So belohnt Instagram unser Gehirn
8. August 2019Der Berlinerin Victoria van Violence folgen auf Instagramm knapp 200.000 Menschen. Sie sehen wunderschöne Fotos von ihr am Strand, auf Festivals, zuhause mit ihrem Hund.
Doch neben den Fotos mit den meisten Likes stehen oft Texte, die nicht in die perfekte Instawelt passen wollen: "Jede*r hat mal eine bekackte Zeit, darüber sprechen wir nur nicht", schreibt sie: "Negative Gefühle, Misserfolge, Trennungen, Jobverlust etc. sind Makel in unserer Gesellschaft. Sie passen nicht gut ins Bild, weder im Real Life, noch hier. Aber es ist ganz normal."
Die Influencerin, die mit echtem Namen Victoria Müller heißt, geht immer noch regelmäßig zur Psychotherapie, weil sie vor einigen Jahren eine Depression überwinden musste. "Ein konstant hoher Stresspegel, nicht abschalten können, immer abliefern müssen – einen Burnout kennt man in vielen Berufen", sagt sie.
Doch auf Instagram gibt es den ständigen direkten Vergleich mit anderen, nicht nur in Follower- und Like-Zahlen. " Andere haben die coolere Kooperation, das geilere Leben, in allen möglichen Bereichen kann man schlechter abschneiden", sagt van Violence.
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Perfekte Welt
"Früher habe ich mehr Modeljobs gemacht und die professionellen Bilder geteilt, aber ich habe gemerkt, ich habe keinen Bock mehr nur auf diese perfekte Welt", sagt sie. "Ich will nicht auf Veranstaltungen gehen und mich fragen, ob die Leute denken: 'Oh, die sieht aber nicht so aus wie auf ihren Fotos'."
Sie spricht in ihren Posts seit längerer Zeit nun immer mehr ernste Themen wie Klimaschutz, Hass im Netz und mentale Gesundheit an. Jetzt wird sie auf Veranstaltungen darauf angesprochen.
Bei ihren Followern kommt das gut an. Doch der Großteil von Instagram bleibt eine perfekte Welt. Mit nicht immer echten Bildern. Gestellte Szenen, Photoshop und Schöheits-Operationen gehören zur Welt der Influencer und Nutzer. Mehr als 500 Millionen Menschen benutzen die Plattform täglich.
Wenn das Belohnungszentrum leuchtet
Das entspricht der Bevölkerung der EU. Warum fasziniert uns diese Plattform so? Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir sie benutzen?
"Wir sind soziale Wesen", sagt Dar Meshi, Neurowissenschaftler an der Universität Michigan State. Schon in der Steinzeit war es einfacher, in der Gruppe zu überleben, an Ressourcen zu kommen und sich fortzupflanzen.
Er untersuchte an der Freien Universität Berlin zum ersten Mal weltweit Menschen, die Social Media benutzen, mit einem MRT. Der Gehirnscanner zeigte, welche Gehirnregionen beim Posten, Liken und Geliked werden aktiv sind. Blinkt ein Like, blinkt es im Belohnungszentrum, dem sogenannten ventralen Striatum. Das wird sonst bei Essen, Trinken, Sex und Geld aktiv – oder beim Drogenkonsum.
In den sozialen Netzwerken ist es einfach, diese kleinen sozialen Belohnungen zu aktivieren. Rund um die Uhr können wir uns mit hunderten oder tausenden Menschen verbinden und müssen dazu noch nicht einmal aufstehen.
Von Sucht will Meshi nicht sprechen, für ihn ist das Wort zu stark. Es gab ja noch niemanden, dem wegen zu großer Abhängigkeit von Social Media das Sorgerecht für seine Kinder entzogen wurde wie bei Heroinsüchtigen, sagt er.
Doch er zitiert Studien und Fälle, in denen Menschen schlechter schliefen, schlechtere Schulnoten bekamen oder sogar ihren Job verloren, weil sie sich nicht lang genug von ihren sozialen Medien trennen konnten. Meshi fand in einer Studie heraus, dass Menschen, die eher Risiken eingehen, sowohl eine höhere Wahrscheinlichkeit für Drogensucht als auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für Abhängigkeit von Sozialen Medien aufweisen.
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Aktive Nutzer zufriedener als passive
In zwei anderen Studien fragten Forscher ihre Probanden mehrmals am Tag per SMS, ob sie in den letzten fünf Minuten Facebook benutzt hätten und wie sie sich fühlten. Wenn sie Facebook genutzt hatten, fühlten sie sich schlechter. Ob das nur damit zusammenhängt, dass sie vor Forschern ihr Verhalten reflektieren mussten, konnten die Forscher nicht sagen.
Was sie aber herausfanden – die User, die aktiver waren, mehr posteten und mehr Likes bekamen, waren generell besser drauf als die passiven Nutzer. Diese, so vermuteten die Forscher, würden ihr reelles Leben konstant mit dem perfekt dargestellten Leben der anderen vergleichen ohne selbst Likes zu sammeln, weil sie gar nichts posteten. Es könnte aber auch sein, dass die Menschen, die eh schon schlecht drauf sind, generell weniger posten.
Der Dopamin-Mythos
Ein Botenstoff im Gehirn, der oft mit Sozialen Medien in Verbindung gebracht wird, ist Dopamin. Experimente mit Geld zeigten, dass es bereits ausgeschüttet wird, wenn man nur auf Erfolg hofft. Damit erklären Forscher, warum man immer weiter am Spielautomaten hängt – oder warum man immer wieder auf seine App guckt.
