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Psychologische Kriegsführung online

Mathis Winkler13. Mai 2004

Das Internet-Video von der Enthauptung eines Amerikaners hat die Welt schockiert. Während manche Experten es für einen schrecklichen Einzelfall halten, sehen andere es als eine Taktik psychologischer Kriegsführung.

Taktik? Das Video von der Gräueltat wurde über das Internet verbreitetBild: AP


Das Internet ist kein neuer Bestandteil in der Strategie terroristischer Gruppen. Viele, darunter die El Kaida, benutzen es seit langem für die Rekrutierung von Nachwuchs, zum Geldsammeln, für Anschlagsplanung und Kommunikation.

Vor einigen Wochen erst hatte eine Gruppe, die sich selbst die "Grüne Brigade" nennt, dem Fernsehsender El Dschasira Videomaterial vom Mord an einer italienischen Geisel angeboten. Die Redakteure des arabischen Nachrichtensenders entschieden sich jedoch gegen die Ausstrahlung des Materials - wegen seines grausamen Inhalts. Nun haben die Terroristen ihre Taktik geändert und bringen ihre Botschaften ohne Mittelsmänner direkt an die Öffentlichkeit. Das Video, das die Enthauptung des 26-jährigen Nick Berg zeigt, publizierten sie im Internet - und machten es damit für jeden erhältlich, der einen Computer und eine Internet-Verbindung besitzt.

Ähnliche Videos - wie die von tschetschenischen Terroristen, die Fußball mit den abgetrennten Schädeln russischer Soldaten spielen - hatte es schon früher gegeben. Der Westen habe sie allerdings weitgehend ignoriert, sagt der Terrorismus-Experte Udo Ulfkotte im Gespräch mit DW-WORLD. "Das ist keine neue Strategie, sondern Bestandteil der psychologischen Kriegsführung seit eh und je gewesen", betont er und fügt hinzu, dass das Video von der Ermordung des amerikanischen Journalisten Daniel Pearl 2002 das erste Mal gewesen sei, dass der Westen mit solchen Bildern konfrontiert worden sei.

Ein Akt der Rache?

Das Abu Ghraib Gefängnis in BagdadBild: AP

Außerdem, so Ulfkotte, diente das Video von Bergs Ermordung vor allem zur Befriedigung von Rachegefühlen in der arabischen Welt - Rachegefühle, die durch die Bilder von Folterungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten entstanden seien. Gleichzeitig sollte das Video nach übereinstimmender Einschätzung von Experten aber auch dazu dienen, Sympathisanten zu rekrutieren.

"In den arabischen Ländern meint man, dass hier gleiches mit gleichem vergolten werde", erläutert Kai Hirschmann, stellvertretender Direktor des Instituts für Terrorismusforschung in Essen. Er sieht die Bilder als eine genau abgestimmte Reaktion, die einer bestimmten Absicht dient: "Diese Leute sind politische Strategen und keine Dummköpfe", sagte er im Gespräch mit DW-WORLD. "Sie wollten ein Exempel statuieren, das wegen seiner Grausamkeit im Westen wahrgenommen wird. Es ist eine Antwort auf die Folterbilder, die sich aber nicht beliebig oft wiederholen lässt."

"Es ist ein Mosaikstückchen, das in der jetzigen Situation funktionierte", so Hirschmann weiter. "Als Antwort auf die Folterungen hätte ein Bombenanschlag nichts gebracht."

Oberst a.D. Nick Pratt, Direktor des Programms für Terrorismus- und Sicherheitsstudien am Marshall Center, sieht das Video dagegen nicht als eine direkte Reaktion auf die Folterbilder. "Das hat nichts mit den Gräueltaten im Gefängnis zu tun", so Pratt. "Es ist ein gutes Beispiel für psychologische Kriegsführung. Die können diese Informationen verbreiten und der Welt zeigen, wie hilflos wir sind."

Die Freiheit im Internet bewahren

Ein US-Soldat überwacht eine Demonstration in Hillah.Bild: AP

Pratt fügt hinzu, dass der Westen sich auf dem Feld der Internet-Sicherheit bislang zu sehr auf Cyber-Terrorismus, wie Hacker-Angriffe auf Flugpläne oder Systeme von Banken, konzentriert hat. Dabei sei die Bedeutung der psychologischen Kriegsführung über das Internet übersehen worden. Während man wenig tun könne, um die Verbreitung solcher Bilder in Zukunft zu verhindern, müssten die USA mehr tun, um gegen sie anzugehen. "Wir selbst müssen vom Internet besseren Gebrauch machen", fordert Pratt und verweist auf die Bilder von Irakern, die vor dem Abu Ghraib Gefängnis gegen die Folterung ihrer Landsleute demonstrierten. "Man muss zeigen, dass es für sie jetzt sicher ist, zu demonstrieren. Das konnten sie unter Saddam Hussein nicht. Man muss zeigen, dass die Demokratie anfängt zu wachsen."

Weiterhin sollten die US-Behörden Pratt zufolge für öffentliche Prozesse gegen die Beteiligten an den Folterungen sorgen: "Man muss das öffentlich machen und zeigen, wie das Militär sich um seinen Dreck kümmert."

Für Rainer Kuhlen, Informatiker und Experte für Ethik im Internet an der Universität Konstanz, ist die Selbstregulierung der Medien die einzige Möglichkeit, mit diesem "Krieg der Bilder" umzugehen: "Wir werden damit leben müssen", so Kuhlen, der in diesem Zusammenhang auch auf die Debatte über die Verbreitung von Pornografie im Internet vor einigen Jahren verweist. "Diese Bilder sind zweifellos Waffen, und zwar der unerträglichsten Art, und sollen auch wie Waffen wirken. Aber natürlich werden dadurch die in 'normalen' Kriegen eingesetzten Waffen und die kulturellen Demütigungen zu 'normalen' Zeiten um kein Deut ethisch akzeptabler."

Kein Mogadischu

Während Kai Hirschmann nicht mit einer steigender Anzahl von Morden wie dem an Nick Berg rechnet, gibt sich Pratt abwartend. Die weitere Entwicklung hänge von den Medienreaktionen auf das Video ab: "Wenn es keine Reaktion gäbe, würden wir derartiges wahrscheinlich nicht noch einmal sehen." In einem Punkt stimmen beide Experten jedoch überein: Während 1993 Bilder von der geschändeten Leiche eines US-Soldaten zum Abzug der Amerikaner aus Somalia führten, sei eine solche Reaktion im Irak nicht zu erwarten.

"Im Irak steht mehr auf dem Spiel als in Somalia", so Pratt. "Wir müssen aus diesem Land eine Demokratie machen. Wenn wir das nicht können, wird das Problem weiter bestehen."

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