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Politik

Die Terror-Diaspora

18. Oktober 2016

Die Schlacht um die IS-Bastion Mossul im Nordirak hat begonnen. Die dort verbliebenen IS-Kämpfer dürften bald besiegt sein. Doch der Dschihadismus ist damit nicht beseitigt. Er könnte bedrohlicher werden als je zuvor.

Irak Mossul Offensive der Regierungstrupen gegen IS
Bild: Getty Images/AFP/A. Al-Rubaye

"Exzellent" seien die Ergebnisse, umriss Generalmajor Najm al-Jabouri den ersten Tag des angelaufenen Feldzugs zur Rückeroberung von Mossul. Die ersten Dörfer und Städte im Umfeld der im Sommer 2014 von der Terrorgruppe "Islamischer Staat" eroberten Millionenmetropole seien  befreit. Rund 60 Prozent der Raketenwerfer und Landminen rund um die Stadt habe man bereits zerstört, sagten irakische Militärs gegenüber der Zeitung "Al Araby Al-Jadeed". "In den ersten Stunden der Offensive verzeichneten wir erhebliche Landgewinne und einen schwache Gegenwehr des IS", versicherten die Armeesprecher.

In welchem Tempo der Kampf um Mossul in den kommenden Wochen und Monaten auch weitergehen mag - ernsthafte Aussagen zur langfristigen Zukunft des IS selbst lassen sich kaum machen. Allerdings lässt die bisherige Entwicklung einige Annahmen zu. Und die geben nach Einschätzung von Experten wenig Anlass für die Hoffnung, der IS sei alsbald besiegt und nicht mehr operationsfähig. Im Gegenteil: im Irak, dem Nahen Osten und Teilen der übrigen Welt, insbesondere Europa, wird man mit dem IS weiterhin zu tun haben - wenn auch nicht mehr in seiner bisherigen, sondern einer neuen, veränderten Form.

Der IS in neuer Form

Den Anspruch, einen "Staat" oder ein "Kalifat" zu vertreten, werde der IS absehbar nicht mehr stellen können, schreibt Reuven Erlich, Direktor des Aufklärungs- und Terror-Informations-Zentrums am Center for Special Studies im israelischen Herzliya. Die dschihadistische Miliz werde im Irak und in Syrien unter immer größeren Druck geraten. Das werde sie zwingen, ihre bisherige Struktur aufzugeben. Auflösen werde sich der IS darum aber nicht. Im Gegenteil: "Unter den neuen Umständen wird der IS wieder eine sunnitische Terrororganisation, wie sie es an ihrem Anfang war. Nun aber mit erheblich verbesserten operationellen Fähigkeiten."

Die Zukunft des Terrorismus - Attacken etwa mit Fahrzeugen wie in Nizza Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Mori

Der IS werden noch kleinteiliger und differenzierter vorgehen, erwartet Erlich. Zudem würden ihm die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in der Region auch in Zukunft in die Hand spielen. Eine Reihe von Staaten seien zerschlagen, allen voran der Irak, Syrien, der Jemen und Libyen. Die dortigen Regierungen seien nicht in der Lage, ihren Bürgern Sicherheit und grundlegende öffentliche Dienstleistungen zu bieten. Das werde dem IS weiterhin Sympathisanten und Rekruten zutragen, erwartet Erlich.

Ideologische Erfolge des IS

Ähnlich sehen es auch die Analysten des McCain-Institute for International Leadership an der Arizona State University. Zwar werde der territoriale Verlust den IS deutlich schwächen. Doch seine  Ideologie bleibe erhalten und werde weiterhin Menschen anziehen. "Damit gelingt es dem IS, Terroristen weltweit in einem nie gekannten Maß zu inspirieren." Wie erfolgreich der IS sei, lasse sich etwa daran ablesen, dass er zu einem zentralen Thema im US-amerikanischen Wahlkampf geworden sei.

