Putin und Deutschlands Goldene Bücher
14. März 2023In Wiesbaden kam es kürzlich zum Eklat. Bei der Vorstellung des Programms der Maifestspiele Mitte Februar kündigte Uwe Eric Laufenberg, Intendant am Staatstheater, die russisch-österreichische Sopranistin Anna Netrebko an.
"Frau Netrebko hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Es gibt eine allgemeine Hysterie, die ihr irgendetwas anhängen will, eine Art Moralhysterie. Wenn wir alle Leute, die sich vor dem 24. Februar mit Putin haben ablichten lassen…".
In diesem Moment unterbricht der Intendant seine Ansprache und wendet sich an Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende: "Dann gilt das auch für die Stadt Wiesbaden und das Goldene Buch für Ehrengäste. Ist Putin da überhaupt noch drin? Vielleicht kann man das entfernen?"
In Wiesbadens Goldenem Buch findet sich tatsächlich ein Eintrag von Wladimir Putin, aber auch von Angela Merkel. Putin traf die Kanzlerin dort im Oktober 2007 zu den einst jährlich stattfindenden deutsch-russischen Regierungskonsultationen.
"Damals war die Welt noch in Ordnung"
Auch in Goldenen Büchern anderer deutscher Städte, wie in Hannover, Hamburg, Berlin und München, hat Putin seine Unterschrift hinterlassen. In der bayerischen Gemeinde Aying bei München stammt der erste Eintrag ins Goldene Buch vom 11. Oktober 2006 von Putin und beginnt mit den Worten: "Besuch Seiner Exzellenz des Präsidenten der Russischen Föderation, Herrn Wladimir Wladimirowitsch Putin..."
Auf die Frage, ob er dies heute bedauere, sagt der Bürgermeister von Aying, Peter Wagner: "Als man das Buch angeschafft und diesen Eintrag gemacht hat, war ja die Welt noch in Ordnung. Man hat mit Russland gute Kontakte gehabt. Rückblickend finde ich es nicht gut, dass er bei uns im Buch steht. Ich heiße auch nicht gut, was Putin in der Ukraine macht."
Doch es gebe Städte, so Wagner, die viel ältere Goldene Bücher hätten. Darin gebe es beispielsweise Einträge von Adolf Hitler. Tatsächlich steht Hitlers Unterschrift im Goldenen Buch von Frankfurt. Darin finden sich auch andere Nazi-Größen wie Hermann Göring und Heinrich Himmler.
Eine Debatte über den Umgang mit deren Einträgen wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geführt. Es gab Vorschläge, sie zu entfernen. Doch sie blieben in dem Buch, in dem sich später Margaret Thatcher, Nelson Mandela und auch der Dalai Lama eintrugen. Nach den Nazis ließ man aber symbolisch 13 Seiten leer, je eine für jedes Jahr des "tausendjährigen Reiches", um den Abstand von der NS-Diktatur zu demonstrieren.
Ayings Bürgermeister Wagner hat sich dafür ausgesprochen, Wladimir Putins Eintrag im Buch zu belassen. "Es ist ein zeitgeschichtlicher Eintrag", erklärt er. Man könne nicht bestimmte Seiten aus dem Buch vernichten. Aber man habe auf Putins Eintrag seine Unterschrift mit einem Bild, das von einem ukrainischen Flüchtlingskind gemalt wurde, überklebt.
Philipp Lahm und Prinzessin Victoria
Nach Angaben des Bürgermeisters haben sich in dem Buch namhafte Persönlichkeiten eingetragen, darunter der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, die schwedische Kronprinzessin Victoria, aber auch Ehrenbürger aus der Gemeinde. Auch Philipp Lahm, einst Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft, der in Aying kirchlich heiratete, ist in dem Buch verewigt.
Dabei ist es eine Ironie des Schicksals, dass die Gemeinde Aying nie Kontakte nach Russland hatte. Das Goldene Buch der Stadt wurde erst für den Besuch Putins 2006 in der Stadt angeschafft.
Peter Wagner erinnert sich noch gut daran, wie es dazu kam. Die bayerische Staatsregierung wollte damals einen traditionellen bayerischen Abend für den russischen Präsidenten veranstalten und war auf der Suche nach einem geeigneten Ort.
"Man wollte nicht in München bleiben. Die Gemeinde Aying ist ungefähr 25 Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt. Wir haben eine gute Gastronomie, und dann hat man den Abend hier veranstaltet", erzählt Wagner. "Wir hatten kein Goldenes Buch, und da hat man es eben angeschafft."
Das etwa sechs Zentimeter dicke, in Leder gebundene Buch wird im Rathaus, im Büro des Bürgermeisters aufbewahrt und ist der breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich. Noch hat es nicht sehr viele Einträge, es sind rund 20 beschriebene Seiten.
"Schattenseiten der Stadtgeschichte"
Anders geht Dresden mit seinem Goldenen Buch um. Wer möchte, kann es an eigens dafür vorgesehenen Tagen einsehen. Viele interessieren sich zum Beispiel dafür, was die US-amerikanische Schauspielerin Cate Blanchett, die für ihre Rolle in dem in Dresden gedrehten Film "Tár" für einen Oscar nominiert wurde, dort 2022 hineingeschrieben hat.
Einen Eintrag von Wladimir Putin gibt es nicht. "Das ist tatsächlich erstaunlich. Da war ich persönlich auch überrascht. Putin hat viele Jahre in Dresden für den KGB gearbeitet, hat hier seine erste Frau geheiratet, und sein erstes Kind ist hier geboren", sagt Kai Schulz, Pressesprecher der Stadt.
Als russischer Präsident besuchte Putin Dresden zweimal. "Wenn Putin zu Besuch war, dann auf Einladung der Bundesregierung, und damit war ein Besuch im Rathaus nicht zwingend verbunden gewesen", so Schulz.
Auf die Frage, ob man heute in Dresden froh sei, dass der russische Präsident seine Unterschrift nicht im Goldenen Buch hinterlassen habe, erklärt Schulz: "Wenn es einen Eintrag von Putin geben würde, dann würde das nur ausdrücken, dass er in der Stadt Dresden zu Besuch war und sich ins Goldene Buch eingetragen hat. Die Kategorien gut oder schlecht spielen keine Rolle."
Er fügt noch hinzu, dass es im Goldenen Buch durchaus Einträge vieler Vertreter der Stadt Sankt Petersburg gebe - einer Partnerstadt von Dresden. Die Partnerschaft sei nicht aufgekündigt, aber derzeit gebe es wegen der Situation mit der Ukraine keine Aktivitäten.
Das Goldene Buch der Stadt Dresden enthält gut 500 Einträge. Die ersten stammen aus dem Jahr 1949. Historiker vermuten, dass frühere Bücher im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind.
"Ein Goldenes Buch ist ein zeitgeschichtliches Dokument. Es ist ganz natürlich, dass auch die Schattenseiten einer Stadtgeschichte darin Ausdruck finden", sagt Schulz und erläutert: "Anhand von Stadtgeschichte und von Goldenen Büchern sieht man, wie die Welt sich verändert und wie auch Kriege überwunden werden können."
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk