"Pushback" steht für das Zurückdrängen von Geflüchteten. Der Begriff verschleiere einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Asyl, so die Unwort-Jury.
Anzeige
Der aus dem Englischen stammende Begriff Pushback wurde zum "Unwort des Jahres 2021" gewählt. Es ist, wie auch schon im vergangenen Jahr, ein Begriff aus dem Bereich der Migrationspolitik. Er beschreibt das Zurückdrängen oder Zurückweisen von Geflüchteten an den Landesgrenzen. Mit dem Begriff werde ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt, begründete eine Jury ihre Wahl.
Außerdem wurden zwei weitere Worte als Unwörter hervorgehoben. Den zweiten Platz belegt der Begriff "Sprachpolizei", mit dem Menschen bezeichnet werden, die sich für eine gendergerechte, diskriminierungsfreie Sprache einsetzen. Platz drei geht nicht an ein einzelnes Wort, sondern an Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, die von Impfgegnerinnen, Impfgegnern oder den sogenannten "Querdenkern" verwendet werden. Darunter fallen Begriffe wie "Impfnazi" oder "Ermächtigungsgesetz" als Synonym für das Infektionsschutzgesetz. Solche Ausdrücke würden den Nationalsozialismus verharmlosen und die Opfer der NS-Diktatur verhöhnen.
Bürgerinnen und Bürger konnten Vorschläge einreichen
Rund 1300 Einsendungen hat die Jury der sprachkritischen Aktion gesichtet, die das "Unwort des Jahres" wählt. Bis zum 31.12.2021 konnten alle Bürgerinnen und Bürger Vorschläge einreichen. Ein Großteil der Begriffe drehte sich um die Corona-Pandemie, die uns seit zwei Jahren begleitet und für Spannungen in der Gesellschaft sorgt.
Die "Unworte des Jahres" von 2007 bis 2021
Seit 1991 benennt eine Jury das "Unwort des Jahres" und stellt damit besonders zynische Begriffe an den Pranger. Das waren die Unworte seit 2007:
Bild: Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa/picture alliance
2021: Pushback
Das Wort Pushback fiel 2021 immer wieder in den Debatten um die europäische Migrationspolitik. Es bezeichnet das Zurückdrängen von Geflüchteten an den Landesgrenzen durch Grenzschutzbeamte. Die Jury stellt sich gegen den Begriff, weil er einen menschenfeindlichen Prozess beschönige und selbst von Kritikerinnen und Kritikern dieser Abschiebepraxis unreflektiert verwendet werde.
Bild: Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa/picture alliance
2020: Corona-Diktatur
Der Ausdruck "Corona-Diktatur" wird seit Beginn der öffentlichen Diskussion um Pandemie-Maßnahmen von der "Querdenker"-Bewegung und rechtsextremen Propagandisten verwendet. Die Unwort-Jury findet, er stehe im Widerspruch zu den ausdrücklich in der Bundesrepublik erlaubten Demonstrationen und er verharmlose das Leben in tatsächlichen Diktaturen. Erstmals wählte die Jury außerdem ein zweites Unwort.
Bild: Imago Images/Eibner
2020: Rückführungspatenschaften
Diesen 41 mal vorgeschlagenen Begriff führte die EU-Kommission im September 2020 für einen neuen Mechanismus der Migrationspolitik ein: Mitgliedsstaaten, die sich weigerten, Geflüchtete aufzunehmen, sollen sich solidarisch zeigen, indem sie die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen. Dies als „Rückführungspatenschaften“ zu bezeichnen, hält die Jury für zynisch und beschönigend.
Bild: picture-alliance/dpa/I. Kjer
2019: Klimahysterie
2018 lag das Klima zwar auch schon im Argen, aber seitdem Greta Thunberg die weltweite "Fridays for Future"-Bewegung ins Rollen brachte, ist der Klimawandel in aller Munde. Und zwar so oft, dass Spötter und Kritiker despektierlich das Wort "Klimahysterie" prägten.
Bild: picture alliance/dpa/APA/H. Punz
2018: Anti-Abschiebe-Industrie
Diesen Begriff prägte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt im Mai 2018 in einem Interview zur Asyldebatte. Die Jury unter Leitung von Nina Janich (Foto) kürte den Ausdruck zum "Unwort des Jahres", weil Dobrindt damit denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützten, die Absicht unterstelle, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen zu wollen, um damit Geld zu verdienen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold
2017: Alternative Fakten
Wer kennt sie nicht - die "alternativen Fakten" von US-Präsident Trump. Erstmals nahm seine Beraterin Kellyanne Conway im Januar 2017 diese Worte in den Mund, um in der Polit-Talksendung "Meet the Press" eine falsche Aussage des damaligen Pressesprechers des Weißen Hauses, Sean Spicer, zu rechtfertigen: Es ging darum, dass die Amtseinführung Trumps angeblich die bestbesuchte überhaupt war.
Das Unwort des Jahres 2016 wurde aus 594 Vorschlägen ausgewählt. Diese Vokabel "ist ein typisches Erbe von Diktaturen, vor allem der Nationalsozialisten", urteilte die Jury 2016. Als Vorwurf gegenüber Politikern (hier: Sören Herbst von Bündnis 90/Die Grünen) sei das Wort diffamierend und würge die für die Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft ab.
Bild: Sören Herbst
2015: Gutmensch
Im Jahr 2015 spaltete die Flüchtlingsdebatte die Nation. Der Duden definiert jemanden als "Gutmensch", "der sich in einer als unkritisch, übertrieben oder nervtötend empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält". Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer so zu beschimpfen, diffamiere "Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd", urteilte die Jury.
