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Politik

Das Rätsel um Nordkoreas Raketentechnologie

Roman Goncharenko | Juri Schejko
15. August 2017

Ein Zeitungsartikel sorgt für Aufregung: Hat die Ukraine Nordkorea geholfen, neue Raketen zu entwickeln? Kiew dementiert. Ein Indizienkrimi, in dem Spuren auch nach Moskau führen.

Ukraine Präsident Petro Poroshenko besucht PA Yuzhmash Luftfahrt-Unternehmen
Raketenwerk Juschmasch (2014): Von hier soll Technologie nach Nordorea geliefert worden seinBild: picture alliance/dpa/epa/M. Markiv

Wer Vitaly Suschtschewsky auf die Vorwürfe gegen seinen früheren Arbeitgeber anspricht, wird schnell unterbrochen. "Es ist eine Lüge", sagt der ehemalige stellvertretende Produktionsleiter für Triebwerke bei "Piwdenmasch" (ehem. "Juschmasch"), dem früheren sowjetischen Raketenhersteller aus dem ukrainischen Dnipro. Die "New York Times" berichtete am Montag, Nordkoreas überraschender Fortschritt in der Raketentechnologie könne mit "Piwdenmasch" zu tun haben.

"Piwdenmasch" sei finanziell angeschlagen, deshalb hätten Kriminelle und ehemalige Mitarbeiter alte sowjetische Triebwerke oder Teile davon nach Nordkorea schmuggeln können, so der Bericht. Die NYT beruft sich dabei auf eine Studie des Raketenexperten Michael Elleman vom Internationalen Institut für strategische Studien (IISS) in London und auf Einschätzungen von US-Geheimdiensten. Beweise nennt die Zeitung nicht, nur Indizien.

Ein Technologiesprung mit Hilfestellung

Elleman hat Bilder von neuen nordkoreanischen Mittelstrecken- und Interkontinental-Raketen der Typen Hwasong 12 und 14 analysiert, die mit ihrer vergrößerten Reichweite das Potenzial haben könnten, die USA zu treffen. Sein Fazit: Ihre überraschend schnelle Entwicklung in den letzten zwei Jahren sei nur durch Lieferungen aus dem Ausland, nämlich der früheren Sowjetunion, möglich gewesen. Auch der deutsche Raketenexperte Robert Schmucker von der TU München teilt diese Einschätzung, meidet allerdings eindeutige Schuldzuweisungen. 

Sowjettechnik inside? Interkontinentalrakete vom Typ "Hwasong-14"Bild: picture alliance/AP Photo

Das in den neuesten Hwasong-Raketen verwendete Ein-Kammer-Triebwerk erinnert Experten an das sowjetische Modell RD-250, das allerdings zwei Kammern hatte und in den 1960er Jahren vom (russischen) "Energomasch" bei Moskau entwickelt worden war.

Es ist schwer nachzuweisen, ob die RD-250 auch bei "Piwdenmasch" produziert wurde. Vitaly Suschtschewsky sagt, man habe diese Triebwerke aus Russland erhalten, wo sie "in kleinen Stückzahlen produziert wurden". "Piwdenmasch" habe die Triebwerke jedenfalls als Teil von Raketen nach Russland geschickt. Inzwischen bestätigen ukrainische Medien das, was Elleman nahegelegt hatte: Auch in der Ukraine habe es eine Produktion gegeben. In seiner IISS-Studie schreibt er, sowohl in Russland als auch in der Ukraine müssten "hunderte, wenn nicht mehr" Triebwerke vom Typ RD-250 übrig geblieben sein. Moskau sei als Lieferant für Pjöngjang ebenfalls vorstellbar.  

"Wir haben niemals solche Triebwerke produziert, wie sie im NYT-Artikel gezeigt werden", sagt Suschtschewsky, der fast ein halbes Jahrhundert bei "Piwdenmasch" gearbeitet hatte. Der pensionierte Ingenieur bestätigt, dass nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Moskau, ausgelöst durch die Krim-Annexion, das Raketenwerk in Dnipro "praktisch tot" sei. Ein Schmuggel der Technologien nach Nordkorea sei für ihn jedoch undenkbar. Sowohl das offizielle Kiew als auch "Piwdenmasch" dementiertem den NYT-Bericht. Elleman vermutet, die Regierung in Kiew hätte von dem möglichen Schmuggel nichts gewusst. 

Schatten der Vergangenheit  

Es ist das erste Mal, das der einstige Hersteller der sowjetischen Interkontinentalraketen vom Typ SS-18 im Verdacht steht, gegen UN-Sanktionen und andere internationale Abkommen verstoßen zu haben. Interesse am ukrainischen Knowhow hatte Pjöngjang jedoch schon vor Jahren: 2012 wurden in der Ukraine zwei Nordkoreaner verurteilt, die bei "Piwdenmasch" spionierten.  

2002 gab es Presseberichte, wonach die Ukraine moderne Radaranlagen an den Irak liefern wollte. Kiew dementierte, Radaranlagen wurden im Irak nie gefunden. Doch es gab auch Fälle von nachweisbarem Waffenschmuggel. So hat 2005 der damalige Generalstaatsanwalt in einem Zeitungsinterview zugegeben, eine Gruppe von Ukrainern und Russen hätte 2001 insgesamt 18 Marschflugkörper vom Typ AS-15 (X-55) illegal an China und den Iran verkauft.

Woher kommt die Raketentechnologie? Kim Jong Un nach erfolgreichem RaketentestBild: Reuters/KCNA

Oleh Uruskij, ehemaliger Leiter der ukrainischen Raumfahrtagentur, hält es für unwahrscheinlich, dass es in diesem Fall ähnlich verlaufen sein könnte. Der Staat habe ein mehrstufiges Kontrollsystem. Doch Uruskij schloss eine kriminelle Spur nicht aus: "Ein Verbrechen ist in jeder Sphäre möglich".

Fingerzeig Richtung Moskau

Beobachter in Kiew glauben, der NYT-Artikel sei möglicherweise Teil einer gezielten Kampagne Russlands. So schreibt das Zentrum für Armeestudien in einer Analyse am Dienstag, die US-Publikation trage "Zeichen eines Informationsangriffs auf die Ukraine". Ziel sei unter anderem, von möglichen "eigenen Lieferungen von Raketentechnologie an Nordkorea" abzulenken und die Ukraine - vor allem in den Augen der USA - zu diskreditieren. "Russland hat eine gemeinsame Grenze mit Nordkorea, also kann man alles mögliche liefern, auch ganze Triebwerke", sagt der stellvertretende Direktor des Forschungszentrums Mychailo Samus. Die Ukraine dagegen hätte logistische Schwierigkeiten.

Robert Schmucker sagt, es gehe um mehr als nur um die Triebwerke: "Wie steht es um die Raketen? Da nützen Informationen allein nicht sehr viel; man braucht Produktionsanlagen, technische Vorrichtungen und vor allem eine gute Qualitätssicherung", sagt der Experte. "Es müsste also viel mehr aus der Ukraine gekommen sein als nur ein paar Triebwerke".

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