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PolitikAsien

Putsch aus gekränktem Stolz

2. Februar 2021

Was sich das Militär vom Putsch in Myanmar verspricht, ist schwer nachzuvollziehen, denn es saß schon bislang am längeren Hebel. Die Gründe liegen tiefer.

Myanmar Naypyitaw Soldaten Militärparade
Die stolze Armee sieht sich von der Zivilregierung übergangen Bild: Ann Wang/REUTERS

Am Montagmorgen hat das Militär in Myanmar die alleinige Macht übernommen, die es zuvor mit Aung San Suu Kyi und ihrer NLD geteilt hatte. Aung San Suu Kyi und andere führende Vertreter der Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) wurden verhaftet. Nach Angaben der NLD stehen Suu Kyi und der Präsident unter Hausarrest.

Die Lage in Yangon beschreibt Tim Schröder von der internationalen Beratungsfirma "Covenant Consult" im Gespräch mit der DW als angespannte Ruhe. "Am Montag gab es riesige Schlangen vor den Geschäften und überall Staus, aber von Polizei keine Spur. Auch unsere Mitarbeiter berichten, dass nur wenig Militär auf den Straßen ist." Das sei 2007 bei den als "Safranrevolution" bekannt gewordenen Protesten der buddhistischen Mönche ganz anders gewesen, wie sich Schröder erinnert. Überall seien Lastwagen mit Soldaten aufgefahren.

Demonstrationen zur Unterstützung von Suu Kyi bislang nur im Ausland (Hier:Thailand) Bild: Sakchai Lalit/AP/picture alliance

Zweifel an angeblichem Aufruf von Suu Kyi

Die Wut vieler, vor allem jüngerer, Birmanen entlade sich jetzt vor allem in den sozialen Medien, sagt Schröder. Die werden zugleich von Verschwörungstheorien überflutet. "Man weiß nicht mehr, was echt und was nicht echt ist." Das gelte auch für den vermeintlichen Aufruf von Aung San Suu Kyi zu Protest und Widerstand auf einem Facebook-Account der NLD, über den auch die Zeitung "Irrawaddy" ausführlich berichtete. Der polnische Politologe und Myanmar-Kenner Michał Lubina von der Jagiellonen-Universität in Krakau sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Der Aufruf widerspricht allem, wofür Aung San Suu Kyi seit Jahren kämpft."

Viele Experten und Beobachter, aber auch die meisten Bürger des Landes wurden von dem Schritt der Militärs überrascht. Wenige Stunden zuvor hatte das Militär noch erklärt, dass ausländische Botschaften, die vor einem Putsch gewarnt hatten, falsch lägen und "den Kontext nicht richtig verstanden" hätten.

Militär auf der Straße bislang nur im Parlamentssitz NaypyitawBild: REUTERS

Armee sieht "legales Vorgehen"

Aus Sicht des Militärs handelt es sich um einen legalen Vorgang. Die vom Militär 2008 verabschiedete Verfassung sieht in den Artikeln 417 und 418 vor, dass der Präsident nach Konsultation mit dem Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat einen einjährigen Notstand verhängen kann, wenn die Einheit der Union, die nationale Solidarität oder die Souveränität des Landes bedroht sind. Allerdings ist unklar, ob der von der NLD ernannte Präsident Win Myint oder der vom Militär ernannte Vize-Präsident Myint Swe den Notstand erklärt hat.

Die Verhängung des Notstands war aus Sicht der Streitkräfte notwendig, da die von der Zivilregierung eingesetzte Wahlkommission dem vom Militär und einigen Oppositionsparteien geäußerten Verdacht von Fälschungen bei den Parlamentswahlen vom 8. November 2020 nicht nachgegangen war. Die NLD hatte diese mit 83 Prozent der Stimmen gewonnen. Das Militär beanstandete vor allem die Wählerlisten und sprach von mindestens acht Millionen irregulären Stimmen. Der Putsch erfolgte am Montag, da die Regierung geplant hatte, das neue Parlament trotz der Vorwürfe der Wahlmanipulation zusammentreten zu lassen.

In einer Mitteilung des Präsidentenamts, unterzeichnet von Myint Swe, dem vom Militär eingesetzten Vize-Präsidenten, heißt zur Begründung der Machtübernahme durch das Militär: "Da die Regierung und die (Wahlkommission) nicht in der Lage waren, das Problem zu behandeln, ist es die unbestreitbare Pflicht der Tatmadaw (Armee - Red.), Artikel 417 der Verfassung … zu aktivieren und den Notstand zu erklären."

