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Politik

Pressefreiheit in Myanmar bedroht

27. Mai 2020

Vermehrte Verhaftungen von Journalisten, die teilweise Abschaltung des Internets und die zunehmende Blockade von Webseiten belegen, dass die Liberalisierung der Presse Myanmars in Gefahr ist.

Myanmar Demonstration für Journalisten
Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Zaw

"Am 30. März gegen halb zehn abends kamen zehn Männer in Zivil zu mir nach Hause in Mandalay und sagten, sie müssten mich verhören", berichtet Nay Lin, Herausgeber der Online-Publikation "Voice of Myanmar" (VOM). Als Nay Lin den Männern folgte, stellte sich heraus, dass die Polizei gegen ihn unter Berufung auf das Anti-Terror-Gesetz ermittelte. Der Vorwurf: Nay Lin hatte den Sprecher der Rebellen-Gruppe Arakan Army (AA) in Rakhine interviewt, die kürzlich von der Regierung zur "terroristischen Vereinigung" erklärt worden war. Die Höchststrafe für die vermeintliche Unterstützung der AA: lebenslänglich.

Zehn Tage verbrachte Nay Lin im Gefängnis, teilweise in Einzelhaft. Dann wurden die Vorwürfe fallengelassen. Es ging offensichtlich darum, ihn einzuschüchtern. Mit Erfolg: "Meine Kolleginnen und Kollegen sind eingeschüchtert. Einige haben die Mitarbeit bei VOM eingestellt. Und einer unserer Medienpartner hat den Content-Austausch mit uns gestoppt, so dass wir Einnahmen verloren haben."

Journalist Nay Lin von Voice of MyanmarBild: Hein Ko/VOM

Journalisten unter Druck

Nay Lin ist kein Einzelfall. Am 22. Mai 2020 wurde der Nachrichtenredakteur Zaw Ye Htet der myanmarischen Nachrichtenagentur Dae Pyaw zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er fälschlicherweise vom Tod eines an Covid-19 Erkrankten berichtet hatte. Weltweit bekannt wurde der Fall der beiden Reuters-Journalisten und Pulitzer-Preisträger Wa Lone und Kyaw Soe Oo, die wegen der vermeintlichen Verletzung des Official Secrets Act 2017 verhaftet und verurteilt wurden. Sie hatten die Ermordung von zehn Rohingya im Dorf Inn Din recherchiert. Sie verbrachten insgesamt mehr als 500 Tage in Haft.

Die genannten Fälle sind nur Beispiele. Es gibt viele andere, die belegen, dass das gezielte Vorgehen gegen einzelne Journalisten in Myanmar auf dem Vormarsch ist. Nach wie vor sind in Myanmar viele Gesetze in Kraft, die gegen Journalisten und damit die Pressefreiheit in Stellung gebracht werden können. In den beiden genannten Fällen waren es das Anti-Terror-Gesetz oder der Official Secrets Act. Das Corona-Virus ist nun eine weitere willkommene Gelegenheit, um Journalisten mundtot zu machen oder Webseiten zu blockieren, wie aktuelle Entwicklungen zeigen.

Wa Lone und Kyaw Soe Oo nach ihrer Freilassung am 7. Mai 2019Bild: picture-alliance/AP Images/A. Wang

"Sorry, this URL is not available in Myanmar"

Ende März hatte Telenor, einer der vier Mobilfunkanbieter Myanmars, öffentlich darauf aufmerksam gemacht, dass man Anweisungen der Regierung Folge leisten müsse und deshalb 230 Webseiten blockiere. Die Anordnung erging vom Ministerium für Transport und Kommunikation. Andere Netzanbieter wie Myanmar Posts and Telecommunications haben die Anordnung der Regierung ebenfalls umgesetzt. Auch wenn es bei den verschiedenen Anbietern im Detail abweichende Blockaden gibt, ist unstrittig, dass der Zugang zu bestimmten Inhalten verhindert oder zumindest stark erschwert wurde und wird.

Unter den 230 geblockten Seiten waren vor allem pornografische, aber auch mehr als 60 Seiten von kritischen Medien wie Voice of Myanmar oder auch Narinjara News, ein  Newsportal, das vor allem über den Rakhine-Staat im Westen Myanmars berichtet.

