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Pulverfass Niger-Delta

Thomas Mösch/ Muhammad Bello11. April 2014

Die Rebellenbewegung MEND hat sich zu Anschlägen auf die Ölförderung im Niger-Delta bekannt. Öldiebe bringen ihre Beute in Tankern außer Landes. Zerbricht der nach der Amnestie 2009 eingekehrte relative Friede?

Illegaler Ölkocher in Yenagoa/ Nigeria Foto: Katrin Gänsler
Bild: Katrin Gänsler

Ärmlich gekleidete Menschen, einfache Häuser - in dem Gebiet der ersten Ölquelle Nigerias sieht es nicht besser aus als in den meisten Dörfern von Afrikas größter Volkswirtschaft. Aber immerhin gibt es hier einen historischen Ort von internationaler Bedeutung: "Oloibiri Brunnen Nummer 1" steht auf einem der Schilder vor einem umzäunten Gelände. Hier im heutigen Bundesstaat Bayelsa floss 1956 das erste Öl in ganz Westafrika. Heute hat der Bohrkopf ein eigenes Dach und ist vom Tourismus-Ministerium als Sehenswürdigkeit ausgewiesen. Das Land, auf dem die Ölquelle liegt, gehört Cleopas Iburu Amakuro, dem Oberhaupt des Idaomuno-Clans: "Ich war dabei als der Ölbrunnen gebohrt wurde", betont der Chief. Profitiert hätten er und seine Leute bis heute nicht von dem Reichtum unter ihrem Land.

Bohrkopf der ersten Ölquelle WestafrikasBild: DW/ Haussa

Auch Dorfbewohnerin Rose Enemia ist frustriert: "Als sie den Brunnen gebohrt haben, gab es keine Schule, keinen Strom, kein Trinkwasser und keine Arbeit", erinnert sie sich. Doch heute sehe es in Oloibiri und Umgebung fast genauso aus, klagt Enemia. Und ihre Nachbarin Ezibanye Iye ergänzt: "Ich habe hier noch nie etwas Gutes für die Gemeinde gesehen. Selbst wenn unsere Kinder ihren Schulabschluss machen, finden sie danach keine Arbeit."

Rebellion - erst friedlich, dann militant

Der Frust über die andauernde Armut hat die Bevölkerung ab Anfang der 1990er Jahre in den offenen Widerstand getrieben. Es begann mit der friedlichen Protest-Bewegung der Ogoni unter dem Schriftsteller Ken Saro-Wiwa. Nachdem der damalige Militärherrscher Sani Abacha den Aktivisten Saro-Wiwa 1995 hatte hinrichten lassen, erhob sich einige Jahre später die Jugend des Ijaw-Volkes. Die Ijaw zählen im Gegensatz zum kleinen Ogoni-Volk mehrere Millionen Menschen. Sie bildeten auch bewaffnete Gruppen. So erreichte der Widerstand schnell ein Niveau, der die Ölförderung Nigerias stark beeinträchtigte. Fast täglich griffen Bewaffnete Ölfördereinrichtungen an und zerstörten sie oder nahmen Geiseln. Erst 2009 gelang es dem damaligen Präsidenten Umaru Yar'Adua, mit den wichtigsten Gruppen ein Amnestie- und Entwaffnungsabkommen zu schließen. Maßgeblich daran beteiligt war Yar'Aduas damaliger Vize Goodluck Jonathan, selbst ein Ijaw aus dem Bundesstaat Bayelsa und nach dem Tod Yar'Aduas Nigerias erster Präsident aus dem Niger-Delta.

Ist der Frieden vorbei?

