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Politik

Puigdemont und seine 200 Bürgermeister

8. November 2017

Kataloniens Ex-Regierungschef Carles Puigdemont hat ausgeteilt: an Belgien, an Spanien und die EU. 200 Bürgermeister aus Katalonien sind zur Unterstützung nach Brüssel gereist. Lea Albrecht berichtet.

Brüssel, der abgesetzte katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont
Bild: picture-alliance/G.Vanden Wijngaert

"Präsident, Präsident, Präsident!", rufen die 200 katalanischen Bürgermeister im "Bozar”, dem Museums für bildende Künste in Brüssel. Dazu heben sie ihre sogenannten Varas in Höhe, ihre mit Metallköpfen beschlagenen Holzstöcke - das Zeichen, das Bürgermeister bei besonderen Anlässen mit sich tragen.

Josep Maria Tost ist Bürgermeister von Riudecanyes, einem Dorf südlich von BarcelonaBild: DW/L. Albrecht

Die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sind nach Brüssel gekommen, "um an der Seite unseres Präsidenten und unserer Exilregierung zu stehen, um unsere Solidarität zu zeigen", erklärt Josep Maria Tost, Bürgermeister vom kleinen Dorf Riudecanyes. Es sei ein symbolischer Besuch - um Europa aufmerksam zu machen auf die katalanische Perspektive und um Hilfe in Europa zu erbitten. Josep Maria Trost sitzt in der Mitte des gefüllten Saals, seine Vara ans Knie gelehnt.

Da betritt der abgesetzte Präsident Carles Puigdemont die Bühne. Lange haben die Bürgermeister auf seine Rede gewartet - es ist der krönende Abschluss ihres Treffens in der europäischen Hauptstadt, in die sich Puigdemont abgesetzt hat.

Puigdemonts Ohrfeigen

Gleich zu Beginn grüßt der entmachtete Präsident seine "Freunde" von der flämischen nationalistischen Partei Belgiens, der Nieuw-Vlaamse Alliantie - begleitet von einem langen, ohrenbetäubenden bürgermeisterlichen Applaus.

Carles Puigdemont applaudiert für seine Vorredner, bevor er als letzter das Wort ergreiftBild: picture-alliance/AP Photo/G.V. Wijngaert

Dann redet er weiter auf Französisch.

"Unsere Bürger fragen sich, warum es keine Reaktion von Europa gibt." Schließlich habe Spanien einen "Coup d'État gegen ein legitimes Parlament und eine legitime Regierung" durchgeführt.

"In diesem Land kann man nicht leben, in diesem Land, in dem man Angst haben muss, sich auszudrücken."

Carles Puigdemonts Publikum applaudiert ihm immer wieder leidenschaftlich zu. Einige Bürgermeister und Bürgermeisterinnen wischen sich Tränen aus den Augen.

Der einzige Weg, spricht der an diesem Abend immer wieder angerufene "Präsident" weiter, sei die Unabhängigeit Kataloniens. Denn Spanien sei ein "faschistisches Land, heute, im Jahr 2017", das "keine Scham" hätte, "sich an dem Faschismus zu bedienen".

Zum Schluss richtet er sich an die Europäische Union, von der sich die meisten Bürgermeister schwer enttäuscht zeigen. "Herr Juncker, Herr Tajani,", adressiert Puigdemont den Präsidenten der Europäischen Kommission und den Präsidenten des Europäischen Parlaments, "akzeptieren Sie das Ergebnis der Katalanen oder nicht? Oder werden Sie weiterhin den Coup d'État und die Beschneidung der Freiheit unterstützen?" Und er fragt weiter: "Ist das das Europa, das Sie aufbauen wollen? Mit einem Land, das Politiker inhaftiert?"

200 Bürgermeister singen die katalanische HymneBild: DW/L. Albrecht

Zum Ende seiner Rede, nach vielen "Libertat"-Rufen und tosendem Applaus stimmen alle in die katalanische Hymne ein. Ein kämpferisches Erntelied: "Soll der Feind zittern wenn er unser Zeichen erblickt: Wenn wir die goldenen Ähren schneiden, wenn die Zeit ruft, zerschneiden wir die Ketten."

Katalonien - Brüssel: Der Besuch der Zweihundert

Die erste Versammlung der katalanischen Bürgermeister in Brüssel vor der Europäischen KommissionBild: DW/L. Albrecht

Die 200 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind für diesen einen Tag nach Brüssel gereist. Eigentlich wollten viel mehr kommen, doch die Plätze in den Flugzeugen reichten nicht aus. So fuhren einige die Strecke mit dem Auto - 14 Stunden lang. Am Mittag versammeln sich die Zweihundert vor der Europäischen Kommission - drinnen durften sie ihr Treffen nicht veranstalten. "Libertat!" hallt von den glatten gläsernen und steinernen Mauern der Kommissionsgebäude wider. Das Echo lässt die Menge gleich doppelt so groß erscheinen.

