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Politik

Rückzug nach Protesthagel über Kunstaktion

4. Dezember 2019

Provokation ist sein Markenzeichen. Jetzt hatte es das Zentrum für Politische Schönheit aber übertrieben. Weil es für die mit der Asche von Holocaust-Opfern gefüllte Säule Kritik hagelte, knickten die Künstler ein.

Deutschland | Zentrum für Politische Schönheit | Reichstag
Bild: picture-alliance/dpa/C. Gateau

"Widerstand ist eine Kunst, die wehtun, reizen und verstören muss", so beschreibt das Zentrum für Politische Kunst (ZPS) auf seiner Homepage seine selbstgesteckten Ziele. Gemessen daran dürfte das Berliner Künstlerkollektiv seine jüngste Aktion anfangs als vollen Erfolg eingestuft haben. Viele Deutsche sahen das allerdings völlig anders. Sie prangerten die Aktion des ZPS als verfehlt und geschmacklos an. Auslöser des Entrüstungssturms ist eine zweieinhalb Meter hohe und etwa vier Tonnen schwere Stahlsäule. In ihr sollen sich nach Angaben das ZPS die sterblichen Überreste von Holocaust-Opfern befinden.

Warnung vor Zusammenarbeit mit rechten Kräften

Über der Säule ist der Schriftzug "Gedenken heißt Kämpfen" zu lesen. Grablichter brennen, es gibt Blumensträuße, darüber hängen Zettel mit Texten wie "Vergesst sie nicht" oder "Gegen politischen Alzheimer in Deutschland". Die Gruppe hatte die von ihr als "Widerstandssäule" bezeichnete Installation zu Wochenbeginn vor dem Reichstagsgebäude errichtet. Sie soll vor Rechtsextremismus und einer politischen Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD) warnen.

Das Zentrum für Politische Schönheit erklärte, die Toten erinnerten den deutschen Konservatismus an seine historische Schuld, "sich mit den Faschisten eingelassen zu haben: es nicht mit ihnen zu versuchen, nicht mit ihnen zu paktieren - das ist das Gebot der Stunde." Doch die Kritik an der Aktion war so groß, dass sich das ZPS am Mittwochnachmittag entschuldigte und ankündigte, die Stehle zu verhüllen. Demnach sind auch keine weiteren Aktionen geplant. Auf der Website heißt es: "Wir sagen auch den für Samstag geplanten Zapfenstreich, bei dem sich Menschen vor Ort treffen und der rechten Machtergreifung den Widerstand schwören sollten, schweren Herzens ab. Die Vorstellung, dass sich dort Menschen, die sonst auf einer Seite stehen, in Kundgebungen gegenüberstehen könnten, ist für uns nicht vorstellbar." 

Künstlerkollektiv als moralische Sturmtruppe

Mit seiner jüngsten Aktion war die selbsternannte "Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit" - wie sich das Zentrum für Politische Schönheit selbst charakterisiert - zu weit gegangen. Selbst angesichts seiner bisherigen, mitunter fragwürdigen Aktionskriterien hart an der Grenze des Ertragbaren und Legalen. Denn der Sturm der Entrüstung kam auch von einer Seite, mit der die Aktivisten kaum gerechnet haben dürften - von den Juden in Deutschland. Ausgerechnet von der Seite also, auf deren grausames Schicksal während der Nazi-Diktatur das ZPS mit Verweis auf den heutigen Rechtsextremismus warnend hinweisen wollte.

In Aktion: ZPS-Sprecher Philipp RuchBild: picture-alliance/Zuma/S. Babbar

So zeigte sich die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland bestürzt über die "sogenannte Kunstaktion". In einem veröffentlichten Schreiben an das ZPS riefen die Rabbiner die Gruppe auf, die Ruhe der Toten wiederherzustellen. Sie seien gerne dabei behilflich, die Asche gemäß dem jüdischen Religionsgesetz Halacha beizusetzen: "Mit diesem Schritt würde Ihre aus unserer Sicht missglückte und pietätlose Aktion sicherlich auch wieder in eine versöhnliche Richtung gelenkt."

Der Zentralrat der Juden in Deutschland wies ebenfalls daraufhin, dass die Aktion "gegen das jüdische Religionsgesetz der Totenruhe verstößt." Sollte es sich tatsächlich um Asche von Schoa-Opfern handeln, "dann wurde die Totenruhe gestört." Ein nach Medienberichten vereinbartes Gespräch, in dem das Künstlerkollektiv seine Motive näher erläutern wollte, sagte der Zentralrat ab.

