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Queer und verfolgt: auf der Suche nach Sicherheit

Pal Shristi Pal
19. Juli 2024

Köln feiert den Christopher Street Day, und sie können ohne Angst dabei sein: Queere Menschen erzählen der DW, welche traumatisierenden Erfahrungen sie dazu gebracht haben, aus ihren Heimatländern zu fliehen.

 Bunt verkleidete Teilnehmer bei der CSD-Parade. Auf einem Plakat steht: What a beautiful day to respect other people's rights
Christopher Street Day in Köln (2023)Bild: Roberto Pfeil/dpa/picture alliance

"Die russische Polizei hat mir gedroht, mich im Gefängnis vergewaltigen zu lassen", erzählt der 21-jährige Yusif Muradov. Er musste aus Russland fliehen, nachdem die Behörden ihn gestellt hatten. Sein Vergehen: Er hatte sich offen als Homosexueller geoutet.

Man schreibt das Jahr 2024, doch in 64 Ländern der Welt wird Homosexualität immer noch als Verbrechen eingestuft. In mindestens zehn Ländern, darunter Saudi-Arabien, Nigeria und Iran, können einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen sogar mit der Todesstrafe geahndet werden.

In anderen Ländern wie Russland und Indien sind gleichgeschlechtliche Beziehungen zwar nicht offiziell verboten, dennoch werden LGBTQ+-Menschen verfolgt - was de facto zu einer Illegalität führt.

Die DW hat mit queeren Menschen darüber gesprochen, die ihr Land verlassen haben. Sie kamen nach Deutschland, um ihre Sexualität frei ausleben zu können.

"Keine Queer-Rechte in Bangladesch": Haques Geschichte

"Mein queeres Leben begann, als ich nach Deutschland kam", sagt der 39-jährige Ziaul Haque. Er zog in den 2000er-Jahren von Bangladesch hierher. "Ich bin glücklich mit einem gutaussehenden Mann verheiratet, aber in vielerlei Hinsicht leben wir genau wie andere heterosexuelle Paare. Wir machen den Haushalt und gehen zur Arbeit. Manchmal gehen wir aber auch in Schwulenbars oder schauen mit unseren schwulen Freunden RuPaul's Drag Race (eine US-amerikanische Reality-Show, in der Dragqueens gegeneinander antreten, Anm. der Red.). Und dann merke ich: 'Okay, ich bin schwul'", sagt er und bricht in Gelächter aus.

In Bangladesch war Haque nicht so gelassen: "Ich habe mich versteckt, weil die religiös-konservativen Gruppen jeden Tag stärker wurden", erzählt er. "Schließlich habe ich das Land verlassen, weil ich auch um die Sicherheit meiner Familie fürchtete."

Ziaul Haque aus Bangladesch sollte sich wegen seiner sexuellen Identität "medizinisch behandeln" lassenBild: Shristi Mangal Pal/DW

"Homosexualität ist in Bangladesch nach Abschnitt 377 des Strafgesetzbuchs ein Vergehen und wird mit Gefängnis bestraft. Dieses Gesetz ist ein Überbleibsel aus der britischen Kolonialzeit und wird ausgiebig angewandt, um Homosexuelle zu verhaften, zu schikanieren und zu erpressen", so Sadat Tasnim, ein bangladeschischer Aktivist, gegenüber der DW. "In einem mehrheitlich muslimischen Land bestimmen religiöse Parteien die öffentliche Meinung, und queere Menschen erfahren wenig bis gar keine gesellschaftliche Akzeptanz", so Tasnim weiter.

Mitglieder der LGBTQ+-Gemeinschaft in Bangladesch wurden mehrfach Opfer von Gewaltverbrechen. 2016 erschütterte eine Reihe grausamer Morde an queeren Bloggern und Aktivisten das Land. Xulhaz Mannan, der Gründer des ersten und einzigen Magazins für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender in Bangladesch, und der Aktivist Tanay Mojumdar wurden bei einem Anschlag in der Hauptstadt Dhaka mit Macheten attackiert und getötet. "Seitdem leben die queeren Bangladescher in ihrer eigenen kleinen versteckten Blase", sagt Tasnim.

Abgesehen davon, dass sie von den Strafverfolgungsbehörden und der Gesellschaft im Stich gelassen werden, verlieren die meisten queeren Menschen auch den Rückhalt ihrer Angehörigen. Ziaul Haques Familie reagierte entsetzt auf sein Coming-out. Sein Vater brachte ihn sogar zu einem Arzt, um ihn von seiner sexuellen Orientierung heilen zu lassen. "Ich träume von dem Tag, an dem mein Vater sagt: 'Sohn, egal wer du bist, wir lieben dich und wollen, dass du glücklich bist'", sagt Haque.

Als "Extremist" abgestempelt, weil er schwul ist: Yusifs Geschichte

Yusif Muradov, geboren in Aserbaidschan und aufgewachsen in Moskau, floh mit 21 Jahren nach Europa, um der Verfolgung zu entgehen. "Die russische Regierung hatte es auf mich abgesehen, weil ich ehrenamtlich in einem AIDS-Zentrum einer Nichtregierungsorganisation für HIV-positive Homosexuelle arbeitete", erzählt er.

Yusif Muradov ist vor einigen Monaten aus Moskau geflohen und lebt als Asylant in Deutschland: Er wurde von der russischen Regierung als "Extremist" eingestuftBild: Shristi Mangal Pal/DW

Muradov versuchte mehrmals, Moskau zu verlassen, nachdem er sich seiner Familie gegenüber geoutet hatte. "Aber ich musste zurückkehren, da meine Mutter immer wieder drohte, sich umzubringen. Als ich wiederkam, wurde ich zum Arbeiten und Lernen zu meinem Bruder geschickt, der jeden meiner Schritte überwachte", fügt er hinzu.

"Einmal hat mein Bruder mich betrunken gemacht und mich gezwungen, mit einer Prostituierten zu schlafen. Zum Glück sah die Frau, dass ich mich zurückhielt. Sie log meinen Bruder an und sagte, der Akt sei vollbracht", erinnert er sich an das schmerzhafte Erlebnis. Als Yusif seiner Mutter erzählte, was passiert war, zuckte sie mit den Schultern und sagte: "Das ist normal." Yusif zur DW: "Das hat mich gebrochen. Ich wusste, dass es an der Zeit war zu gehen."

Als Russland die Ukraine überfiel, wurde es für Muradov immer dringlicher, seine Heimat zu verlassen - keinesfalls wollte er als Soldat eingezogen werden. Endgültig war das Maß voll, als die Polizei seine Wohnung durchsuchte und ihn "mit Vergewaltigung bedrohte", erzählt er.

Sein Leben in Deutschland ist schwer, da ihn der russische Geheimdienst, wie er sagt, verfolgt. Vor einigen Monaten wurde eine anonyme Anzeige in Yusifs Namen bei der Staatsanwaltschaft in Russland erstattet. Darin wurde er als Schwuler geoutet, der heimlich für die Oppositionspartei des verstorbenen Alexej Nawalny gespendet hatte. "Über Nacht wurde ich zum Extremisten abgestempelt", sagt er. Muradow zufolge ist der russische Geheimdienst für derartig gefälschte Berichte berüchtigt.

Er lebt jetzt als Asylbewerber in einem deutschen Flüchtlingsheim und teilt sich ein Zimmer mit Flüchtlingen aus Afghanistan und dem Iran - die wenig von Schwulen halten. "Ich werde täglich von meinen Mitbewohnern sexuell bedroht und belästigt", sagt er. Trotz aller Schwierigkeiten in seiner Heimat sehnt er sich danach, nach Moskau zurückzukehren: "Ich vermisse die Stadt, meine Freunde und meine Katze. Manchmal habe ich großes Heimweh."