Einige Jahre blieb es relativ ruhig, die Ölförderung stieg wieder auf die gewohnten gut zwei Millionen Fass pro Tag und das Niger-Delta geriet als Problemzone aus dem Fokus. Nigeria hatte inzwischen mit dem islamistischen Terror der Sekte Boko Haram eine ganz andere Herausforderung zu bewältigen. Doch in jüngster Zeit haben sich die Rebellen der "Bewegung für die Gleichberechtigung des Niger-Deltas" (MEND) wieder zu Wort gemeldet und die Verantwortung für mehrere Sabotage-Akte und Anschläge übernommen. "General" Para Ekiyos, Führer einer bewaffneten Gruppe, droht ganz offen: "Mr. President kennt doch seine Jungs. Noch haben wir hier relative Sicherheit. Doch die Ijaw-Jugend kann sich in kürzester Zeit bewaffnen." Viele der jungen Männer seien schließlich ehemalige Soldaten oder Polizisten, betont Ekiyos.

Rose Enemia (l.) und Ezibanye Iye sehen keinen Fortschritt in ihrem DorfBild: DW/ Haussa

Im März 2014 musste der Shell-Konzern den wichtigen Öl-Verladeterminal Forcados schließen - wegen Sabotage an der Zuleitung. MEND bekannte sich dazu, zweimal die Unterwasserleitung mit Tauchern beschädigt zu haben. Offiziell begründen die Rebellen ihre Rückkehr zur Gewalt mit unerfüllten Versprechen aus dem Amnestie-Abkommen von 2009. Eine viel wichtigere Rolle spielt aber wahrscheinlich, dass im Februar 2015 die nächste Präsidentenwahl ansteht. Präsident Jonathan wird wohl erneut kandidieren und da wollen ihn "seine Jungs" daran erinnern, dass auch sie weiter am nationalen Kuchen teilhaben wollen.

Milliardengeschäft Öldiebstahl

Ein viel größeres Geschäft ist inzwischen allerdings der Diebstahl von Rohöl in großem Stil. Bis zu sechs Milliarden Dollar pro Jahr entgehen dem nigerianischen Staat inzwischen durch illegal abgezapftes Öl, schätzen Experten. "Wir haben neulich bei einem Einsatz eine Million Liter Rohöl beschlagnahmt", berichtet Konteradmiral Peter Agba von der nigeranischen Marine im Interview mit der DW. Außerdem habe seine Einheit in den vergangenen Monaten im Niger-Delta mehr als 260 illegale Raffinerien zerstört und zahlreiche Menschen verhaftet. Einerseits versuchen perspektivlose Jugendliche, sich mit dem Abzapfen von Rohöl und dem lebensgefährlichen Verarbeiten zu Benzin einen Anteil am Ölreichtum zu sichern. Anderseits hat der illegale Export von Rohöl in Nigeria längst Ausmaße erreicht, die ohne massive Beteiligung staatlicher Stellen nicht möglich wären. Orji Ngofa, der ein Komitee zur Bekämpfung des Öldiebstahls leitet, berichtet von der Verstrickung der Sicherheitskräfte. Soldaten würden immer wieder aussagen, dass sie ertappte Öldiebe der Polizei übergäben, denen das gar nichts ausmache. "Die bieten den Soldaten Geld an", erzählt Ngofa. "Wenn die ablehnen und sie der Polizei übergeben, treffen sie die Verhafteten schon vor dem Abend wieder. Die sagen dann: 'Das Geld, das ich euch angeboten habe, habe ich nun den Polizisten gegeben'."

Nigeria: Die Ölpest im Niger-Delta

05:43

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Die meisten Rebellen der MEND gaben 2009 ihre Waffen ab. Jetzt greifen sie wieder an.Bild: picture alliance/dpa

Andererseits werfen Kritiker der Regierung vor, mit den hohen Zahlen zum Öldiebstahl davon ablenken zu wollen, dass sie selbst große Summen aus dem Ölgeschäft verschwinden lasse. Zentralbank-Chef Sanusi Lamido Sanusi hatte erst im Dezember 2013 dem staatlichen Ölkonzern vorgeworfen, 20 Milliarden Dollar an Einnahmen nicht korrekt verbucht zu haben. Kurze Zeit später war Sanusi seinen Job los.

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