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Politik

Putin 4.0 - ein Präsident in Kriegszeiten

Roman Goncharenko
11. Dezember 2017

Wladimir Putin kandidiert erneut für das Präsidentenamt. Sein Programm ist noch unbekannt. Zuletzt schwor er Russland - scheinbar nebenbei - auf Kriegszeiten ein. Wahlkampfrhetorik oder mehr?

Putin steigt in den Panzer (Archivbild)
Bild: Alexey Druzhinin/AFP/Getty Images

Hat Russland "plötzlich einen Befehl erhalten, sich auf einen Krieg vorzubereiten"? Mehrere russische Medien, darunter die liberale Moskauer Zeitung "Nowaja Gaseta" rätselten Ende November, was aus zwei kurz aufeinander folgenden Nachrichten zu schließen sei. Zunächst sorgte Waldimir Putin für Aufregung, indem er in seiner Bilanz zur Militärübung "Sapad 2017" sagte, staatliche und private Betriebe sollten bereit sein, ihre Produktion in Kriegszeiten schnell zu erhöhen. Einige Tage später tauchte in sozialen Netzwerken eine Anweisung an Schulen im sibirischen Gebiet Krasnojarsk auf, sich auf Arbeit in Kriegszeiten vorzubereiten. Das Papier erwies sich als echt, wurde jedoch von Behörden als "Routine" abgetan.

Mobilisierung im Wahlkampf

Kriegsrhetorik ist nichts Neues im heutigen Russland, dessen Regierung immer wieder betont, das Land sei vom Westen bedroht. Und doch waren viele überrascht. Die "Nowaja Gaseta" sieht die für März 2018 geplante Präsidentenwahl als einen möglichen Grund für die jüngsten Äußerungen des Kreml-Chefs. Dass Putin zum vierten Mal antreten wird, galt lange als offenes Geheimnis, bis der Präsident es am vergangenen Mittwoch (6.12.2017) selbst gelüftet hat.

Auch manche Sicherheitsexperten verweisen auf die bevorstehenden Wahlen. "Ich glaube nicht, dass sich Russland auf einen Krieg vorbereitet", sagt der britischer Historiker und Mitarbeiter des Instituts für internationale Beziehungen in Prag, Mark Galeotti. "Das ist in Wirklichkeit ein zentraler Bestandteil von Putins Legitimationsnarrativ, dieses ständige Trommeln, das suggeriert, die Außenwelt sei feindlich und man müsse alle Ressourcen in die Verteidigung des Vaterlands stecken." Mit der kommenden Wahl werde Moskau genau das herausstellen, um die Wähler zu mobilisieren.

Mobilisierung als Teil der Sicherheitsstrategie

Der Militärexperte Stephen Blank von der US-Denkfabrik American Foreign Policy Council teilt die Wahlkampfthese, sieht aber Putins Kriegsrhetorik als Teil eines größeren Musters. "Die russische Regierung glaubt seit Jahren, Russland sei im Krieg mit dem Westen", sagt der Russland-Kenner. Mobilisation sei ein wichtiger Teil der russischen Sicherheitsstrategie.

Ähnlich sieht es Alexander Golts. "Die Darstellung Russlands als 'belagerte Festung' ist ein ideales Umfeld für den Präsidentschaftswahlkampf", sagt der Moskauer Militär-Experte. "Das Problem ist nur, dass diese Rhetorik und diese Vorbereitung auf einen Krieg nach der Wahl nicht verschwinden werden." Sie würden noch lange eine der Prioritäten der russischen Führung bleiben.

Wende nach der Krim-Annexion

In Russland habe sich die Sichtweise durchgesetzt, dass ein Krieg möglich sei und man sich darauf richtig vorbereiten sollte, sagt Golts. Eine entscheidende Rolle habe dabei die Krim-Annexion 2014 und "die Teilnahme an einem geheimen Krieg" in der Ostukraine gespielt. Golts geht wie viele Beobachter davon aus, dass Russland auf Seiten der Separatisten in Donezk und Luhansk militärisch eingegriffen hat. Russland bestreitet dies.

