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Politik

Putins Erntedankfest mit Fragezeichen

Roman Goncharenko
22. Dezember 2016

2016 scheint aus der Sicht des russischen Präsidenten vor allem außenpolitisch erfolgreich zu sein. Doch die von Putin angestrebte und sich abzeichnende neue Weltordnung birgt auch Risiken. Eine Bilanz.

Russland - Vladimir Putin auf Feld
Bild: Getty Images/AFP/A. Druzhinin

Wäre Wladimir Putin ein Bauer, könnte er jetzt ein Erntedankfest feiern. Die Saat, die der russische Präsident gepflanzt und gepflegt hat, tragen am Jahresende so viele Früchte wie selten zuvor. So sehen es viele westliche Experten und Medien, die 2016 als "ein Superjahr" für den Kreml beschreiben (FAZ). Auch in Russland stellte sogar die sonst kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta" fest, dass es wohl für die meisten Russen "das erfolgreichste Jahr" gewesen sei: "Ein Jahr ohne Erschütterungen". Diese Einschätzung erwies sich jedoch als verfrüht. Putins scheinbar rosige Jahresbilanz überschattete schreckliches Attentat in Ankara, wo ein türkischer Polizist Russlands Botschafter hinterrücks erschossen hat. Der Mörder bezeichnete die Tat als Rache für das russische Vorgehen im Syrien-Konflikt. Wegen des Begräbnisses des Diplomaten ließ der Kreml-Chef seine große Jahrespressekonferenz von Donnerstag auf Freitag verlegen. 

Aleppo gewonnen, Palmyra verloren 

Es ist vor allem die derzeitige Weltpolitik, die für Putin - aus seiner Sicht - erfolgreich läuft. Dabei gab es Ereignisse, bei denen Russland eine aktive Rolle spielte, und solche, wo Moskau Einfluss verdächtigt wird. Schließlich gab es auch rein zufällige Entwicklungen, die Moskau erfreuen dürften. 

Zu der ersten Gruppe zählt Syrien. Moskaus militärische Hilfe für Präsident Baschar al-Assad, dem eine Niederlage im Krieg gegen die Aufständischen gedroht hatte, brachte eine Wende. Als der bisherige Höhepunkt gilt der Fall von Aleppo.

Für Jens Siegert ist Syrien "der wesentliche außenpolitische Erfolg" Putins, der allerdings bereits 2015 eingeleitet worden sei. "Russland ist damit zu einem Spieler auf der höchsten internationalen Ebene geworden", sagt der ehemalige Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahe steht.

Ähnlich sieht es Alexander Rahr, Berater von Gazprom und Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums. Rahr warnt jedoch, dass der Krieg in Syrien noch nicht zu Ende sei: "Man wird die Rolle Russlands daran messen, wie die Sache ausgeht".

Zwei Monate nach dem Konzert in der Palmyra hat Putin die Musiker Sergej Roldugin und Valery Gergiev mit Orden geehrt.Bild: picture-alliance/dpa/M. Voskresenskiy

Dass nicht alles nach Moskaus Plan läuft, zeigte Palmyra. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) besetzte im Dezember wieder die Stadt, aus der sie ein halbes Jahr zuvor mit der Hilfe der russischen Armee vertrieben worden war und wo ein russisches Symphonieorchester medienwirksam gespielt hatte.  

Sieg des Pragmatismus mit der Türkei

Auch die überraschend schnelle Beilegung des Konflikts mit der Türkei dürfte Putin als großen Sieg verbuchen. Das sonst sehr freundschaftliche Verhältnis verschlechterte sich rapide nachdem die türkische Luftwaffe Ende November 2015 einen russischen Bomber an der Grenze zu Syrien abgeschossen hatte. Russland reagierte mit Wirtschaftssanktionen. Erst die schriftliche Entschuldigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Juni  brachte das Eis zum Schmelzen. Heute sind Moskau und Ankara wieder Partner und stimmen ihr Vorgehen in Syrien ab. Außerdem nahm Russland wieder Kurs auf den Bau einer Gaspipeline über das Schwarze Meer. Für Moskau ist das Projekt strategisch wichtig, um die Ukraine als Transitland zu umgehen.

Die Versöhnung mit der Türkei sei "ein diplomatischer Sieg" für Putin, sagt Andrej Kolessnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum. Es wäre jedoch falsch zu glauben, Russland habe die Türkei erfolgreich bestraft: "Es ist komplizierter." Im Hintergrund seien pragmatische Interessen beider Länder wichtig gewesen. 

