Prozessauftakt im Fall Djindjic
23. Dezember 2003
Gut neun Monate nach der Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic hat in Belgrad der umstrittene Prozess gegen den mutmaßlichen Todesschützen und zwölf weitere Verdächtige begonnen. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen sollte am Montag (22.12.) die 40 Seiten lange Anklageschrift verlesen werden. Die Staatsanwaltschaft hält den geständigen Ex-Elitepolizisten Zvezdan Jovanovic für den einzigen Schützen. Diese Darstellung wird von mehreren Seiten jedoch angezweifelt.
Mehr als 30 Verdächtige
Zum Auftakt des Verfahrens vor dem neu eingesetzten Belgrader Gericht zur Bekämpfung von Mafiastrukturen forderte Jovanovics Verteidiger, Nenad Vukasovic, den Mord an Djindjic von den Vorwürfen des organisierten Verbrechens getrennt zu behandeln. Jovanovic werden Kontakte zur Mafia nachgesagt. Insgesamt stehen mehr als 30 Menschen wegen des Verdachts auf mehrere Morde, Terrorismus und organisiertes Verbrechen unter Anklage. Von ihnen sollen 15 in Abwesenheit verurteilt werden.
Der Staatsanwaltschaft gilt Jovanovic als einziger Schütze, der zwei Kugeln von einem Nachbargebäude des Regierungssitzes aus auf Djindjic abgefeuert haben soll. Der Ex-Polizist hat während der Vernehmungen bereits ein Geständnis abgelegt. Nach Angaben von
Djindjics Leibwächter, der bei dem Attentat selbst schwer verletzt wurde und voraussichtlich als Zeuge aussagen wird, war dagegen ein zweiter Schütze an der Tat beteiligt. Auch die Wochenzeitung "Nin" berichtete unter Berufung auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin, dass mindestens ein weiterer Schütze auf den Regierungschef geschossen habe.
Mutmaßlicher Drahtzieher auf der Flucht
Als Hauptdrahtzieher gilt der frühere Kommandeur der Polizei-Elitetruppe "Rote Barette", Milorad Lukovic, der sich auf der Flucht befindet. Nach Regierungsangaben soll er sich im Ausland aufhalten. Die Polizei hatte nach dem Mord an Djindjic hunderte Menschen festgenommen, die mit der Mafia in Verbindung stehen sollen.
Der in den serbischen Zeitungen als "historisch" eingestufte Prozess sorgte schon vor Beginn für heftige Kontroversen. Viele Menschen befürchten, dass die wahren Hintergründe des Attentats auf Djindjic nie aufgeklärt werden könnten. Der Regierungschef war am 12. März vor dem Regierungssitz in Belgrad niedergeschossen worden.
Mord an Djindjic hat Serbien destabilisiert
Djindjic war einer der maßgeblichen Politiker beim Sturz des Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic, den er im Jahr 2001 auch an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausliefern ließ. Als Regierungschef ging Djindjic zudem massiv gegen das organisierte Verbrechen vor. Seine Ermordung destabilisierte Serbien nachhaltig. Die pro-westlichen Wirtschaftsreformen, die Djindjic angestoßen hatte, sind seit seinem Tod ins Stocken geraten. Vor rund vier Wochen zerbrach das Regierungsbündnis DOS. Die Reformparteien gelten als zerstritten und müssen sich bei der anstehenden Parlamentswahl am 28. Dezember wiedererstarkten Ultra-Nationalisten stellen. (ali)