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Politik

Quo vadis Zypern?

Panagiotis Kouparanis
26. Oktober 2020

Der neue Präsident Nordzyperns,Tatar, will eine noch engere Anbindung an die Türkei und eine Zwei-Staaten-Lösung. Gibt es noch Chancen für die Wiedervereinigung? Ein DW-Gespräch mit dem Zypernexperten Thomas Diez.

Zypern Nikosia Grenze
Bild: picture-alliance/imageBROKER/Joko

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Nordzypern hatte sich am 18. Oktober Ersin Tatar knapp gegen den Amtsinhaber Mustafa Akinci durchgesetzt. Der unabhängige Akinci ist ein Verfechter der Wiedervereinigung Zyperns in einen föderativen Staat. Der konservative Tatar hingegen will die Politik Nordzyperns noch stärker an der Türkei ausrichten und setzt sich ebenso wie Ankara für eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Insel ein. Ist damit die Teilung Zyperns endgültig besiegelt? Auch wenn es wenig Hoffnungen für eine Wiedervereinigung gibt - in der Zypernfrage gebe es kein "endgültig", meint der Friedensforscher und Zypernexperte Professor Thomas Diez.

DW: Bei der Präsidentschaftswahl in der international nicht anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern" wurde Ersin Tatar zum neuen Staatschef gewählt. Er gilt als Befürworter eines Zweistaatenmodells auf Zypern. Ist damit die endgültige Teilung der Insel besiegelt?

Thomas Diez: In Zypern sollte man nie von "endgültig" reden, aber man sollte auch nie allzu große Hoffnungen haben. Es gibt hier ein Gemisch ganz unterschiedlicher Interessen. Die muss letztendlich auch Tatar berücksichtigen. Unter Umständen liegt es auch gar nicht einmal so sehr an ihm, sondern eher an der Türkei. Zudem ist es so, dass auch unter Tatars Unterstützern die Meinungen zur Lösung der Zypernfrage nicht einheitlich sind. Auch wenn ich sie im Moment nicht für wahrscheinlich halte, es wäre zu früh zu sagen, die Wiedervereinigung ist ad acta gelegt.

Das türkische Bohrschiff "Fatih" vor der Küste ZypernsBild: picture-alliance/AP Photo/Turkish Defence Ministry

Präsident in Nordzypern war seit 2015 Mustafa Akinci, ein erklärter Befürworter einer Wiedervereinigung der Insel. Aber auch seine Bemühungen haben zu nichts geführt. Woran lag es?

Das lag vor allem am Einfluss der Türkei, die im Moment kein Interesse an einer Lösung zu haben scheint. Das unterscheidet die Situation fundamental von jener kurz nach der Jahrtausendwende. Damals war Erdogan aus innenpolitischen Erwägungen heraus für eine Lösung des Zypernkonflikts. Es ging darum, den Einfluss des Militärs zurückzudrängen. Darum hat er sich auch um eine Lösung der Kurdenfrage bemüht. Inzwischen ist es Erdogan durch entsprechende Personalpolitik und Gesetzesänderungen gelungen, das Militär auf seine Seite zu ziehen. Deshalb hat er jetzt wenig Interesse an einer Lösung beider Konflikte. Durch die Gasvorkommen vor der Küste Zyperns kommt ein geoökonomisches Interesse der Türkei hinzu. Im Moment ignoriert sie mehr oder weniger die exklusive Wirtschaftszone Zyperns. Bei einer Lösung der Zypernfrage, der Ankara zustimmen müsste, wäre das nicht ohne weiteres denkbar. Insofern ist zurzeit für die Türkei eine Lösung sowohl aus innenpolitischen als auch aus geostrategischen und geoökonomischen Gründen unattraktiv.

Viele Interessen blockieren eine Konfliktlösung

Was könnte die Türkei dazu bewegen, grünes Licht für die Aufnahme von Gesprächen zur Wiedervereinigung zu geben?

Der Wille der Türkei zu solchen Gespräche ist nicht der Punkt. Das Problem ist, wie die Verhandlungen geführt werden. Es gab ständig Verhandlungen. Sie sind aber letztendlich an der Souveränitätsfrage gescheitert, also daran, welchen Status die beiden Teile Zyperns haben sollen: Bundesstaaten in einer einheitlichen Republik oder zwei unabhängige Staaten. Da Tatar auf eine Zwei-Staaten-Lösung drängt, kann ich mir gut vorstellen, dass die Türkei es ganz gerne hätte, wenn Verhandlungen wieder aufgenommen werden würden.

Mustafa Akinci (li.) und Nicos Anastasiadis hätten eine Lösung finden können, meint Prof. Diez Bild: Imago Images/Xinhua/Zhang Boaping

Wie steht es um die Haltung der griechisch-zyprischen Seite?

