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Kunst

Pussy Riot: Keine Angst vor dem Dämon

Suzanne Cords | Julia Hitz
11. Mai 2022

Seit vielen Jahren protestieren Pussy-Riot-Aktivistinnen gegen Putins Politik - und kamen dafür ins Straflager. Jetzt wollen sie auf einer Europa-Tour Geld für die Ukraine sammeln.

Pussy Riot mit Sturmhauben auf der Bühne
Sie geben den Kampf gegen Putin nicht auf: Pussy Riot Bild: Paul Bergen/picture alliance/ANP

Das Künstlerinnen-Kollektiv Pussy Riot (etwa: Weiblicher Aufruhr) möchte provozieren und protestieren - gegen Russlands politisches System. Ihr Markenzeichen: bunte Sturmhauben. Ihr Gegner: Wladimir Putin. "Es gibt keine Perspektive für Russland mit Putin, diesem verrückten Mann, der auf Knopfdruck einen Atomkrieg auslösen könnte", sagt Pussy-Riot-Mitgründerin Maria Aljochina im DW-Interview. "Er sollte sofort verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden." Putin brauche einen permanenten Krieg, erklärt sie. "Das Regime will keinen Frieden. Die Menschen sollen permanent damit beschäftigt sein, zu überleben. Der Staat braucht den Krieg, er hat alles darauf aufgebaut, er kann ohne ihn nicht leben."

Sie will nicht glauben, dass Statistiken zufolge 80 Prozent der Russen den Krieg befürworten würden. "Da wir einen Strafrechtsartikel haben, der es verbietet, diesen Krieg als Krieg zu bezeichnen, sagen die Menschen nicht die Wahrheit", ist sie überzeugt. 

Maria Aljochina konnte kürzlich aus Russland fliehen. Die abenteuerlichen Umstände ihrer Flucht hat sie der "New York Times" geschildert. Von den russischen Behörden unter Hausarrest gestellt, entkam sie mithilfe eines Tricks: verkleidet als Mitarbeiterin eines Lieferdienstes. Ein Freund brachte sie dann zur EU-Grenze in Belarus. Doch hier war erstmal Schluss, denn ihr Pass war konfisziert und sie stand auf russischen Fahndungslisten.

Angst vor der russischen Führung hat Maria Aljochina nicht. "Wie könnte ich vor denen Angst haben? Sie sehen aus wie ein riesiger Dämon, aber im Innern sind sie sehr unorganisiert, korrupt und dumm." Erst nach einigen Tagen sei ihnen aufgefallen, dass die Pussy-Riot-Aktivistin das Land verlassen habe.

Tournee-Start in Berlin

Dank des befreundeten isländischen Performancekünstlers Ragnar Kjartansson kam sie an europäische Papiere - und konnte nach Litauen einreisen. In der Hauptstadt Vilnius sammelten sich mehr und mehr Pussy-Riot-Mitglieder, insgesamt sind es ein gutes Dutzend Frauen, und begannen für die Europa-Tournee zu proben, die am 12. Mai in Berlin beginnt. "Pussy Riot ist an verschiedenen Orten, in Russland und im Ausland", sagt Maria Aljochina. "Ich kann nicht sagen, wie viele Mitglieder wir haben. Es ist kein Verein. Wer Pussy-Riot-Aktivismus betreibt, gehört zu Pussy Riot. Wenn ihr etwas als Pussy Riot machen wollt, dann tut das!"

 
Die Frauen zeigen sich solidarisch mit der Ukraine. Erst im Februar versteigerten sie virtuelle Anteile an einem Bild von der blau-gelben Flagge des von Russland überfallenen Landes, sogenannte NFTs. Die Aktion brachte bereits in den ersten 24 Stunden drei Millionen US-Dollar ein, die Pussy Riot an "Come back alive" spendete. Die Nichtregierungsorganisation stattet ukrainische Soldatinnen und Soldaten mit technischem Gerät wie Nachtsichtgeräten und Wärmebildkameras aus. Auch die Konzerteinnahmen sollen in die Ukraine fließen.

Sturmhauben sind nicht mehr Pflicht, der Kampf gegen Putin schon: Maria Aljochina singt für den FriedenBild: picture alliance/Geisler-Fotopress

Wie alles begann 

Rückblick: 2011 gegründet, kämpfen Pussy Riot anfangs mit Guerilla-Punk-Rock-Auftritten in der U-Bahn oder vor dem Kreml für Frauenrechte und die queere Community und protestieren gegen jegliche Form der Unterdrückung. Anfang 2012 prangern sie in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale die enge Verbindung der russisch-orthodoxen Kirche mit Kremlchef Putin an. Die Reaktion des Kremls lässt nicht lange auf sich warten: Die Frontfrauen Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, die öffentlichen Gesichter der Gruppe, werden trotz internationaler Proteste zu zwei Jahren Straflager in Sibirien verurteilt - wegen "Rowdytum aus religiösem Hass".

