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Putin bestätigt indirekt Tod von "Wagner-Chef" Prigoschin

Veröffentlicht 24. August 2023Zuletzt aktualisiert 24. August 2023

Der russische Präsident kondolierte der Familie des mutmaßlich bei einem Flugzeugabsturz getöteten Söldner-Chefs Prigoschin. Man müsse die Ermittlungen abwarten, sagte Wladimir Putin in einer Stellungnahme im Fernsehen.

Ein Standbild aus einem Video, das vom Telegram-Kanal "Razgruzka Vagnera" am 21.08.2023 veröffentlicht wurde, zeigt Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnergruppe Wagner, in Tarnkleidung und mit Gewehr in der Hand an einem unbekannten Ort
Jewgeni Prigoschin kam allem Anschein nach bei einem Flugzeugabsturz ums LebenBild: Razgruzka_Vagnera telegram channel/AP/dpa/picture alliance

Eine offizielle Bestätigung zum Tod des Wagnergruppen-Chefs kam nicht vom russischen Präsidenten. Wladimir Putin formulierte stattdessen vorsichtig, dass ersten Erkenntnissen zufolge ein Flugzeug mit Angehörigen der Privatarmee Wagner abgestürzt sei. 

Der russische Präsident würdigte Jewgeni Prigoschin als begabten Geschäftsmann. Zu der Ursache des Absturzes sagte Wladimir Putin, die Ermittlungen würden Zeit in Anspruch nehmen. Es war das erste Mal, dass sich Putin zu dem Absturz äußerte. 

Kreml-Chef Putin: "Prigoschin hat schwere Fehler begangen"

Prigoschin "war ein Mann mit einem komplizierten Schicksal, der in seinem Leben schwere Fehler begangen hat, aber die notwendigen Ergebnisse erzielte", sagte Putin bei einer im Fernsehen übertragenen Sitzung. Die bei dem Flugzeugabsturz vermutlich gestorbenen Mitglieder der Wagner-Gruppe hätten einen "bedeutenden Beitrag" zur "Militäroffensive in der Ukraine" geleistet. Die Ermittlungen zum tödlichen Absturz des Flugzeugs würden "bis zum Ende" geführt, versprach der russische Präsident.

Prigoschins Privatflugzeug war am frühen Mittwochabend in der russischen Region Twer abgestürzt. Nach Angaben des Katastrophenschutzministeriums überlebte keiner der zehn Insassen.

Einsatzkräfte tragen die Opfer des Flugzeugabsturzes von der Absturzstelle wegBild: AP Photo/picture alliance

Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiatsija erklärte, dass sich Prigoschin an Bord des Flugzeugs auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg befunden habe. Die Behörden gaben den Tod des Wagner-Chefs jedoch nicht formell bekannt, die Leichen seien noch nicht identifiziert worden. Auch zur Absturzursache gibt es noch keine offiziellen Angaben. Die russischen Behörden leiteten Ermittlungen ein.

Telegram-Kanal Grey Zone spricht von Abschuss

Am Tag nach dem Absturz des Privatjets gab es viele Trauerbekundungen in Russland. Zugleich mehrten sich Spekulationen zur Ursache. So berichtete unter anderem der russische Telegram-Nachrichtenkanal Shot unter Berufung auf Ermittlerkreise, dass der Absturz womöglich durch eine Bombe im Bereich des Fahrgestells ausgelöst worden sei.

Als erster hatte der Telegram-Kanal Grey Zone den Tod des Gründers und Leiters der russischen Söldner-Truppe Wagner bei einem  Flugzeugabsturz in Russland  gemeldet. Prigoschin hatte den Telegram-Kanal immer wieder zur Verbreitung seiner Videos genutzt. Grey Zone verbreitete auch früh die Version eines gezielten Abschusses durch die russische Luftwaffe. "Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands", hieß es in einem Grey-Zone-Post.