Ich bin von Präsident Nikos Anastasiadis enttäuscht. Ich glaube nicht, dass er in den Verhandlungen weit genug gegangen ist. Anastasiadis hat das Problem, dass seine eigene Partei DISY in der Zypernfrage gespalten ist. Er selbst hat 2004 gegen den Willen der Mehrheit der Parteimitglieder den Neuordnungsplan für Zypern des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan unterstützt. Darüber hinaus gibt es aber auch Gruppierungen auf Zypern, und das gilt übrigens für beide Seiten, die ein Interesse daran haben, dass der Konflikt weiter existiert - sei es aus nationalistischer Ideologie, aus Angst um den Verlust des eigenen Einflusses oder aus Furcht vor wirtschaftlichen Einbußen, etwa im Tourismus. Da Politiker wiedergewählt werden wollen, schränken solche Interessen ihre Möglichkeiten ein. Ich unterstelle einmal, dass Anastasiadis, wenn er freie Hand gehabt hätte, eine Lösung mit Akinci gefunden hätte.

Nur eine Minderheit plädiert für die Wiedervereinigung

Die Insel ist seit 46 Jahren geteilt. Wie stark ist das Interesse an einer Wiedervereinigung in den Gesellschaften beider Teile inzwischen noch ausgeprägt?

Bikommunale Demonstration in Nikosia für die WiedervereinigungBild: AFP/I/Hatzistavrou

In der organisierten Zivilgesellschaft, den Nichtregierungsorganisationen, den vielen bikommunalen Gruppierungen ist eine große Frustration spürbar. Gleichzeitig ist es weiterhin so, dass diese Gruppen ihre Zusammenarbeit für eine Wiedervereinigung auf ganz verschiedenen Ebenen fortsetzen. Allerdings ist es nicht gelungen, den Geist dieser Bewegung in die Gesamtgesellschaft hineinzutragen. Das liegt zum einen daran, dass Generationen herangewachsen sind, die mit Zypern als Ganzes gar nicht mehr so viel anfangen können und für die die Wiedervereinigung ein Lippenbekenntnis ist. Deshalb sind diejenigen, die sich dafür einsetzen, eine Minderheit. Aber ich möchte noch eines hinzufügen: Akinci hat knapp verloren, Tatar hat nicht mal 52 Prozent der Stimmen bekommen. Den Ausschlag haben ein paar Tausend Stimmen gegeben. Das heißt, dass es diese Zivilgesellschaft gibt, die die Wiedervereinigung will. Es gelingt ihr aber nicht, eine Mehrheit zu mobilisieren.

Seit der Invasion türkischer Truppen auf der Insel 1974 und der Teilung bemühen sich die Vereinten Nationen um ihre Wiedervereinigung. Es gab eine Unmenge von Initiativen, Gesprächen und sogar einen Volksentscheid 2004. Wie lange werden die Vereinten Nationen ihre Bemühungen für die Lösung dieses, wie es scheint, langfristig eingefrorenen Konflikts fortsetzen?

Blauhelmsoldat in der PufferzoneBild: Reuters/Y. Kourtoglou

Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich die Vereinten Nationen zurückziehen, weder was die Blauhelme noch generell ihre Vermittlungsbemühungen angeht. Seit 1964 befindet sich eine Blauhelmmission auf der Insel, die die Vereinten Nationen sehr viel Geld kostet. Es herrscht im UN-Sicherheitsrat großer Unmut darüber, dass es bislang zu keiner Lösung gekommen ist. Deshalb gibt es immer wieder Vorschläge, die Blauhelme abzuziehen. Das ist mit der Hoffnung verbunden, dass dann beide Seiten auf Zypern unter Zwang geraten, eine Lösung zu finden. Die Gefahr dabei ist aber, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen an der Pufferzone kommen könnte. Ich glaube nicht, dass die Bemühungen des UN-Generalsekretärs um eine Lösung aufhören werden. Es ist auch kein anderer Akteur in Sichtweite, der diese Funktion übernehmen könnte. Die Europäische Union fällt aus, weil Zypern ein EU-Mitgliedstaat ist. Auch wenn die Frustration bei den Vereinten Nationen groß ist, denke ich, dass sie nach einiger Zeit wieder zaghafte Versuche einer Konfliktlösung starten wird. Aber das ist ja auch die Aufgabe der UN.

Thomas Diez ist Professor für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Universität Tübingen. Davor war er unter anderem Mitarbeiter am Kopenhagener Friedensforschungsinstitut COPRI und Professor an der University of Birmingham. Er ist Herausgeber der Bände "A Different Kind of Power? The EU's Role in International Politics" (2014) und "Cyprus: A Conflict at the Crossroads" (2009). Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören unter anderem die EU als Akteur in der Weltpolitik, die Beziehungen zur Türkei und der Zypernkonflikt.