Das Bild ging um die Welt: Pussy Riot protestieren in der Moskauer Kathedrale gegen PutinBild: Mitya Aleshkovsky/TAR-TASS/dpa/picture alliance

Der Kampf geht weiter 

Zum Schweigen lassen sie sich trotzdem nicht bringen: Mit Hungerstreiks protestieren sie in der Haft gegen Misshandlungen und Schikanen, beschreiben in Briefen die unmenschlichen Bedingungen vor Ort. Kaum entlassen - aufgrund einer Amnestie schon vorzeitig Ende 2013 - erklären sie, sich zukünftig für die Rechte der Inhaftierten im Land einzusetzen. Sie rufen zur Solidarität mit Gefangenen auf, die wegen ihres Widerstands gegen das Putin-Regime bestraft wurden. Zu zweit gründen sie Mediazona, ein Medienprojekt, welches das Strafvollzugs- und Justizwesen Russlands kritisch in den Fokus stellt, und die NGO "Zone des Rechts", die juristische Hilfe für Inhaftierte organisieren soll.

Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa (r) bei ihrem Prozess 2012Bild: Maxim Shipenkov/EPA/picture alliance/dpa

Im Ausland bringen ihnen ihre Aktionen viel Anerkennung ein: Sie treten von London über Berlin bis Madrid und New York auf - und sogar im Europa-Parlament, wo Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina 2014 Sanktionen gegen Moskau fordern. Doch in ihrer Heimat werden sie von der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen - von Putins Agenten allerdings umso mehr. Schon 2014, als sie für ihr Engagement mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet werden, berichten sie der DW von permanenter Überwachung: von Männern, die sie beobachten und sich verdächtig verhalten.

Russland zieht die Daumenschrauben an

Die Repressalien gegen freie Meinungsäußerungen werden in Russland immer extremer. Meist ist die mediale Aufmerksamkeit gegenüber Pussy Riot gering, die regimetreuen Staatssender schweigen die Gruppe tot oder berichten über ihre Haftstrafen. Das Künstlerkollektiv ändert die Form seines Protests: Es sind kleine Nadelstiche, die Pussy-Riot-Mitgliedern immer wieder Festnahmen bescheren. Auch Männer sind mittlerweile mit von der Partie.
Maria Aljochina sitzt nach einem Konzert in einem französischen Bistro, als vier Aktivistinnen beim Endspiel der Fußball-WM 2018 in Moskau in der zweiten Halbzeit vor den Augen der Welt über das Spielfeld rennen. Sie werden noch im Stadion festgenommen. Auf der offiziellen Facebook-Seite outet sich Pussy Riot als Drahtzieher und fordert von der russischen Regierung die Freilassung politischer Gefangener. Außerdem veröffentlichen sie ein Lied über einen "freundlichen Polizisten": Es sei ein "utopischer Traum von einer alternativen politischen Wirklichkeit", teilt die Gruppe mit. 2020 befestigen sie zu Putins Geburtstag am 7.Oktober Regenbogenfahnen an Regierungsgebäuden in Moskau.

Im Sommer 2021, kurz vor den Duma-Wahlen in Russland, fliehen zahlreiche Pussy-Riot-Mitglieder wegen sich zuspitzender Repressalien ins Nachbarland Georgien: Diejenigen, die bleiben, stehen unter Hausarrest, werden zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt und zu ausländischen Agenten erklärt.

"Jeder kann Pussy Riot sein" steht auf diesem T-Shirt Bild: picture alliance/dpa

Auch Maria Aljochina wird mehrfach unter Hausarrest gestellt. Allein ihre Aufrufe zu Demonstrationen für den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny im September 2021 bescheren ihr ein Jahr massiver Freiheitsbeschränkung. Jetzt hat auch sie Russland verlassen, Mitstreiterin Nadeschda Tolokonnikowa wohnt mittlerweile in den USA.

Beeindruckende Performance: "Riot Days" 

Trotz des wachsenden Drucks will das Kollektiv weiter gegen Putins Russland aufbegehren. Das Projekt "Riot Days", mit dem das Kollektiv jetzt auf Tour geht, basiert auf dem gleichnamigen Buch von Maria Aljochina. Darin berichtet sie von ihren Erfahrungen als Performerin bei Pussy Riot, vom Leben im Straflager und dem immerwährenden Kampf gegen die Unterdrückung. Elektrische Sounds, Sprechgesang und Live-Musik erzählen in einem Crossover aus Konzert, Kundgebung und Theater eine beeindruckende Geschichte von Widerstand, Repression und Revolution. Eins wird dabei mehr als deutlich: Pussy Riot lieben ihre Heimat. Doch in den Augen vieler Russen sind sie Verräterinnen.

Maria Aljochina ist es gewöhnt, abgeführt zu werden. Sie steht regelmäßig unter HausarrestBild: Mikhail Tereshchenko/TASS/picture alliance/dpa
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