1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rückkehr auf die gefährliche Flüchtlingsroute

Nina Niebergall6. April 2016

Die Balkanroute: versperrt. Griechenland? Von dort geht es für die meisten Flüchtlinge zurück in die Türkei. In Libyen warten derweil wieder Zehntausende auf die Überfahrt nach Italien. Es könnten noch mehr werden.

Flüchtlinge aus Nordafrika bei der Ankunft in Italien (Foto: Getty Images/AFP/G. Isolino)
Flüchtlinge aus Nordafrika kommen in Italien anBild: Getty Images/AFP/G. Isolino

Das europäische Flüchtlingsdrama begann nicht erst mit den langen Trecks auf dem Balkan. Es begann schon viel früher, mit Schlepperbanden und überfrachteten Schlauchbooten, von denen zahlreiche auf dem Mittelmeer kenterten, irgendwo zwischen der libyschen Küste und der italienischen Insel Lampedusa. Der traurige Höhepunkt: In der Nacht vom 18. auf den 19. April vergangenen Jahres kentert ein Frachter auf dem Weg nach Italien. Nur 28 Menschen können gerettet werden. Etwa 700 sterben.

Gefährliche Alternativen

Die illegale Schlepperfahrt über das Mittelmeer ist nicht nur wesentlich gefährlicher, sondern auch deutlich teurer als der Weg über die Türkei, Griechenland und die Balkanstaaten nach Westeuropa. Vor allem Syrer und Iraker waren daher auf die Balkanroute ausgewichen. Aufgrund der Grenzkontrollen wird der Balkan jedoch für immer mehr Menschen zur Sackgasse. Spätestens seit die EU ein Abkommen mit der Türkei ausgehandelt hat, das im Wesentlichen die Abschiebung illegal eingereister Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei vorsieht, müssen sich viele Flüchtlinge nach Alternativen umsehen.

Korvettenkapitän Bastian Fischborn ist Pressesprecher bei der BundewehrBild: Bundeswehr/Janin Tietz

Die Südeuropa-Sprecherin des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen UNCHR, Carlotta Sami, sprach vor diesem Hintergrund zuletzt von "dem Risiko einer neuen Explosion der Route aus Libyen nach Italien". Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass in den ersten drei Monaten dieses Jahres etwa 16.000 Menschen die Überfahrt gewagt haben, 60 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Türkei-Modell für Nordafrika?

Angesichts dieser neuen alten Herausforderung ist die Politik unter Zugzwang. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sieht die Flüchtlingsübereinkunft mit der Türkei als Modell für Abkommen auch mit nordafrikanischen Ländern. Dies bedeute Abschiebungen in die entsprechenden Staaten und im Gegenzug die Aufnahme "humanitärer Kontingente" in die EU, erklärt der CDU-Politiker. "Diese Methode ist richtig, die sollten wir auch für die zentrale Mittelmeer-Route von Nordafrika aus über Italien anwenden." Einschränkend fügte er hinzu: "Das wird ungleich komplizierter werden als mit der Türkei."

Auf Facebook kündigten Schlepper bereits an, dass ihr Mittelmeergeschäft in den ersten April-Wochen richtig anlaufen soll. Im April gehe üblicherweise die Schlechtwetterphase im Zentralen Mittelmeer zu Ende, erklärt Korvettenkapitän Bastian Fischborn, Sprecher für die Marine-Einsätze der Bundeswehr, im Interview mit der DW. Doch wesentlich sicherer wird die Überfahrt nach Italien im Frühjahr nicht. Fischborn betont: "Sowohl die Schlauch- als auch die Holzboote sind nicht dafür gemacht, eine Strecke, die so lange ist, zu schaffen." Es handele sich um 450 bis 600 Kilometer.

Deutsche Marine-Soldaten sind auf dem Mittelmeer im Einsatz, um Flüchtlinge zu retten und Schlepper zu bekämpfenBild: Bundeswerhr/PAO Mittelmeer/dpa

Letzte Rettung

Mit den Folgen hat der eritreische Priester Mussie Zerai tausendfach zu tun. Seit dem Sommer 2004 ist der in der Schweiz lebende Geistliche so etwas wie die letzte Hoffnung für in Seenot geratene Bootsflüchtlinge. Seine Telefonnummer kursiert unter Migranten aus Eritrea, Somalia und Äthiopien, steht an Wänden libyscher Flüchtlingslager und an den Decks der Flüchtlingsboote. Erst kürzlich habe ihn ein Anruf von einem kleinen Plastikboot erreicht, auf dem etwa 80 Personen die italienische Küste erreichen wollten, erzählt er der DW. "Das Boot ist in starken Wind geraten. Viele Menschen waren zum ersten Mal auf einem Schiff und konnten nicht schwimmen", berichtet Zerai. Es sei immer mehr Wasser ins Boot gelaufen. In einem solchen Fall informiert der selbst aus seinem Land geflohene Eritreer die italienischen Behörden. Dann dauere es meist noch etwa acht Stunden bis die Küstenwache am Unglücksort eintreffe, beklagt er. Manche seien bis dahin ertrunken.

Der eritreische Pfarrer Mussie Zerai gründete unter anderem das Hilfswerk "Habeshia"Bild: Vincenzo Pinto/AFP/Getty Images

Zwischen 150.000 und 200.000 Menschen warteten bereits in Küstenstädten rund um die libysche Hauptstadt Tripolis auf besseres Wetter, berichtete zuletzt die Zeitung "Welt am Sonntag" unter Berufung auf verschiedene Geheimdienste. Darunter seien immer mehr Syrer. Die außenpolitische Vertreterin der EU, Federica Mogherini, warnte gar vor 450.000 Flüchtlingen, die sich aus Libyen auf den Weg über das Mittelmeer machen könnten - auch aufgrund der instabilen politischen Lage dort.

"Legale Zugangsmöglichkeiten schaffen"

Bislang seien in diesem Jahr erst sechs Syrer über die Mittelmeerroute nach Italien gekommen, sagt Marine-Sprecher Bastian Fischborn. Das gehe auf eine Mitteilung des italienischen Innenministeriums zurück. Er betont jedoch: "Egal wo auf irgendwelchen Routen Hindernisse entstehen, werden diese Menschen auf andere Routen ausweichen." Diese könnten auch von Griechenland, der Türkei, von Albanien oder Montenegro nach Italien führen.

Für Mussie Zerai gibt es nur eine langfristige Lösung: "Die Europäische Union muss legale Zugangsmöglichkeiten schaffen: humanitäre Programme, Visa, Familienzusammenführung. Das ist der erste Schritt, um die Zahl der Menschen zu reduzieren, die versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen