Die Leugnung des Holocaust ist bei Facebook künftig untersagt. Das entschied Unternehmensgründer Mark Zuckerberg. Für Rabbiner Andreas Nachama "ein richtiger Schritt, wenn auch ein später", sagt er im DW-Interview.
Andreas Nachama: Erst mal bewerte ich es positiv, dass sie überhaupt kommt. Man hat ja lange genug dafür argumentiert, dass das so kommen sollte. Und insofern ist das jetzt erst einmal ein richtiger Schritt, wenn auch ein später.
Während der vergangenen Monate gab es im Netz eine fast verzweifelte Kampagne von Holocaust-Überlebenden, die sich persönlich an Mark Zuckerberg wendeten. Wie wichtig ist das Wort dieser letzten Zeugen?
Als Historiker kann ich da nur sagen, das ist natürlich ganz und gar wichtig, auch für die Menschen, die da ihre Stimme nochmal erheben müssen - das muss man sich ja vorstellen - um für Wahrheit zu kämpfen. Aber es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Ich meine, es gibt nicht nur genügend Zeitzeugen-Berichte, sondern auch historische Studien, die das ganz klar belegen. Und insofern würde ich jetzt einfach mal sagen: Es kommt alles sehr spät. Aber gut - wenigstens kommt es jetzt.
Hinter dem langen Zögern von Mark Zuckerberg steckt auch ein ganz unterschiedlicher Umgang mit Meinungsfreiheit im US-amerikanischen und im deutschen oder mitteleuropäischen Denken. Wie wichtig ist es, in Zeiten von Fake News bei diesem Thema - unabhängig vom Rechtsverständnis - deutlich zu machen, dass es eine Grenze im Bereich der freien Meinungsäußerung gibt?
Man sieht eben, wohin eine nach meinem Dafürhalten falsch verstandene Liberalität Fake News gegenüber führt. Also man hat dann einfach Falschnachrichten, die sich sozusagen wie ein Schneeball weiter verbreiten. Und sie werden ja dadurch nicht richtiger, dass sie von vielen vertreten werden, sondern sie werden dadurch nur noch gefährlicher.
Insofern finde ich es auch den richtigen Weg, dass bestimmte Äußerungen, die prominente Politiker in den Vereinigten Staaten tun, jetzt von den sozialen Medien korrigiert oder mit Anmerkungen versehen werden. Diesen Weg hätte man schon viel früher gehen sollen. Aber es ist jetzt auch müßig. Es ist schon mal gut, dass da an vielen Stellen Bewegung reingekommen ist - natürlich insbesondere da, wo der wissenschaftliche und der historische Zweifel, der dokumentarische Zweifel, überhaupt gar keinen Spielraum lässt.
Holocaust-Leugnung ist das eine. Daneben gibt es krasse Formen von Antisemitismus im Netz, es gibt Rassismus und Gewaltverherrlichung. Würden Sie sich dafür aussprechen, dass Mark Zuckerberg auch darüber mit relevanten Stimmen der Zivilgesellschaft in einen Dialog tritt?
Das ist ja immer eine Ermessensfrage. Natürlich ist jede falsche Nachricht eine falsche Nachricht zu viel. Da muss man überhaupt nicht drüber streiten. Das ist so. Und natürlich ärgere ich mich gelegentlich auch, wenn ich auf Nachrichten treffe, die von sehr vielen geteilt werden und die doch nachweislich falsch sind. Aber ob man das jetzt sozusagen flächendeckend mit allen mir persönlich unangenehmen Positionen machen kann, das weiß ich nicht.
"Das Ende kennen wir ja"
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Insofern würde ich jetzt einfach mal sagen: Gut, dass hier ein Anfang gemacht ist. Wir müssen mal sehen, wie sich das weiterentwickelt und ob die Dinge künftig vielleicht doch etwas gemächlicher und mehr auf die Wahrheit bezogen ablaufen. Denn ich könnte mir vorstellen, dass, wenn man das an einer Stelle mal konsequent durchzieht, es dann eben auch Veränderungen gibt.
Andreas Nachama (68), ist Historiker, Publizist und Rabbiner. Von 1994 bis 2019 war er geschäftsführender Direktor der Stiftung "Topographie des Terrors". Seit 2019 ist der gebürtige Berliner Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK).
Die Fragen stellte Christoph Strack.
Zehn wichtige Zeitzeugen des Holocaust
Als Juden oder Sinti und Roma wurden sie verfolgt und in Konzentrationslager deportiert. Ihre persönlichen Berichte sind heute von unsagbarem Wert.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner
Esther Bejarano (*1924)
Esther Bejarano hält bis heute die Erinnerung an den Holocaust wach. Sie erzählt ihre Geschichte in Schulklassen, singt für Toleranz und gegen Rassismus. Im Mädchenorchester von Auschwitz spielte sie Akkordeon - obwohl sie das Instrument noch nie in der Hand hatte. Die damals 19-Jährige wusste: "Ich muss in dieses Orchester, sonst bin ich erledigt." Und so rettete ihr die Musik das Leben.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner
Die Schwestern Renate Lasker-Harpprecht (*1924) und Anita Lasker-Wallfisch (*1925)
Ihre Eltern wurden 1942 deportiert und ermordet, die älteste Schwester konnte fliehen, Renate (li) und Anita Lasker kamen erst nach Auschwitz, dann nach Bergen-Belsen. Doch sie überlebten - nicht zuletzt weil Anita als Cellistin im Mädchenorchester von Auschwitz Privilegien genoss. Heute leben die beiden in Frankreich und England und sprechen in der Öffentlichkeit immer wieder über den Holocaust.
Bild: Imago/H. Galuschka
Inge Deutschkron (*1922)
Im Januar 1943 tauchten Inge Deutschkron und ihre Mutter in Berlin ab. Nichtjüdische Freunde versteckten sie - und bewahrten sie so vor dem Tod. In ihrer Autobiografie "Ich trug den gelben Stern" (1978) erzählt die deutsch-israelische Autorin von dieser Zeit. Mit ihrer Literatur aber auch Schulbesuchen leistet Deutschkron einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Erinnerung an die Nazi-Gräuel.
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Yehuda Bacon (*1929)
In Theresienstadt begegnete der damals 13-jährige Yehuda Bacon dem Künstler Peter Kien, dem es gelungen war, dort eine Zeichenstube aufzubauen. Es war der Beginn von Bacons Künstlerkarriere. Nach der Befreiung 1945 malte er zunächst Porträts von Mithäftlingen, später auch Abstraktes. Als Überlebender sah er sich in der Verantwortung, künftige Generationen durch seine Geschichte zu lehren.
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Saul Friedländer (*1932)
Als israelischer Historiker und Autor hat Saul Friedländer zahlreiche einschlägige Werke über die Shoah, die jüdische und seine ganz persönliche Geschichte verfasst. Auch mit seinen Vorträgen, wie hier 2019 bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus, hält der emeritierte Professor die Erinnerung an den Holocaust am Leben.
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Philomena Franz (*1922)
Ein Jahr vor Kriegsende wurde Philomena Franz nach Auschwitz-Birkenau deportiert, von dort weiter ins KZ Ravensbrück - weil sie Sinti ist. Überlebt habe sie, um der Nachwelt von ihren Erlebnissen zu erzählen. 1985 brachte sie ihre Autobiografie "Zwischen Liebe und Hass" heraus. Auch in Medien und Schulen erinnert sie immer wieder an die im Zweiten Weltkrieg rund 500.000 ermordeten Sinti und Roma.
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Ruth Klüger (1931-2020)
Erst mit 60 Jahren brach sie das Schweigen und schrieb in "weiter leben - eine Jugend" (1992) ihre Erinnerungen auf. Auch die Gedichte, mit denen Ruth Klüger die Zeit im KZ durchgestanden hatte, sind darin gesammelt. Als eine von wenigen Holocaust-Überlebenden erzählte sie von ihrem Trauma. Am 6. Oktober 2020 ist die österreichisch-amerikanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin gestorben.
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Leslie Schwartz (1930-2020)
1944, die Wehrmacht hatte inzwischen Ungarn besetzt, wurden Leslie Schwartz und seine Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Von dort gelang er weiter ins Arbeitslager Birkenau und schließlich ins KZ Dachau. In "Durch die Hölle von Auschwitz und Dachau. Ein Junge erkämpft sein Überleben" (2007) berichtet er von der Schreckenszeit. Auch in Lesungen und Vorträgen erinnerte er sich immer wieder.
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Judith Kerr (1923-2019)
Im Jahr 1933 musste Judith Kerrs Familie aus Deutschland fliehen. Die Flucht führte sie über die Schweiz nach Frankreich und schließlich nach London. Für sie als Kind ein Riesenabenteuer. In ihrem Buch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" (1971) verarbeitete Judith Kerr das Emigranten-Schicksal ihrer jüdischen Familie und erhielt dafür 1974 den Deutschen Jugendliteraturpreis.
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Coco Schumann (1924-2018)
Er liebte den Jazz und Swing - Musikrichtungen, die den Nationalsozialisten als "undeutsch" galten. 1943 wurde Coco Schumann, der Jude war, ins Ghetto Theresienstadt deportiert, ein Jahr später nach Auschwitz-Birkenau. Bis ins hohe Alter wollte der Musiker nicht über seine Lagerzeit sprechen. Bis ihm klar wurde: Wer, wenn nicht die, die es erlebt haben, sollen erzählen, was passiert ist?