Damals noch um Verständigung bemüht: Suu Kyi und Armeechef Min Aung Hlaing nach dem Wahlsieg der NLD 2015Bild: Soe Zeya Tun/REUTERS

Schlechte Kommunikation und verletzter Stolz

Den Vorwurf von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl hält Lubina für nicht stichhaltig: "Ich denke, dass es bei den Wahlen nicht viel Betrug oder Ungenauigkeiten gegeben hat. Im allgemeinen waren diese Wahlen frei und fair." Hans-Bernd Zöllner, der gerade eine Studie zu den Wahlen in Myanmar verfasst, sagt dazu im Gespräch mit der DW: "Es ging den Militärs eher nicht darum, den Wahlsieg der NLD zu bestreiten, sondern darum, dass die NLD Unregelmäßigkeiten nicht sorgsam nachgegangen ist." Das genügte wohl offensichtlich nicht den Ansprüchen, die das Militär an eine "disziplinierte Demokratie" stellen. Disziplinierte Demokratie nennen die Militärs das von ihnen 2008 geschaffene politische System des Landes.

Was steckte also hinter dem Putsch? Zum einen mangelhafte Kommunikation. Aufgrund des jahrzehntelangen Misstrauens zwischen den beiden entscheidenden politischen Lagern des Landes – der NLD um Aung San Suu Kyi und dem Militär – bestehen nur wenige Kommunikationskanäle. 2015, als das Militär und seine Partei, die USDP, schon einmal eine empfindliche Niederlage einstecken mussten, hatte Aung San Suu Kyi das Gespräch mit dem noch amtierenden Präsidenten und Ex-General Thein Sein sowie dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte noch gesucht.

2020 aber ging die NLD nicht auf das Militär ein, sie ignorierte es und seine Kritik an den Wahlen weitgehend. Das könnte den Stolz des Militärs verletzt haben, das sich als Wächter des von ihm gestalteten politischen Systems im Lande betrachtet. "Seit der Unabhängigkeit betont das Militär seine Integrität als Beschützer des Volkes und der Nation. Die Missachtung ihrer Beschwerden traf es ins Mark", sagt Zöllner.

Der gekränkte Stolz, die erneute Wahlniederlage der Stellvertreterpartei (USDP) und fehlende Kommunikationswege führten auch nach Lubinas Auffassung schließlich zum Putsch. Die NLD hätte weitsichtiger agieren können. So aber habe die Armee keine andere Möglichkeit gesehen, ihre Reputation und ihren Einfluss zu sichern, als die Exekutive zu übernehmen. Sie behauptet nun, anstelle der NLD die Vorwürfe der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl prüfen zu lassen und Neuwahlen auf den Weg bringen zu wollen.

Suu Kyi verteidigte die Militärs vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, die sich dort wegen des Vorwurfs des Völkermords an den Rohingya verantworten müssenBild: Reuters/E. Plevier

Mehr Nachteile als Vorteile

Von außen betrachtet ist der Schritt des Militärs allerdings nur schwer nachvollziehbar. Denn mit der Verfassung von 2008 hatte es ein System geschaffen, das ihm die Kontrolle über die Politik des Landes weitgehend sicherte. "Sie hätten eigentlich nur warten müssen, bis die NLD an Popularität infolge von Covid-19 und der einbrechenden Wirtschaft verliert. Ihr System sicherte ihnen alle wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen", sagt der polnische Myanmar-Kenner Lubina.

Umgekehrt haben haben die Generäle mit dem Putsch das Ansehen Aung San Suu Kyis im Land gestärkt. Denn was auch immer in den kommenden Jahren geschieht, die Menschen in Myanmar werden sagen, wenn das Militär nicht geputscht hätte und Suu Kyi an der Macht geblieben wäre, dann wäre alles perfekt.

Peking wünscht vor allem stabile Verhältnisse: Ob mit Suu Kyi oder ohne sieBild: picture-alliance/AP Photo/A. Shine Oo

China wartet ab

Hinzu kommt, dass die Machtübernahme der Armee die internationalen Beziehungen Myanmars beeinträchtigen wird. Die Reaktionen aus Europa und die Androhung von Sanktionen der USA deuten das bereits an. Zöllner sagt allerdings: "Die Militärs fürchten weder Europa noch die USA." Die Beziehungen seien seit der Vertreibung der Rohingya ohnehin miserabel und die Armee habe jahrzehntelang mit Sanktionen aus Europa und den USA gut gelebt. Wichtiger sei jetzt, wie sich Indien und Japan positionierten, so Zöllner. Insbesondere Japan habe in den letzten Jahren stark in Myanmar investiert.

China, der einflussreiche Nachbar im Norden, hält sich bislang mit der Bewertung der Ereignisse in Myanmar zurück, die staatliche Agentur Xinhua griff zur Formulierung einer "größeren Kabinettsumbildung". Noch vor drei Wochen hatte Armeechef Min Aung Hlaing den chinesischen Außenminister Wang Yi zu Gesprächen empfangen, zur Bekräftigung der "brüderlichen Beziehung" zwischen beiden Ländern. China werde im UN-Sicherheitsrat schützend die Hand über Myanmar halten, meint Lubina: "Alles, was China jetzt tun muss, ist zu warten, während sich die Situation in Myanmar wegen des wachsenden internationalen Drucks verschlechtert. Je mehr Druck es gibt, desto mehr muss sich Myanmar seiner Schutzmacht China beugen."

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