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Politik

Queer in der katholischen Kirche

2. Februar 2022

In der katholischen Kirche in Deutschland rumort es. Der Blick fällt auf die Lebenssituation queerer Menschen. Ein Buch thematisiert Verletzungen durch Kirche - und Erwartungen an Kirche.

Symbolbild Katholische Kirche Homosexuelle Plakat Polen
Bild: AFP/Getty Images/M. Viatteau

Wer Volksmusik und Schlagermusik hört in Deutschland, der kennt Patrick Lindner. Der heute 61-Jährige ist seit Jahrzehnten im Geschäft. Er taucht im Fernsehen auf, tourt durch die deutschsprachigen Länder. Patrick Lindner ist homosexuell - und Katholik.

"Im Herbst 2020 haben mein Mann und ich geheiratet", schreibt Lindner in einem Anfang dieser Woche erschienenen Buch. "Es war uns wichtig, nach der standesamtlichen Trauung auch noch in der Kirche Gottes Segen zugesprochen zu bekommen. Wider Erwarten war das problemlos möglich - und zwar in einer katholischen Kirche, durch einen katholischen Priester."

Ein Wunsch

Dann erzählt der Künstler von seinem Aufwachsen in katholischem Umfeld, ohne "allzu streng katholisch erzogen worden" zu sein. Er schildert sein Outing im Jahr 1999, die Delle in seiner Karriere, die Unterstützung seiner Fans. Und er nennt den Wunsch seiner Mutter: "Ich will, dass du glücklich bist!" Dieselbe Haltung, so Lindner, würde er sich auch von "Mutter Kirche wünschen".

Patrick Lindner (links) und sein MannBild: Barbara Insinger/Geisler-Fotopress/picture alliance

Lindners Beitrag ist einer von 68 Texten, die der Priester Wolfgang Rothe in dem Band "Gewollt. Geliebt. Gesegnet. Queer-Sein in der katholischen Kirche" zusammengestellt hat. Nicht alle der Autorinnen und Autoren sind zu dieser Gruppe zu zählen. Es kommen auch Angehörige oder Freunde zu Wort. Und bei jedem vierten Beitrag steht kein Name, sondern nur "N.N.".   

Der Druck

"Queer" ist ein Oberbegriff für Menschen, deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht heterosexuellen Vorstellungen entspricht. Bislang lehnt die katholische Kirche jede praktizierte Sexualität jenseits der Heterosexualität als Übel ab. Und wer - in der Gemeindearbeit, im Kindergarten oder Altersheim - die katholische Kirche als Arbeitgeber hat, muss mit der Kündigung rechnen.

Wolfgang Rothe segnet ein gleichgeschlechtliches PaarBild: Felix Hörhager/dpa/picture alliance

Herausgeber Rothe sagt der Deutschen Welle, er wolle mit dem Buch die Realität queerer Menschen in der katholischen Kirche "möglichst umfassend abbilden" und damit "einen Perspektivwechsel in unserer Kirche herbeiführen". Er selbst sei beim erstmaligen Lesen vieler der Beiträge "zunächst mal in Tränen ausgebrochen". Und er hoffe, dass es den Leserinnen und Lesern ähnlich ergehe und sie verstünden, wie sehr queere Menschen in der Kirche unter Diskriminierung und Ausgrenzung litten. "Dieses Leid muss ein Ende finden." Rothe gehört zu den katholischen Geistlichen in Deutschland, die im Mai 2021 gleichgeschlechtliche Paare in der Kirche segneten, obwohl der Vatikan solche Feiern zuvor verboten hatte.