Die Regierung begründet die Sperren damit, gegen die Verbreitung von Falschmeldungen über die Coronavirus-Pandemie vorgehen zu müssen. Eine Studiedes "Open Observatory of Network Interference" (OONI) von Anfang Mai 2020 prüfte diese Behauptung. Sie glich die gesperrten Seiten mit einer Liste ab, die der Presserat von Myanmar zu "Fake-News"-Seiten erstellt hatte. Der Abgleich macht deutlich, dass keineswegs nur Seiten, die Falschnachrichten verbreiten, geblockt wurden, sondern auch Seiten, die kritisch über die Regierung oder über Konflikte aus Sicht der ethnischen Minderheiten berichten.

Bild: Ministry of Transport and Communications of Myanmar

Als weiteres Instrument zur Kontrolle der Medien setzt die Regierung seit Mitte 2019 in Teilen des Rakhine- und des Chin-Staates auf einen Internet-Shutdown. In der Region trägt das Militär immer wieder heftige Gefechte mit der Arakan Army (AA) aus. Am 2. Mai 2020 wurde das Internet zwar in einigen Teilen des Rakhine-Staats wieder freigegeben, aber mehrere Gemeinden sind nach wie vor von Informationen abgeschnitten. Das Militär begründete die Sperrung des Internets einerseits mit der Zunahme von Propaganda und Hetzreden, andererseits mit der Nutzung des Internets durch Informanten der AA, wodurch die Sicherheit des Militärs gefährdet sei.

Parlamentswahlen und ethnische Konflikte

Die Einschränkung der Pressefreiheit durch die gezielte Verfolgung einzelner Journalisten, die Blockade verschiedener Portale und die Abschaltung des Internets in ganzen Landstrichen hängt nach Ansicht von Oliver Spencer von der Medienrechtsorganisation Free Expression Myanmar (FEM), auch mit den im November anstehenden Parlamentswahlen zusammen. Die Regierung will den Rebellen medial keinen Platz einräumen.

Tin Tin Nyo, die Direktorin von Burma News International (BNI), einem Dachverband der ethnischen Minderheiten-Medien in Myanmar, findet es auffällig, dass Regierung und Militär gerade in dem Moment gegen die Medienfreiheit vorgingen, wo die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch die Pandemie abgelenkt war. Auch die Zahl der militärischen Offensiven gegen ethnische Rebellen wie die Arakan Army hätte plötzlich zugenommen, so Tin Tin Nyo.

In der Tat treffen die neuen Restriktionen besonders Medien der ethnischen Minoritäten, die besonders detailliert und kritisch von den Kämpfen an Myanmars Bürgerkriegsschauplätzen wie in Rakhine berichten. Die Webseiten von gleich drei BNI-Mitgliedern sind blockiert. "Es sind kleine Medienhäuser", sagt Tin Tin Nyo. "Da ist es leicht, Druck auf sie auszuüben. Auch vor diesen aktuellen Einschränkungen waren unsere Mitglieder schon oft zur Selbstzensur gezwungen."

Am 1. April 2013 erschien die erste Ausgabe von "The Voice Daily", eine private Tageszeitung. Zuvor waren private Tageszeitungen verboten. Bild: Reuters

Kritik wächst

Neben der Kritik von FEM und BNI haben Anfang April 250 zivilgesellschaftliche Gruppen ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht: Die Regierung missbrauche die Corona-Pandemie dazu, legitime Informationen zu zensieren. Sie fordern ein Ende der willkürlichen Internetblockaden sowie des bereits seit Monaten andauernden kompletten Internet-Shutdowns in den umkämpften Gebieten des Rakhine- und des Chin-Staates.

Die Maßnahmen der Regierung erinnern an überwunden geglaubte Zeiten. Vor der Öffnung des Landes 2011 und unter Herrschaft der Militärregierung herrschte im Land ein strenges Zensurregime. Heute ist die Medienlandschaft in Myanmar im Vergleich zu der Zeit vor 2011 zwar viel freier, aber die in den Jahren 2013-2017 erzielten Spielräume für kritische Berichterstattung werden seither Schritt für Schritt wieder zurückgenommen.