Nach mehr als acht Monaten endete die Eiszeit zwischen Moskau und AnkaraBild: picture-alliance/TASS/M. Metzel

Putins Hoffnungsträger Trump

Als Moskaus größter außenpolitischer Erfolg des Jahres wird oft der Sieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump bei der Präsidentenwahl in den USA genannt. Die scheidende US-Administration und die unterlegene Kandidatin der Demokraten, die frühere Außenministerin Hillary Clinton, werfen der russischen Führung Einmischung in den Wahlkampf durch Hackerangriffe vor. Moskau bestreitet das. Trumps Sieg gehört deshalb in die Kategorie jener Ereignisse, bei denen Moskaus Rolle und vor allem ihr Einfluss auf das Endergebnis nicht eindeutig bewiesen ist.

Dass Russland davon profitiert, gilt unter Experten als unumstritten. Russland sei vom Trumps Sieg überrascht gewesen und freue sich umso mehr, glaubt Rahr: "Trump war ein großer Gewinn für den Kreml." Sollte der nächste US-Präsident wie angekündigt eine Annäherung an Russland suchen und Interessen statt Werte an erste Stelle stellen, könne Russland damit "sehr viel anfangen".

Sanktionen als Niederlage

Hans-Henning Schröder, ehemaliger Russland-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt, dass Putins Russland außenpolitisch ein riskantes Va-Banque-Spiel spielte und doch gewinnen könnte. "Wenn Trump die Ukraine nicht unterstützt und in Syrien mit Russland zusammen agiert, dann haben sich alle Risiken als gewagt, aber richtig herausgestellt", sagt Schröder.

Auch Tillersons Nominierung als US-Außenminister nahm der Kreml positiv auf, weil der ExxonMobil Chef breite Kontakte nach Russland hatBild: picture alliance/dpa/Alexey Druginyn Mandatory Credit/R. Novosti

Es geht um Sanktionen, die vor zwei Jahren wegen der Annexion der Krim und des russischen Vorgehens in der Ostukraine eingeführt wurden. In der Europäischen Union mehrten sich 2016 die Stimmen jener Länder, wie etwa Italien, die für eine Aufhebung plädieren. Es sah zeitweise so aus, als würden die Sanktionen gelockert. Doch am Ende des Jahres verlängerte die EU doch die Einschränkungen um weitere sechs Monate. Die Beibehaltung der westlichen Sanktionen gehöre zu den wenigen Niederlagen Putins 2016, glaubt der Gazprom-Berater Alexander Rahr. Russische Wirtschaft leide darunter.

Noch wichtiger als die Aufhebung der Sanktionen dürfte für Moskau die Entwicklung auf dem Ölmarkt sein. Die Entscheidung der OPEC-Staaten und Russlands, die Fördermengen zu reduzieren und gefallene Preise so steigen zu lassen, sei für die russische Wirtschaft entscheidend, glaubt Hans-Henning Schröder.   

Jalta-2 oder Wiener Kongress-2?

Eine westliche Welt mit Trump als US-Präsidenten, der die alten Allianzen wie die NATO infrage stellt; in der die Europäische Union wegen des Austritts Großbritanniens (Brexit), der hohen Migration und des Terrors eine tiefe Krise erlebt und in der pro-russische Präsidenten an die Macht kommen, wie etwa in Bulgarien, dürfte in Moskau für Siegerstimmung sorgen.

Darüber, was der russische Präsident wirklich möchte und wie er die neue Weltordnung sieht, sind Experten unterschiedlicher Meinungen. Hans-Henning Schröder glaubt, dass Putin eine Art Jalta-2 anstrebt, eine neue Aufteilung der Welt in Einflusssphären wie 1945. Die Ukraine wäre dann im russischen Machtbereich. Alexander Rahr dagegen glaubt, dass der Kreml-Chef eher einen neuen Wiener Kongress wie 1815 möchte, bei dem sich "Großmächte über Interessen Europas einig sind".

Kein Sieg ohne Beigeschmack     

Trump-Fans in Russland jubeln

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Viele der Erfolge Russlands in diesem Jahr seien nur Etappensiege, sind sich die Experten einig. Ob Trump als US-Präsident, Krieg in Syrien oder Risse im Westen, es gehe um Entwicklungen, die noch nicht abgeschlossen sind und anders verlaufen könnten, als von Moskau erhofft. "Die multipolare Welt kann von Chaos infiziert werden", sagt Alexander Rahr.

Der Moskauer Experte Andrej Kolessnikow fasst es so zusammen: Unter den Früchten der Putinschen Siege gebe es kaum welche, die nicht ein bisschen faul seien.

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