Seine weltweite Ausstrahlung wird der IS, nachdem sein "Kalifat" zerschlagen ist, vor allem über das Internet sicherstellen. Der IS, schreibt der Publizist Abdel Bari Atwan in seinem Buch "Das digitale Kalifat", unterhalte über 100.000 Twitter-Accounts. Über sie setze er täglich 50.000 Tweets ab. Adam Hanieh von der London School of Oriental and African Studies (SOAS) geht davon aus, dass der IS im Internet täglich 40 neue Publikationen veröffentliche - neben Texten auch Videos, Fotostrecken und Audios.

Chefpropagandist des IS: Der inzwischen verstorbene Abu Muhhamad al-AdnaniBild: picture-alliance/dpa

Aufruf zum Terror

Zu den Nachrichten und Botschaften, die ins Netz gelangen, gehören auch die Aufrufe des inzwischen getöteten IS-Chefpropagandisten Taha Sobhi Falaha alias Abu Muhammad al-Adnani. Im April hatte er dazu aufgerufen, "die Ungläubigen" zu töten. Wer keine Bombe oder kein Gewehr habe, der solle Steine gebrauchen, seinen Opfern die Kehle durchschneiden, ihre Autos und Häuser verbrennen. "So etwas wie Unschuld gibt es nicht", erklärte er einige Wochen später in einer weiteren Botschaft. "Deine Attacke auf Zivilisten ist umso wünschenswerter und effektiver für uns, als sie das (der Angriff auf unbeteiligte Zivilisten, d. Red.) umso mehr schmerzt."

Solche Propaganda, fürchtet Reuven Erlich, könnte zahlreiche Einzeltäter auf den Plan rufen. Neben bewusst spektakulär angelegten Attentaten - wie etwa das vom November 2015 in Paris, der Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai im Oktober 2015 oder der Angriff auf den Internationalen Atatürk Flughafen in Istanbul im Juni dieses Jahres - könnte mit zahlreichen kleineren Attentaten zu rechnen sein. Diese würden vom IS weder  geplant noch  ausgeführt, wohl aber inspiriert. Als Beispiele für einen solchen Terrorismus nennt er mehrere Attacken aus dem Jahr 2016. So etwa den Messer-Angriff in einem Regionalzug in Süddeutschland, den Angriff auf einen von Homosexuellen frequentierten Nachtclub in Orlando, aber auch die Amokfahrt eines jungen Tunesiers in Nizza mit 84 Toten und über 200 Verwundeten.

Wichtigstes Rekrutierungsinstrument: das InternetBild: picture-alliance/dpa/R. Peters

"Das Blut von Mossul"

Erhebliche Gefährdungen erwartet auch FBI-Direktor James Comey. Das "Kalifat" werde zwar zerschlagen, erwartet er. Aber: "Im Chaos des Zusammenbruchs werden hunderte sehr, sehr gefährlicher Leute kommen." Die würden ihre Aktionen keineswegs auf den Nahen Osten beschränken. "In den nächsten zwei bis fünf Jahren wird es eine terroristische Diaspora geben, wie wir sie nie zuvor gesehen haben."

Gesteigert werde diese Gefahr noch durch eine weitere Entwicklung, schreiben die Forscher des McCain-Institutes. Die erste Generation der IS-Kinder seien im IS-beherrschten Gebiet geboren. "Diese kommende Generation wird nichts anderes als Terrorismus kennen und darum eine langfristige Bedrohung darstellen."

Solche Entwicklungen dürfte die Einnahme von Mossul nicht verhindern. Im Gegenteil: Der Kampf um die Stadt könnte den Extremismus noch verstärken. Mossul, schreibt der politische Analyst Tallha Abdulrazaq in der Zeitung "Al Araby Al-Jadeed", könnte zum Synonym einer Hölle werden, die viel schlimmer sei als jene, die derzeit die Menschen von Aleppo durchlitten. "Aus dem Blut und der Asche von Mossul dürfte eine viel größere Gefahr als jene entstehen, die derzeit der IS darstellt."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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