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Queer in der Republik Moldau: Zwischen Angst und Aufbruch

Astrid Benölken (aus Chisinau) | Tobias  Zuttmann (aus Chisinau)
14. Oktober 2025

Nach dem Sieg der proeuropäischen PAS in der Parlamentswahl ist die queere Gemeinschaft in der Republik Moldau erleichtert. Aber das Aufatmen ist nur von kurzer Dauer. Denn die gesellschaftliche Anerkennung fehlt noch.

Gemälde einer Person mit grüner Jacke und einem möglicherweise tätowierten Gesicht und hellblauen Lippen
Bilder einer Ausstellung im Queer Café in der moldauischen Hauptstadt ChisinauBild: Tobias Zuttmann/DW

Das Schild am Eingang des Hauses - da sei etwas ungünstig gelaufen, sagt Lorelei Grigorita und lacht. Schlichte weiße Wände, vergitterte Fenster - eigentlich verrät das Gebäude im Chisinauer Westen wenig über seine Besucher. Doch dann ist da das Schild mit dem schwungvollen rosafarbenen Schriftzug, direkt über dem Eingang: Queer Café.

"Nachdem wir es über dem Eingang montiert haben und dann die ganzen Drohungen kamen, dachten wir, tja, das war vielleicht ein bisschen viel", sagt Grigorita. "Aber das Schild bleibt. Das ist doch der Sinn davon, wenn man einen queeren Ort in der Stadt hat: Er sollte auch von außen sichtbar sein."

Das Café in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, ist seit seiner Eröffnung im Juli 2022 einer der wenigen Orte im Land, wo queere Menschen sie selbst sein können. Für viele Moldauer ist dieser Ort eine Provokation.

Der LGBTQ-Community begegnen in der Republik Moldau vor allem Hass und Ablehnung. Ende 2021 machte der Fall eines 18-jährigen Rekruten Schlagzeilen, der unfreiwillig geoutet und so sehr gemobbt worden war, dass er desertierte. Sogar die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu zeigte sich damals schockiert. Noch 2024 sagten in einer Studie des moldauischen Equality Council in Zusammenarbeit mit der UNO 80 Prozent der Befragten, sie wollten nicht, dass eine queere Person in ihrer Nachbarschaft wohne.

Lorelei Grigorita, Managerin des Queer Cafés in ChisinauBild: Tobias Zuttmann/DW

Queer Café - eigentlich ist der Name irreführend. Denn der Ort ist weder nur für queere Menschen, noch ist es ein Café mit Kaffee und Kuchen. Doch der Name soll für das stehen, was Menschen mit Cafés verbinden - ein Raum der Begegnung, an dem ganz verschiedene Menschen zusammenkommen.

"Wir wollen ein Ort sein, an dem man Spaß hat", sagt Lorelei Grigorita, die Managerin des Cafés, und dreht ihre Sonnenbrille zwischen den Fingerspitzen. "Wenn wir uns 'Queeres Gemeinschaftszentrum' genannt hätten, würden Leute vielleicht nicht reinkommen, weil sie denken, dass man dafür in einer schwierigen Situation sein muss."

Chor, Kino, Bibliothek

Im Queer Café gibt es einen queeren Chor, Kinoabende, regelmäßige Ausstellungen und Workshops, eine kleine Bibliothek, in der man sich queere Bücher ausleihen kann.

Ab und zu geht die Klingel und neue Gäste kommen ins Café. Lorelei Grigorita grüßt die Ankommenden mit ein paar Worten und schnellen Umarmungen. Lorelei kennt jeden, und jeder kennt Lorelei. Sie ist dabei, seitdem die Idee für das Café aus einem queeren Filmfestival heraus geboren wurde. Grigorita kam damals gerade aus Schweden zurück, wo sie ein Jahr lang gelebt und gearbeitet - und genug Mut gesammelt hatte, sich öffentlich für die Community zu engagieren. Die 27-Jährige hat Journalismus und Kommunikation studiert. Bis heute arbeitet sie neben dem Vollzeitjob als Managerin im Queer Café noch im Marketing, um ihre Rechnungen bezahlen zu können.

Fortschritt - trotz allem

Seit 1995 sind homosexuelle Handlungen in der Republik Moldau legal. Die Gesellschaft zieht aber nur langsam nach. Vor allem im ländlichen Moldau behalten viele ihre queere Identität deshalb für sich. "Wir sind kaum sichtbar außerhalb von Chisinau", sagt Grigorita.

Das Queer Café in der moldauischen Hauptstadt ChisinauBild: Tobias Zuttmann

Dennoch sagt Grigorita, sehe sie Fortschritt. "Auch wenn die Regierung uns in den vergangenen Jahren öffentlich kaum unterstützt hat, haben wir Aktivisten unsere Arbeit gemacht und beobachtet, dass die Toleranz langsam zunimmt und es mehr queere Initiativen gibt." Noch vor zwölf Jahren gehörte Moldau neben Aserbaidschan, Armenien und Russland zu den europäischen Schlusslichtern in Fragen der queeren Gleichberechtigung. Inzwischen ist das Land im Mittelfeld angelangt.