Bild: Imago/C. Ohde
2014: Lügenpresse
Es gibt Begriffe, die nach Ansicht von Sprachkritikern niemand in den Mund nehmen sollte. Dazu gehört "Lügenpresse": Das Wort diente bereits im Ersten Weltkrieg als Kampfmittel, die Nationalsozialisten diffamierten so unabhängige Medien, und zuletzt schrieben Anhänger der Pegida-Bewegung das Wort auf ihre Plakate. Eine solch pauschale Verurteilung gefährde die Pressefreiheit, befand die Jury.
Bild: picture alliance/dpa/D.Naupold
2013: Sozialtourismus
"Mit dem Begriff wird von einigen Politikern und Medien gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht", war sich die Jury bei der Wahl des Unworts 2013 einig. Man unterstelle ihnen, Sozialleistungen abgreifen zu wollen. Die Kombination aus "sozial" und „Tourismus“ sei besonders polemisch, weil es suggeriere, die Zuwanderung aus Not sei eine Vergnügungsreise.
Bild: picture-alliance/dpa
2012: Opfer-Abo
Geprägt wurde der Begriff von dem prominenten Wetter-Moderator Jörg Kachelmann. Nachdem er in einem Vergewaltigungsprozess freigesprochen worden war, beklagte er sich in einem Interview, Frauen hätten in der Gesellschaft ein "Opfer-Abo". Die Jury (Bild: Nina Janich) kritisierte, dass er damit Frauen "pauschal und in inakzeptabler Weise" unter den Verdacht stelle, sexuelle Gewalt zu erfinden.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert
2011: Döner-Morde
Jahrelang kursierte das Wort, um die Morde an acht türkischen und einem griechischen Unternehmer zu benennen. Man ging von einer internen Fehde aus und verkannte, dass die Mordserie von der rassistischen Terrorgruppe NSU verübt wurde. Mit dem Wort "Döner", einer türkischen Speise, habe man rassistisch eine ganze Bevölkerungsgruppe bezeichnet und die Opfer diskriminiert, so die Jury.
2010: alternativlos
Geprägt wurde der Begriff von Kanzlerin Angela Merkel in Bezug auf die Finanzhilfe für das bankrotte Griechenland. Später sei das Wort "alternativlos" von Politikern inflationär gebraucht worden, so die Jury. Es suggeriere fälschlicherweise, "dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation" gebe.
Bild: picture alliance/dpa
2009: betriebsratsverseucht
In einer Fernsehsendung hatte der Angestellte eines Unternehmens öffentlich erklärt, dass Abteilungsleiter dieses Wort für Arbeitnehmer verwenden, die sich im Betriebsrat für ihre Interessen einsetzen. "Die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen stört zwar viele Unternehmen, sie als 'Seuche' zu bezeichnen, ist indes ein sprachlicher Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen", befand die Jury 2009.
Bild: picture alliance / dpa
2008: Notleidende Banken
Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf, begründete die Jury 2008 ihre Wahl. Die Banken seien mit ihrer Finanzpolitik die Verursacher der Krise, die Last hätten aber die Steuerzahler zu tragen. Die Banken als notleidende Opfer zu stilisieren, entspreche nicht der Realität.
Bild: picture-alliance/ dpa
2007: Herdprämie
Das Betreuungsgeld, das Eltern erhalten, die ihre Kinder zuhause erziehen, wurde von Kritikern der Finanzspritze in "Herdprämie" umgetauft. Damit degradiere man vor allem Frauen, auch solche, die der Kindererziehung zuliebe ihre Karriere unterbrechen oder aufgeben zu "Heimchen am Herd", befand die Jury und kürte das Wort zum schlimmsten sprachlichen Missgriff des Jahres 2007.
Bild: picture-alliance/ ZB
16 Bilder1 | 16
Die Jury setzt sich zusammen aus vier Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern, einer Journalistin und einem jährlich wechselnden Mitglied aus der Kultur- und Medienbranche. In diesem Jahr wurde das Unwort des Jahres erstmals in Marburg bekanntgegeben, da die Germanistin und Jury-Sprecherin Constanze Spieß an der hiesigen Universität lehrt. Die sprachkritische Aktion ist an keine Institution gebunden. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich.
Anzeige
"Rückführungspatenschaften" war eines der beiden Unwörter 2020
Mit der Wahl des Unworts soll für Sprache sensibilisiert werden. Anwärter für das Unwort des Jahres sind Begriffe, die gegen das Prinzip der Menschenwürde oder die Prinzipien der Demokratie verstoßen. Hinzu kommen Wörter, die einzelne Menschen oder gesellschaftliche Gruppen diskriminieren, die zynisch sind, in die Irre führen oder verschleiern, was sich eigentlich hinter einem Begriff bewirkt. Manche Wörter sind positiv aufgeladen, also euphemistisch, obwohl sie im Grunde etwas Negatives ausdrücken.
Ein Beispiel dafür ist der Begriff "Rückführungspatenschaften", der 2020 zu einem von zwei Unwörtern des Jahres gewählt wurde ("Corona-Diktatur" war das zweite). Die EU-Kommission nutzte das Wort für eine Maßnahme in der europäischen Migrationspolitik: Mitgliedsstaaten, die keine geflüchteten Menschen aufnehmen wollen, deren Asylanträge bereits in anderen Ländern abgelehnt wurden, sollen sich um die Abschiebung kümmern.