Prorussische Separatisten in der Nähe von Donezk Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Ghirda

"Die Kriegsvorbereitung wird ähnlich wie zur Sowjetzeit geführt - durch Mobilisation", sagt Golts. In den geheimen Anweisungen an Schulen könne zum Beispiel stehen, dass sie zunächst als Sammelpunkte für einberufene Reservisten und später als Krankenhäuser dienen sollen. Der Gegner in einem möglichen Krieg sei laut Golts der Westen, denn "die wichtigsten Streitkräfte Russlands werden nach Westen und Südwesten verlegt." Zurzeit baut die russische Armee drei neue Divisionen zwischen Smolensk und Rostow, also entlang der Grenze zur Ukraine, auf - als Schutz gegen die NATO, so Moskau. Ebenfalls im Westen Russlands wurde eine Panzerarmee neu aufgestellt. Stephen Blank meint, dass auch die Ukraine für Moskau "Teil des Westens" sei.

Brot und Bunker

Seit der Krim-Annexion 2014 hat Russland die Modernisierung seiner Streitkräfte beschleunigt. Bereits davor, Ende 2013, hatte das Verteidigungsministerium mitgeteilt, in Moskau eine moderne Kommandozentrale zu bauen, die im Kriegsfall auch den historisch geprägten Namen "Stawka" (Hauptquartier) tragen soll. Schon damals rätselten russische Journalisten, ob sich das Land auf einen Krieg vorbereite. Die Kommandozentrale wurde in Rekordtempo gebaut und Ende 2014 eingeweiht. Nun sehen Russen diese augenscheinliche High-Tech-Schaltstelle fast täglich im Fernsehen, wenn es etwa um den russischen Militäreinsatz in Syrien geht.     

Auch andere Lebensbereiche werden für den Ernstfall vorbereitet. Besonders 2016 kamen viele Nachrichten, in den von einer "Kriegszeit" die Rede war. So wurden bei einer Militärübung unter anderem die russischen Finanz- und Kommunikationssysteme getestet. Bei einer anderen wurde überprüft, wie Militärs die zivile Verwaltung übernehmen. Berichte aus Sankt Petersburg über geplante Reserven von Lebensmitteln, darunter Brotrationen, oder wieder einsatzbereit gemachte Bunker in Moskau sorgten für Schlagzeilen. Als eine der jüngsten Maßnahmen änderte das Parlament im Februar 2017 das Mobilisierungsgesetz und machte Amtsträger in den Regionen persönlich für die Einberufung im Kriegsfall verantwortlich.

Wegen mysteriöser Bombendrohungen im Herbst mussten Tausende in ganz Russland evakuiert werden Bild: Reuters/S. Karpukhin

Unklar ist, ob auch die Massenevakuierungen im Herbst Teil der Vorbereitungen waren. Ganz Russland rätselte, warum zehntausende Menschen landesweit aus Einkaufszentren, Schulen oder Kinos in Sicherheit gebracht wurden. Von den Behörden hieß es, dahinter hätten keine Übungen, sondern anonyme Bombendrohungen gesteckt.

"Aggressive Form der Defensive"

Mark Galeotti hält Russlands Handeln für einen "Teil der Modernisierung" im Sicherheitsbereich. "Wenn ich in Moskau mit Menschen aus Sicherheits- und Militärkreisen spreche, dann glauben sie wirklich, dass Russland in Gefahr sei und der Westen, allen voran die USA, versuche, Russlands Position als Großmacht zu untergraben und einen weichen Regimewechsel herbeizuführen", sagt der Experte für russische Sicherheitspolitik. "An diesen Unsinn wird wirklich geglaubt", sagt Galeotti. "Was wir sehen, ist eine aggressive Form der Defensive". Das sei besorgniserregend, sagt der Brite.

Die "Nowaja Gaseta" zitiert angesichts der aktuellen Lage Anton Tschechow. "Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert", schrieb der russische Literat einst. Das Gewehr sei nun "feierlich aufgehängt" worden, so ein Kolumnist über Putins Kriegsrhetorik.

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