"Der Libanon sieht queere Menschen als Gefahr": Alis Geschichte

"Im Libanon gibt es nicht nur keine Rechte für queere Menschen, sondern es werden sogar die wenigen Einrichtungen zur Unterstützung queerer Menschen geschlossen, die wir hatten", sagt Ali Najjar, ein 39-jähriger queerer Aktivist aus dem Libanon, der jetzt mit seinem Ehemann in Deutschland lebt.

Der 39-jähriger Ali Najjar verließ den Libanon, um offen queer leben zu können Bild: privat

Im August 2023 schlugen seiner Schilderung zufolge zwei libanesische Beamte Gesetzesentwürfe vor, wonach gleichgeschlechtliche einvernehmliche Beziehungen zwischen Erwachsenen ausdrücklich kriminalisiert werden sollten; außerdem solle jeder, der für Homosexualität wirbt, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.

In der Folge habe es eine Reihe feindseliger Vorfälle gegen LGBTQ+-Personen gegeben. Kürzlich habe das Ministerium ein Verbot über Veranstaltungen zum Thema Homosexualität verhängt. Solche Vorstöße gegen die LGBTQ+-Community finden inmitten einer schweren Wirtschaftskrise statt. Über 80 Prozent der Bevölkerung sind in die Armut abgerutscht, Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Vor allem betroffen: Randgruppen.

"Die libanesische Gesellschaft sieht die queere Gemeinschaft als Bedrohung und Gefahr an. Religiöse Parteien haben sogar queere Bars, Veranstaltungen und Organisationen angegriffen", sagt Najjar.

Die junge Generation im Land, die sich für mehr Toleranz und Vielfalt einsetzt, wandert aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zunehmend ins Ausland ab.

"In Chile ist es legal, queer zu sein, aber nicht sicher": Dieters Geschichte

"Für diejenigen, die 'queer-passing' sind -  also queere Menschen mit Cis-Geschlecht, die sich entsprechend dem Geschlecht kleiden, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde - ist Chile relativ sicher", erklärt Dieter Ligueros Korsholm, ein chilenischer Aktivist für queere Rechte, der in Deutschland lebt. Korsholm identifiziert sich als nicht-binär und trägt androgyne Kleidung. "Ich ziehe mich feminin an; in Deutschland werde ich nur komisch angeschaut. Anders als in Chile, wo mich die Leute anschreien oder in der Öffentlichkeit beleidigen würden", so Dieter.

Dieter Ligueros Korsholm kämpfte in Chile für queere Rechte und lebt heute in Köln Bild: Shristi Mangal Pal/DW

Gleichgeschlechtliche Handlungen sind in Chile seit 1999 legal. Die gleichgeschlechtliche Ehe wurde 2021 legalisiert, trotzdem sind LGBTQ+-Personen weiterhin Angriffen ausgesetzt. Einer der bekanntesten Fälle von homophober Gewalt ist der Mord an Daniel Zamudio, der 2012 verprügelt und verbrannt wurde, weil er schwul war. Er wurde tot in einem Park in der Hauptstadt Santiago aufgefunden, mit in die Haut geritzten Hakenkreuzen.

Weltweiter Kampf für Menschenrechte

LGBTQ+-Flüchtlinge mögen in Europa mehr Freiheit finden, aber sie stehen immer noch vor Herausforderungen; die Zahl der gegen sexuelle Minderheiten gerichteten Hassverbrechen steigt - auch in Deutschland.

Türkei: Queere Menschen feiern trotz Drohungen

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Wenn Köln vom 19. bis 21. Juli drei Tage lang den Christopher Street Day feiert und hier am Sonntag eine der größten Pride-Paraden Europas stattfindet, wollen auch Ziaul, Yusif, Dieter und Ali mitgehen. "Wir müssen zusammenhalten, besonders jetzt", sagt Dieter und bereitet sich mit Tausenden anderen darauf vor, für Vielfalt, Toleranz, Akzeptanz und Antidiskriminierung zu demonstrieren - und der Welt zu zeigen, wie bunt eine offene Gesellschaft sein kann.

Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords

Pal Shristi Pal Journalist and Presenter
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