Anna Maria Martinez, Bürgermeisterin von Santa Coloma de CervellóBild: DW/L. Albrecht

Eine junge Frau mit einem gelben Schleifenanstecker - dem Zeichen, das alle Unterstützer der katalanischen Unabhängigkeit hier tragen - und strahlenden Augen steht in der Menge und ruft mit. Anna Maria Martinez ist die Bürgermeisterin von Santa Coloma de Cervelló, einem Dorf westlich von Barcelona. "Ich bin heute hierher gekommen, um die Freiheit der politischen Gefangenen zu verlangen und die Freiheit meines Landes, denn unsere Entscheidung über unsere Zukunft ist gefallen", sagt Anna Maria Martinez in brüchigem Englisch und stimmt in den Gesang mit ein - hinter ihr haben die anderen Bürgermeister gerade die katalanische Hymne angestimmt.

Die "politischen Gefangenen" werden hier immer wieder genannt - auch ein großes Transparent, das die Bürgermeister vor sich her tragen, fordert ihre Freilassung. Denn acht Abgeordnete des abgesetzten katalanischen Parlaments sitzen in Untersuchungshaft in Spanien - unter dem Vorwurf der Rebellion.

Spanische Gegenstimmen

Nachdem die Hymne verklingt - wieder "Libertad"-Rufe. In einer kurzen Pause ruft eine einzelne Frauenstimme "Viva España" zurück. In den Reihen der Katalanen darauf nur halblautes, genervtes Stöhnen.

"Nein zur Unabhängigkeit!" steht auf dem Schild der GegendemonstrantenBild: DW/L. Albrecht

Eine Gruppe spanischer Einheitsunterstützer steht außer Sichtweite auf der anderen Seite des Platzes. Dicht gedrängt, etwa 100 Leute. Sie halten spanische und europäische Flaggen in die Luft und ein Schild mit der Aufschrift "No a la independencia! Cataluña = España"

Einer von ihnen, Antonio Millan aus Madrid, der schon lang in Brüssel lebt, vergleicht die Unabhängigkeit Kataloniens mit einer Amputation: Wenn Katalonien aus Spanien ausscheiden würde, wäre das, als schneide man ihm einen Arm ab - oder ein Bein.  Über die 200 katalanischen Bürgermeister sagt er: "Als spanischer Steuerzahler ist mein einziger Wunsch, dass öffentliche Gelder positiver und ertragreicher eingesetzt werden sollten - und nicht für einen Besuch in Brüssel für ruchlose Zwecke."

Autos hupen, die Spanier jubeln und wedeln ihre Flaggen.

Zwischen europäischer Enttäuschung und Hoffnung

Auf der anderen Seite des Platzes hallt wieder "Libertad" zwischen den Fassaden der Europäischen Kommission. Jordi Latorre sitzt zwischen den anderen Bürgermeistern. An seinem Rollstuhl hängt noch das Gepäcketikett vom Flug. Jordi Latorre ist der Bürgermeister von Torrefarrera, einem Städtchen nordwestlich von Barcelona. In seiner Stadt sind 60 Prozent wählen gegangen - 92 Prozent von ihnen haben mit "Ja" zur Unabhängigkeit gestimmt.

Jordi Latorre, Bürgermeister von TorrefarreraBild: DW/L. Albrecht

Obwohl Jordi Latorre im EU-Quartier demonstriert, ist er eigentlich nicht nach Brüssel gekommen, um mit europäischen Politikern zu sprechen. "Unser Ziel ist eher, der europäischen Gesellschaft unsere Lage zu erklären, als europäische Politiker zu überzeugen. Wir erwarten nicht mehr viel von der Europäischen Union, wir fühlen uns von ihnen im Stich gelassen."

Enttäuschung von der EU - ein Gefühl, das viele der Bürgermeister teilen.

Und trotzdem: Die meisten hier glauben noch an die Unabhängigkeit. Oder wollen zumindest daran glauben.

Am 21. Dezember, am Tag der Neuwahlen in Katalonien, wird sich zeigen, wie die Mehrheit der Katalanen zur Unabhängigkeit steht. Jordi Latorre denkt, dass die Unterstützer der Unabhängigkeit "die Wahlen wieder gewinnen werden - wie immer. Und danach, ich weiß es nicht."

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