit verschiedener UN-Untersuchungskommissionen ohne Strafverfolgungsbefugnis, wie dem "Internationalen, Unparteiischen, Unabhängigen Mechanismus Syrien" (IIIM). "Letzterer hat eine Liste von 4000 mutmaßlichen Kriegsverbrechern erstellt, vor denen schon 50 vor Gericht gebracht worden sind", so der Experte.
Bald Gerichtsverhandlungen in Syrien?
Doch Nemas Anwälte bezeichnen die Haltung der französischen Justiz als "imperialistisch". "Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sollte nicht über Vorfälle in Syrien richten. Es gibt Richter und funktionierende Gerichte vor Ort", sagen Ruiz und Kempf.
Dem widerspricht Sarkin: "Syrien bräuchte eine grundlegende Justizreform und alle Richter müssten ausgetauscht werden, weil sie noch von al-Assad ernannt wurden." Das räumt auch der SCM-Gründer Mazen Darwish ein. Seine Nichtregierungsorganisation tritt noch in 28 anderen Syrien-Fällen in Europa als Nebenkläger auf. "Es ist eigentlich noch zu früh, um über solche Fälle vor Ort zu urteilen", sagt er der DW. "Aber die neue syrische Regierung muss das bald ändern und Gräueltaten vor Gericht bringen. Sonst werden die Menschen in Syrien das Recht selbst in die Hand nehmen. Und unser Land wird nie seinen Frieden finden können."