Warnung vor drastischen Mitteln 

Der Antisemitismus-Beauftragte Felix KleinBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, ging mit der Gruppe streng ins Gericht. Es sei erschütternd, "dass heutzutage Künstler meinen, zu solch drastischen Mitteln greifen zu müssen, um auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen."

Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer nannte die Aktion "außerordentlich pietätlos und geschichtsvergessen". Ähnlich äußerte sich der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Uwe Becker. Er bezeichnete die Aktion als "völlig geschmacklos" und forderte ihren sofortigen Abbau. Der ehemalige Grünen-Abgeordnete und ehemalige Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages, Volker Beck, griff sogar zur juristischen Keule. Er twitterte, Strafanzeige wegen Verletzung der Totenruhe gestellt zu haben. 

Ein Zuspruch für die politische ZPS-Botschaft

Heftige Kritik kam auch von Seiten der Gedenkstätten. Die Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück in Brandenburg, Insa Eschebach, sagte im Deutschlandfunk, sie kenne Überlebende, die regelmäßig die KZ-Gedenkstätten aufsuchen, weil dort Angehörige ermordet wurden. Sie könne sich nicht vorstellen, dass diese Überlebenden es "sinnvoll fänden, dass nun die Asche ihrer Angehörigen für die Aktion in Berlin benutzt wird."

Rückendeckung bekam das Zentrum für Politische Schönheit immerhin vom Förderverein Denkmal für die ermordeten Juden Deutschlands. Deren Vorsitzende Lea Rosh nannte die ZPS-Aktion großartig. "Es ist ja eine politische Botschaft, die damit einhergeht. Es ist die  Botschaft: Guckt hin, hier ist die Macht an die Nazis übertragen worden."

Rückendeckung von Lea RoshBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Das Zentrum für Politische Schönheit investierte offenbar viel Zeit und Energie in das Projekt. Zwei Jahre verbrachte die Gruppe nach eigenen Angaben allein damit, Orte und Flüsse in der Nähe von Gebieten zu untersuchen, in denen die "Nazis den Massenmord perfektioniert und industrialisiert haben". Mehr als 240 Bodenproben von 23 Orten in ganz Deutschland sowie in zuvor von den Nazis besetzten Gebieten in Polen und der Ukraine wären gesammelt worden.

Grabplatte von Hitler-Förderer entwendet

Am Dienstag legte das Zentrum für Politische Schönheit mit einer weiteren spektakulären Aktion nach. Sie erklärten, die Grabplatte des früheren Reichskanzlers Franz von Papen (1879-1969) aus Wallerfangen im Saarland entfernt zu haben. Von Papen hatte den Weg Adolf Hitlers zur Macht mit vorbereitet. Nach Sondierungsgesprächen mit Hitler im Jahr 1933 über Möglichkeiten einer Regierungsbildung von konservativen und nationalsozialistischen Kräften stimmte von Papen der Bildung eines Kabinetts unter der Kanzlerschaft von Hitler zu. Er selbst übernahm bis 1934 das Amt des Vizekanzlers.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sprach der Internationale Militärgerichtshof von Papen zwar von allen Anklagepunkten frei, doch 1947 wurde er als "Hauptschuldiger" zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, wobei er bereits 1949 vorzeitig entlassen wurde. Nach Ansicht des ZPS sei von Papen als "Hitlers Ermächtiger verantwortlich für Millionen von Toten in ganz Europa". Saarländische Behörden bestätigten das Fehlen der Grabplatte.

Holocaust-Mahnmal vor Haus eines AfD-Politikers

Das Künstlerkollektiv ist bekannt für seine umstrittenen Aktionen - insbesondere für die Errichtung einer Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke im Jahr 2017. Höcke hatte die Gedenkstätte in Berlin ein "Denkmal der Schande" genannt und eine Umkehrung der deutschen Erinnerungskultur an den Holocaust gefordert.

Auch wenn die Widerstandssäule verhüllt wird: Die grundsätzliche Diskussion darüber, wie weit provokante Polit- und Kunstaktionen gehen können, wird sich damit nicht erledigt haben. 

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