Putin-Gegner unter Druck
18. August 2012Die Staatsanwaltschaft wirft dem berühmten Schachspieler und prominenten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin vor, einen Polizisten gebissen zu haben. Zu dem Vorfall sei es bei den Protestkundgebungen rund um das Gerichtsgebäude gekommen, in dem am Freitag drei Musikerinnen der Punkband "Pussy Riot" zu jeweils zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden waren. Kasparow selbst wies die Anschuldigung zurück.
Weltweite Kritik
Insgesamt hatte die Polizei bei den Protesten rund um das Gericht knapp 100 Menschen vorübergehend festgenommen. Die Europäische Union (EU) und die USA übten unterdessen deutliche Kritik an dem Urteil. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, die zweijährige Haftstrafe für Pussy Riots sei "unverhältnismäßig" und ein weiterer Versuch, Oppositionelle einzuschüchtern.
Es stelle sich die Frage, ob Russland internationale Standards für unabhängige Gerichtsprozesse respektiere. Es handele sich um einen neuen Fall politisch motivierter Einschüchterung und strafrechtlicher Verfolgung von Aktivisten in der Russischen Föderation, betonte Ashton. Dieser Trend bereite der EU zunehmend Sorgen.
Die USA schlossen sich der Wortwahl an. Man könne zwar verstehen, dass das Verhalten der Gruppe für manche "anstößig" gewesen sei. "Aber wir sind ernsthaft besorgt darüber, wie diese jungen Frauen vom russischen Justizsystem behandelt wurden", erklärte ein Regierungssprecher in Washington. Die Frauen waren nach einer Aktion gegen Präsident Wladimir Putin in einer Kirche wegen Rowdytums aus religiösem Hass zu zwei Jahren Haft verurteilt worden.
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle wertet die Strafe als "zu hart". Der FDP-Politiker fragt rhetorisch in einem Gastbeitrag für die Onlineausgabe der Bild-Zeitung: "Urteilt so ein Rechtsstaat ?" Er könne alle verstehen, die daran zweifelten. Ein starkes Land wie Russland müsse so viel künstlerische Freiheit aushalten. Es sei zu befürchten, dass von dem Urteil "ein negatives Signal für Künstler und Bürger in Russland" ausgehe - ein "Signal der Einschüchterung". Demokratie ohne Freiheit sei jedoch unmöglich, schrieb Westerwelle.
Solidarität für Pussy Riot
Auch in Russland gab es Kritik. Der Schuldspruch sei ein "gefährlicher Präzedenzfall", sagte der Menschenrechtsbeauftragte des Kreml, Michail Fedotow. Bürgerrechtler zeigten sich entsetzt. Das Urteil sei eine "demonstrative Vernichtung der Justiz", sagte der Blogger und Oppositionsführer Alexej Nawalny.
Weltweit demonstrierten Menschen für eine Freilassung von Pussy Riot. In New York führte die Polizei mehrere Anhänger wegen Ruhestörung ab. In Berlin ketteten sich sechs Sympathisanten aus Protest gegen den Schuldspruch an den Zaun der russischen Botschaft. In vielen Städten stülpten zahlreiche Anhänger der jungen Frauen Denkmälern bunte Sturmhauben über, das Markenzeichen von Pussy Riot. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew fällte eine Aktivistin der feministischen Gruppe Femen ein großes Holzkreuz mit einer Motorsäge.In Warschau zogen etwa 150 Demonstranten vor die russische Botschaft.
Mini-Auftritt mit Riesenwirkung
Die 22-jährige Nadeschda Tolokonnikowa, die 24-jährige Maria Alechina und die 30-jährige Jekaterina Samuzewitsch hatten bei einem sehr kurzen Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im Februar den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Kirill, als "Hund" bezeichnet und die Gottesmutter Maria angefleht, Putin zu vertreiben, der kurz darauf ein drittes Mal zum Präsidenten gewählt wurde.
Neuer Anti-Putin-Song
Kurz nach dem harten Urteil gegen drei ihrer Mitglieder griff die russische Punkband Pussy Riot in einem neuen Lied Kremlchef Wladimir Putin abermals an. "Das Land geht auf die Straße mit Mut/ Das Land sagt dem Regime Auf Wiedersehen", heißt es in dem Song "Putin entzündet das Feuer der Revolution". Den Text der "Single zum Urteil" sowie ein Video ließ die Gruppe ins Internet stellen.
Unklar ist, ob die drei Musikerinnen ihre Haftstrafe tatsächlich komplett absitzen müssen. Russische Medienvertreter äußerten die Erwartung, dass die Strafe von jeweils zwei Jahren Lagerhaft reduziert werde. Nach der Berufung durch die Verteidiger werde das zuständige Moskauer Gericht vermutlich die Strafe in ein Jahr verwandeln, lautet zumindest die Einschätzung der Zeitung "Komsomolskaja Prawda".
haz/ml/nis (afp, dapd, rtr, dpa)