Doch als im Herbst 2024 die Präsidentschaftswahlen anstehen, kippt etwas. Die moldauische Regierung berichtet später von einer klar ausmachbaren russischen Einflussnahme auf die Wahl. Die Erzählung, die auch von den prorussischen Parteien geteilt wird, ist denkbar einfach: Die EU bringe moralischen Verfall nach Moldau, zwinge dem Land die "Regenbogen-Ideologie" auf.

Sichtbarkeit vs. Sicherheit

Der Hass, der sich zunächst im Netz breitmacht, schwappt bald auch auf die Straßen über. An vielen Ecken in Chisinau sind die Silhouetten zweier gleichgeschlechtlicher Paare gesprayt. Dazu steht auf Rumänisch: "Glaubst du, das ist normal?"

Auch im Queer Café spürt das Team eine Veränderung. Das Café ist da gerade an einen neuen Standort umgezogen. Mit der neugewonnenen Öffentlichkeit kommen die Drohungen. "Sie haben versucht, uns einzuschüchtern, und uns gedroht, dass sie das Gebäude anzünden werden", sagt Lorelei Grigorita. "Früher haben wir die Verachtung in der Gesellschaft gespürt. Das ist heute in offene Wut und Gewalt umgeschlagen. Weil wir in der Politik zum Thema gemacht wurden, fühlen sich viele Leute von unserer Existenz bedroht."

Graffiti an einer Hauswand in der moldauischen Hauptstadt Chisinau, Aufschrift: "Glaubst du, das ist normal?"Bild: Tobias Zuttmann

Kurz nach der Eröffnung machen sich nachts Fremde am Haus zu schaffen. Seitdem ist die Tür zum Queer Café abgeschlossen, wer rein möchte, muss bei der Video-Gegensprechanlange klingeln - ein Kompromiss zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit.

Spannungen vor der Wahl

Im September 2025 wurde in der Republik Moldau ein neues Parlament gewählt. In den Umfragen vor der Wahl lagen die prorussischen Parteien fast gleichauf mit der proeuropäischen PAS (Partei Aktion und Solidarität).

Was passiert, wenn prorussische Parteien an der Macht sind, musste die LGBTQ-Community in diesem Jahr in Chisinau erleben. Im Mai stimmte der Chisinauer Stadtrat dafür, sämtliche Pride-Veranstaltungen in der Stadt zu verbieten. Chisinaus Bürgermeister Ion Ceban argumentierte, dass er so "traditionelle Familienwerte" schützen wolle. Am 15. Juni fand die Pride trotz Verbots statt. Einige tausend Menschen versammelten sich, um für ein buntes Moldau zu demonstrieren. Zeitgleich fand ein Gegenprotest statt, der "Marsch für die Familie" - organisiert von der rechtskonservativen, prorussischen Partei der Sozialisten der Republik Moldau (PSRM). Teilnehmer des Marsches versuchten, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und die Pride anzugreifen.

Am Abend der Parlamentswahl veranstaltet das Queer Café eine Wahlparty - niemand möchte an diesem Tag allein sein. Als im Verlauf des Abends klar wird, dass die proeuropäische PAS gewinnt, wird im Queer Café gefeiert: "Wir waren so erleichtert, als wir gesehen haben, dass die proeuropäische Partei vorne liegt", sagt Grigorita.

Gemälde im Queer Café in ChisinauBild: Tobias Zuttmann

Ähnliches berichtet Leo Zbanca von der NGO Genderdoc-M, der ältesten NGO im Land, die sich für die Rechte von queeren Menschen einsetzt. "Viele Leute haben sich vor der Wahl nicht sicher gefühlt und waren sogar bereit, das Land zu verlassen. Jetzt wo klar ist, dass wir auf dem proeuropäischen Weg bleiben, können wir endlich aufatmen und unsere Leben weiterplanen."

Er fordert, dass sich die Regierung in der neuen Legislaturperiode für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität und die gleichgeschlechtliche Ehe einsetzt.

Auch für Grigorita wäre das echter Fortschritt. Aber für sie ist nicht nur die rechtliche Situation entscheidend. Sie hat keine Lust mehr auf Rechtfertigungen, auf Angst, darauf, auf Probleme reduziert zu werden. Queer zu sein, müsse nicht immer politisiert werden, sagt Lorelei Grigorita. Wenn sich die doppelflügelige Holztür hinter den Besuchern im Queer Café schließt, das ist ihr Wunsch, solle jeder das machen können, worauf er Lust habe - und das sein können, was er sei.