US-Regierung: Prigoschins Tod bei Flugzeugabsturz wahrscheinlich

Die- Die US-Regierung hält es für wahrscheinlich, dass Prigoschin, bei dem Flugzeugabsturz getötet wurde. Laut der ersten US-Einschätzung, die auf verschiedenen Faktoren beruhe, sei Prigoschin vermutlich bei dem Absturz der Maschine ums Leben gekommen, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder, am Tag nach dem Absturz bei einer Pressekonferenz im Pentagon. Berichte über einen Abschuss durch eine Rakete bezeichnet er jedoch als falsch. Es gebe "keine Informationen die nahelegen, dass es eine Boden-Luft-Rakete gab", sagte Ryder.

Trümmer des abgestürzten Kleinflugzeugs in der Region Twer Bild: Investigative Committee of Russia/Handout/REUTERS

Die Maschine vom Typ Embraer Legacy 600 sollte von Moskau nach St. Petersburg fliegen, wo Prigoschins Firmen ihren Sitz haben. Sie stürzte nahe des Orts Kuschenkino mehr als 200 Kilometer von Moskau entfernt ab. Laut Grey Zone war noch ein zweites Flugzeug der Privatarmee auf dem Flug von Moskau nach St. Petersburg. Dieses habe kehrtgemacht und sei im Flughafen Ostafjewo südlich von Moskau gelandet.

Zwei Monate nach Prigoschins Putsch gegen Moskau

Auf den Tag genau zwei Monate vor dem Flugzeugabsturz hatte Prigoschin mit seiner Privatarmee Wagner gegen die russische Führung gemeutert. Bei dem Vormarsch auf Moskau forderten die Meuterer die Ablösung von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Prigoschin griff aber auch Präsident Putin selbst an, der den Wagner-Chef daraufhin als Verräter bezeichnete.

Die Meuterei endete kurz darauf, wobei die Hintergründe bis heute unklar sind. Prigoschin und Tausende seiner Bewaffneten gingen formal nach Belarus.  Prigoschin hatte lange Zeit als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegolten.

Anteilnahme in Sankt Petersburg zum mutmaßlichen Tod von Wagnergruppen-Chef PrigoschinBild: Str/AFP/Getty Images

Massenhaft Blumen für den Söldner-Chef - und ein Vorschlaghammer

Prigoschins Anhänger reagierten mit Trauer und Wut auf die Nachricht vom mutmaßlichen Tod des 62-Jährigen. Am Café "Patriot" in St. Petersburg, das viele Einwohner der Stadt mit Prigoschin und seiner Wagner-Truppe verbinden, seien massenhaft Blumen niedergelegt worden, berichtete die Tageszeitung Kommersant. Auch aus anderen russischen Städten wie Nowosibirsk wurde von Trauer- und Gedenkaktionen berichtet. 

Ein Meer aus Blumen für Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin Bild: Str/AFP/Getty Images

Am früheren Wagner-Firmensitz in St. Petersburg wurden neben Blumen auch ein Vorschlaghammer niedergelegt, teilte der Telegram-Kanal Grey Zone mit. Der Vorschlaghammer gilt als grausiges Erkennungszeichen der Wagner-Söldner, nachdem ein Video Angehörige der Gruppe zeigte, die damit einen angeblichen Überläufer ermordeten.

Kiew dementiert Beteiligung

Ein potenzieller weiterer Verdächtigter wies jegliche Verantwortung zurück, in einen Anschlag auf Prigoschin verwickelt zu sein. Die Ukraine hat laut Präsident Wolodymyr Selenskyj nichts mit dem möglichen Tod der Wagner-Führung zu tun. "Alle begreifen, wer daran beteiligt ist", sagte Selenskyj vor Journalisten in einer offensichtlichen Anspielung auf eine Verantwortung des Kremls in Moskau.

Baerbock: "Keine schnellen Schlüsse ziehen" 

Deutschlands Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte in einer ersten Stellungnahme vor voreiligen Spekulationen  gewarnt. Der Flugzeugabsturz sei erst einige Stunden her, deswegen könne man "keine schnellen Schlüsse ziehen", sagte Baerbock im Deutschlandfunk. Der Vorfall unterstreiche aber, "dass ein System, dass eine Macht, dass eine Diktatur, die auf Gewalt gebaut ist, dass sie eben auch intern nur Gewalt kennt". Das habe man "auf traurige, dramatische Art und Weise in den Vorjahren schon gesehen, wo Oppositionelle, wo Journalisten, wo einfache Menschen aus dem Fenster gefallen sind oder vergiftet worden sind".