Der Segen 

"Die Spaltung wird immer größer, der Reformbedarf ist offenkundig", schreibt beispielsweise die Architektin Ulrike Fasching, die in einer "Regenbogenfamilie" - zwei Frauen mit einem Sohn - lebt. "So zu tun, als gäbe es keine queeren Menschen, ist einfach realitätsfremd", mahnt der Altenpfleger Stefan Thurner unter Verweis auf Erfahrungen im Gemeindealltag. Drei der mit "N.N." gezeichneten Beiträge kommen von Geistlichen. "Ich bin Priester. Und ich bin schwul", beginnt einer und zeigt sich verletzt, dass Homosexuelle, auch wenn sie zölibatär leben, nach vatikanischer Vorgabe überhaupt nicht Priester werden dürfen. Und die Regisseurin und Eventmanagerin Katrin Richthofer schildert ihre angespannte Verbundenheit zur katholischen Kirche und wendet sich dann an ihre lesbische Tochter: "Lass dir von einer Kirche nicht den Glauben kaputt machen! Gott hat dich genauso geschaffen, wie du bist, und liebt dich bedingungslos!"

Pfarrvikar Wolfgang RotheBild: Christian Kaufmann

Die Textsammlung ist eine Zusammenstellung von Verletzungen und Frusterfahrungen, Glaubenshoffnungen und Heimat-Schmerz. Rothe erläutert das "N.N." unter manchen Texten. "In dieser Anonymität kommt die Angst sehr deutlich zum Ausdruck." Unter jenen Personen, die die anonymisierte Veröffentlichung wählten, seien sogar einige, "die in ihrem alltäglichen Leben geoutet sind, die aber Angst hatten, in die Öffentlichkeit zu treten".

Das Coming-Out

Das Buch ist acht Tage nach dem Coming-Out von 125 queeren Angestellten der Kirche erschienen, das in Deutschland großes Aufsehen erregte. Zeitlich ist das Zufall. Aber es zeigt den Reformbedarf. Noch am vergangenen Sonntag hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, das Outing zahlreicher queerer Mitarbeitender seiner Kirche begrüßt. "Wir haben Menschen zutiefst verletzt und tun das bis heute", sagte er in der ARD.

Kirchliche Mitarbeiterinnen, die sich geoutet habenBild: Guido Kirchner/dpa/picture alliance

Aber auch Bätzing kann nicht garantieren, dass nunmehr kein kirchlicher Mitarbeiter, keine Mitarbeiterin wegen des eigenen Lebenswandels entlassen wird. Er verweist auf einen laufenden Reformprozess des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland - der aber, das erwähnte er nicht ausdrücklich, auch schon Jahre andauert. So gibt es auch Rufe an die Politik, ihrerseits Druck zu machen.

Spätestens Ende dieser Woche wird die Forderung nach entschlossenem Handeln der Bischöfe wieder kräftiger werden. Da tagt in Frankfurt am Main die dritte Plenarversammlung des "Synodalen Weges" der katholischen Kirche in Deutschland. Der Ende 2019 gestartete Dialog soll Reformen erörtern - und voranbringen. Diverse Beteiligte fordern seit Veröffentlichung des Münchner Gutachtens zügigeres Handeln auch bei der Anerkennung von queerem Leben.

Die Begegnung

Einer von denen, die schon handeln, kommt auch in dem Buch zu Wort. Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers betitelt seinen Beitrag "Begegnung schafft Veränderung". Das sagt schon alles. Der 69-Jährige schildert seine Verunsicherung vor einem ersten Treffen mit einer Gruppe queerer Christen der Elbestadt. Was sie mir zu sagen hatten, hat mich tief berührt." Mittlerweile gibt es in seinem Bistum eine "Regenbogenpastoral", das heißt, eine Regenbogenseelsorge. Und das vatikanische Nein zur Segnung homosexueller Partnerschaften nennt er in seinen Aussagen "zutiefst niederschmetternd", sie würden "so auf Dauer nicht stehen bleiben können".  

Heinrich Timmerevers, katholischer Bischof von DresdenBild: Bistum Dresden-Meißen

Nun feiert am 13. März Kardinal Reinhard Marx in der Münchner Paulskirche einen Queer-Gottesdienst. Es ist ein Jubiläum. Seit März 2002 feiern in München queere Menschen und ihre Freunde und Freundinnen einmal im Monat "römisch-katholischen Gottesdienst". Zum Jubiläum kommt erstmals ein Erzbischof. Und es gibt, im Beisein des Kardinals, einen Empfang.  Mit Sektumtrunk und Buffet.

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