Forscher Meshi kann zwar nicht bestätigen, dass Dopamin und Social Media Nutzung zusammenhängen. Doch auch er vermutet, dass die Hoffnung auf eine Aktivierung des Belohnungszentrums Social Media so attraktiv macht.
Unser Belohnungszentrum wird nicht nur aktiviert, wenn wir Likes bekommen. Es ist auch aktiv, wenn wir andere Bilder liken oder nur unserer Neugierde nachgehen, was unsere Freunde machen. Meshi erklärt das damit, dass uns unser Status in der Gruppe sehr wichtig ist und wir von anderen gemocht werden wollen.
Immer im Vergleich
Auch Medienethik-Professorin Petra Grimm fragt sich, ob der Drang uns zu vergleichen angeboren oder kulturell bedingt ist. Auf Plattformen wie Instagram vergleichen wir uns ständig. "Es wird dann problematisch, wenn der Vergleich zur Abwertung führt oder Überlegenheit markiert wird", sagt sie.
Permanentes Vergleichen kann junge Menschen auch davon abhalten herauszufinden, wer sie eigentlich selbst sind. "Wenn ich Influencern folge, um mich an ihnen zu orientieren, z.B. welche Klamotten ich anziehe, was ich konsumiere und wie ich leben soll, und gleichzeitig noch versuche, mich als einzigartig zu inszenieren, kann ich mich nur schwer darauf konzentrieren, was meine eigenen Wünsche sind."
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Eine neue Vision der Social Media Welt
Doch wer soll die Verantwortung für die mentale Gesundheit der Nutzer auf den Plattformen tragen? Die Plattformen selbst sind daran interessiert, die Nutzer so lange wie möglich am Smartphone zu halten und verdienen damit ihr Geld. Sie experimentieren damit, wie man die Aufmerksamkeit der Nutzer am längsten hält.
Ethikerin Grimm sieht also die Plattformen in der Verantwortung. Sie sagt aber, es wäre naiv zu erwarten, dass sie selbst etwas ändern und damit ihr Geschäftsmodell gefährden. Sie hat deshalb eine andere Vision. "Es müsste eine Art öffentlich-rechtliches Modell geben, am besten in einem europäischen Verbund", sagt sie: "Eine Plattform, die Datenschutz, Privatsphäre und mentale Gesundheit schützt."
"Es kann doch nicht sein, dass wir uns von diesen amerikanischen Playern machtlos die Regeln diktieren lassen", sagt sie. Man könnte Influencer gewinnen, hofft sie, die lieber auf einer neuen sicheren Plattform mit klaren Regeln aktiv werden – nach dem Motto "Wir gehen unseren eigenen Weg."
Und die Influencer?
Influencerin Victoria van Violence erzählt, dass die unzuverlässigen Algorithmen sie an Instagram am meisten stören. Die App ändere diese ständig. "Es ist frustrierend, wenn schon wieder ein neuer Algorithmus dazu führt, dass den Leuten meine Bilder gar nicht angezeigt werden", sagt sie.
Die 30-Jährige ist auch sicher, dass sich die Plattform wieder ändern wird und auch der Influencer-Beruf an sich. Auf Facebook ist heute fast kein Influencer mehr so aktiv wie auf Instagram, sagt sie.
Wenn man van Violence nach der Verantwortung fragt, sieht sie diese bei den Influencern. "Leute, die Inhalte in einem professionellen Rahmen erstellen, müssen transparenter werden", sagt sie und spricht noch einmal davon, wieviel auf Instagram fake ist. Medienethikerin Grimm würde sich über mehr Influencer freuen, die für einen bewussten Umgang mit sozialen Medien eintreten.
Was tut uns gut?
Die größte Baustelle sieht Grimm aber bei den Schulen: "Es gibt einen riesigen Bedarf an Präventionsarbeit an Schulen", sagt sie. Zum Einen sollten Lehrer über die Geschäftsstrategien der Konzerne aufklären. Schüler müssten mehr Möglichkeiten bekommen, sich darüber auszutauschen und zu reflektieren, was der Konsum von sozialen Medien mit ihnen macht. Es sei wichtig, dass jeder seine eigene Balance finden kann, um genau zu wissen, was einem gut tut, sagt sie.
Van Violence, die beruflich täglich zwei bis sechs Stunden auf Instagram verbringt, geht an Tagen an denen es ihr schlechter geht, bewusst weniger auf die Plattform und verbringt stattdessen Zeit mit ihren Freunden und ihrer Familie. "Ich bin mir bewusst, dass das im Internet nicht echt ist. Heute sagen dir noch tausend Leute, wie toll du bist, morgen kann das schon wieder ganz anders sein. Wenn man da kein stabiles Netzwerk in der wirklichen Welt hat, hat man dann nichts mehr." Die Influencerin findet daher ihren Teilzeitjob als Radiomoderatorin nachhaltiger.
Weder Grimm, noch Victoria van Violence oder Dar Meshi verteufeln aber die Sozialen Medien. Sie sagen, dass es eine einzigartige Möglichkeit ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. "Ich kann Informationen auf eine unkonventionelle Weise bekommen und mich mit ganz verschiedenen Menschen austauschen und von ihnen lernen", sagt van Violence.
"Social Media ist ein Ort, den man selber gestalten kann", sagt sie: "Wenn mir die Menschen, denen ich folge, ein schlechtes Gefühl geben, sollte ich ihnen nicht mehr folgen."