Der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, sagte mit Blick auf den gescheiterten Aufstand Prigoschins der "Bild"-Zeitung: "Prigoschin hat in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben." In Onlinenetzwerken erklärte Podoljak, der Flugzeugabsturz sei "ein Signal Putins an die russischen Eliten" vor der Präsidentenwahl 2024. Es bedeute "Vorsicht! Illoyalität bedeutet Tod".  

Biden ist nicht überrascht

Auch US-Präsident Joe Biden zeigte sich "nicht überrascht" vom möglichen Tod des Wagner-Chefs. Er habe kürzlich mit Blick auf den russischen Söldnerchef gesagt, dieser müsse "vorsichtig" sein. Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. "Dass Prigoschin seinen Angriff auf Putin mit dem Leben bezahlen wird, davon war auszugehen: Ein Teufel, der sich mit dem Teufel einlässt", sagte Strack-Zimmermann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es zeige aber auch, "dass offensichtlich große Nervosität bei Putin und seinen Schergen im Kreml herrscht".

CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter vermutet, dass der russische Präsident Putin den Tod des Wagner-Chefs beauftragt hat. "Es war eine Frage der Zeit", sagte er dem Sender RTL. Dass es jetzt so rasch gegangen sei und auch noch zehn weitere Tote in Kauf genommen wurden, "zeigt die Brutalität des Systems Putin", so Kiesewetter. Die mutmaßliche Ermordung Prigoschins sei eine "Warnung" auch für Deutschland, betonte Kiesewetter. Man müsse sich im Klaren sein, dass dieses System nicht verhandele und "nur die Sprache der Stärke versteht."

Zunächst keine Stellungnahme der EU 

Die Europäische Union wollte den mutmaßlichen Tod Prigoschins vorerst nicht kommentieren. Man habe die Berichte über den Flugzeugabsturz gesehen, aber die Informationen ließen sich nur sehr schwer verifizieren, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Dienstes in Brüssel. "Kaum etwas, was in diesen Tagen aus Russland kommt, ist glaubwürdig." Zu möglichen politischen Folgen der jüngsten Entwicklungen wollte sich der Sprecher ebenfalls nicht äußern: "Zum derzeitigen Zeitpunkt wäre das reine Spekulation", erklärte er.

Zentralafrikanische Republik reagiert gelassen

Auch in der Subsahara-Region in Afrika wird der Flugzeugabsturz zwischen Moskau und St. Petersburg genau beobachtet. Denn die Wagner-Gruppe ist in Ländern wie Mali oder der Zentralafrikanischen Republik sehr aktiv. Fidèle Gouandjika, ein Berater des Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, Faustin-Archange Touadéra, zeigte sich in der DW gelassen. Es werde sich nichts an den Beziehungen ändern, sagte er der Deutschen Welle. "Wir haben ein Verteidigungsabkommen mit Russland und ich denke, dass die Paramilitärs, die bei uns sind, ihre Arbeit wie bisher weiterführen werden - sie werden einen anderen Chef finden." 

Prigoschins mutmaßlicher Tod "unterstreicht Putins Schwäche" 

Stephen Hall, Dozent für russische und postsowjetische Politik an der Universität Bath in Großbritannien, erläuterte in einem Interview der Deutschen Welle die möglichen Auswirkungen der Ereignisse. "Ich denke, dies ist ein Signal an diejenigen in den Eliten, die vielleicht unzufrieden sind: 'Tut nicht, was Prigoschin getan hat, denn es wird schlecht für euch enden.'"

Und weiter: "Prigoschin war wahrscheinlich bei einigen Eliten beliebt, weil er ein Patriot war. Ich glaube nicht, dass die meisten Eliten ihn wirklich mochten, aber er war ein Patriot. Es ist also gewissermaßen ein Zeichen der Schwäche Putins, dass er sich auf diese Weise gegen Prigoschin stellen musste."

ww/se/cw/uh (dpa, afp, rtr, ap, dw) 

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