Rabbiner Goldschmidt: "Das war staatlicher Antisemitismus"
Veröffentlicht 12. Juni 2025Zuletzt aktualisiert 14. Juni 2025
Eigentlich sollte in Sarajevo in der kommenden Woche die Europäische Rabbiner Konferenz (CES) stattfinden, um über aktuelle Herausforderungen und Fragen für das europäische Judentum zu sprechen. Eigentlich. Doch das Treffen wurde kurzfristig abgesagt – nach einer antisemitischen Kampagne, die auch von bosnischen Politikern unterstützt wurde.
In letzter Minute annullierte das gebuchte Veranstaltungshotel, in dem die Rabbiner übernachten sollten, die Reservierungen. Der Vorsitzende der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), Pinchas Goldschmidt, bezeichnete diesen Vorgang als "schockierend".
Dem Ganzen ging eine Kampagne in den sozialen Medien in Bosnien voraus, an der sich auch der Minister für Arbeits- und Sozialfragen eines der beiden Teilstaaten des Landes, der Bosnisch-Kroatischen Föderation, Adnan Delic beteiligte. In einem von ihm auf Facebook geteilten offenen Brief ist die Rede davon, dass "Sarajevo keine Bühne zur Unterstützung des Völkermords sein darf". Die Konferenz sei "ein Versuch über Sarajevo eine Botschaft der Legitimierung der Besatzung und der systematischen Zerstörung des palästinensischen Volkes zu senden". Israel sei ein "völkermörderisches Gebilde" und die Rabbiner in Sarajevo daher nicht willkommen, so der Tenor des Schreibens.
"Die Absage kam nicht von uns"
Trotz dieser harschen Reaktionen wollte die Europäische Rabbinerkonferenz zunächst an dem Treffen festhalten, sagt ihr Vorsitzender Goldschmidt der DW. "Wir wollten immer noch kommen und standen in Kontakt mit dem Bürgermeister von Sarajevo. Wir waren jedoch zunehmend besorgt um unsere Sicherheit. Aber am Ende, als wir gestern Morgen die E-Mail des Swissotels erhielten, dass sie unseren Aufenthalt stornieren, wurde unsere Konferenz automatisch abgesagt. Die Absage kam nicht von uns, sondern von der bosnischen Seite."
Ein Ausweichen auf ein anderes Hotel war in der Kürze der Zeit auch keine Option. "Wir müssen eine separate Küche haben, die lange vor Beginn der Konferenz mit koscherem Essen vorbereitet werden muss. Wir können nicht von einem Tag auf den anderen in ein anderes Hotel gehen. Und es gibt auch Sicherheitsprobleme." Auf eine Anfrage der Deutschen Welle zu den Hintergründen der Absage durch den Hotelbetreiber, gab es bis zur Veröffentlichung des Textes noch keine Antwort.
Für Goldschmidt, Preisträger des Aachener Friedenspreises 2024, ist das ein bisher einmaliger Vorgang. Seit dem 2. Weltkrieg habe noch nie ein europäisches Land einer jüdischen Organisation den Aufenthalt abgesagt. "Dies ist nicht mit europäischen Werten und mit europäischem Recht vereinbar und wir denken, dass ein Land, das eine solche Missachtung gegenüber europäischer Vielfalt und europäischen Religionsgruppen zeigt, wirklich nicht bereit ist, als Mitglied der Europäischen Union beizutreten", so Goldschmidt gegenüber der DW.
Druck der Behörden?
Man habe Kontakt zu bosnischen Politikerinnen und Politikern gesucht, erklärt Goldschmidt, etwa mit dem Bürgermeister von Sarajevo. Aber von offizieller bosnischer Seite habe es kein Interesse gegeben: "Es herrschte völlige Stille, keine Kontaktaufnahme. Und diese Stille ist in gewisser Weise noch aussagekräftiger als der offizielle Aufruf zum Boykott unserer Konferenz seitens des Ministers Delic."
Goldschmidt vermutet hinter der Absage des Hotels staatlichen Druck der Behörden. "Es ist eine Sache, Antisemitismus zu haben, es ist eine andere Sache, staatlichen Antisemitismus zu haben. Was wir hier gesehen haben, war staatlicher Antisemitismus."
Mittlerweile reagierte auch der Außenminister Bosniens, Elmedin Konakovic. Die Hintergründe des gesamten Falles müssten in den kommenden Tagen mit allen Einzelheiten aufgeklärt werden. "Wir haben erst spät von der geplanten Konferenz erfahren und solche Veranstaltungen sollten in Zusammenarbeit mit den staatlichen Institutionen organisiert werden", so der Minister gegenüber Radio Free Europe.
Das Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft des Landes, Großmufti Husein Kavazovic zeigte sich ebenfalls irritiert. "Ich hatte keinerlei Kenntnis von dieser Veranstaltung. Wenn jemand dieser Stadt, Sarajevo, etwas Böses wollte, dann hat er das perfekt umgesetzt. Wenn es stimmt, dass bestimmte Verantwortliche in dieser Stadt über das Treffen informiert waren, hätten sie es besser kommunizieren müssen", so Kavazovic gegenüber Radio Sarajevo.
Eine traurige Ohrfeige für Sarajevo
Für Jakob Finci, den mittlerweile 81-jährigen Präsidenten der jüdischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, ist die Absage "eine traurige Ohrfeige, die sich Sarajevo selbst verpasst hat". Finci hält die bosnische Hauptstadt nach 450 Jahren jüdischer Präsenz für "eine offene Stadt für alle frei denkenden Menschen". Er zeigte sich "unangenehm überrascht" von den Forderungen, das Treffen wegen der israelischen Aktionen im Gazastreifen zu verbieten, ohne die vorhergegangenen Angriffe der Hamas am 7. Oktober 2023 zu erwähnen.
Für den bosnischen Professor für Politikwissenschaft und internationale Beziehungen, Adnan Huskic, ist die Absage der Rabbinerkonferenz ein eindeutiger Fehler. "Die Entscheidung des Swissotels-Managements, der Rabbinerkonferenz die Gastfreundschaft zu verweigern, ist völlig falsch. Persönlich bin ich der Meinung, dass jeder das Recht hat, ein Treffen zu organisieren und dass die Frage der Meinungsfreiheit und der Meinungsäußerung in Bosnien durch die Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert ist. Entweder wir bauen einen Staat nach den europäischen Werten, für die wir eintreten, oder wir werden eine geschlossene Gesellschaft", sagte Huskic der DW. Huskic findet aber auch, dass die Art und Weise, wie die Absage seitens der Europäischen Rabbinerkonferenz interpretiert wurde, einschließlich des Aufrufs, Bosnien den EU-Beitritt zu verweigern, ebenfalls "ein großer Fehler" sei.
Krieg in Nahost weckt Traumata aus den 1990ern
Die Debatte um die Absage der Rabbinerkonferenz hat aber auch noch eine andere Dimension. Im öffentlichen Diskurs des Landes spielt der Krieg in Nahost und die damit verbundenen Folgen für die palästinensische Zivilbevölkerung für viele Bosnier eine besondere Rolle. Viele ziehen eine Parallele von den eigenen Erinnerungen und erlebten Traumata während des Bosnien-Krieges in den 1990er Jahren und den heutigen Leiderfahrungen der Palästinenser. Letztere sind auch in den Medien des Landes omnipräsent. Sender wie Aljazeera Balkans berichten täglich mit erschütternden Bildern und Berichten über den Krieg in Gaza.
Der ganze Fall offenbart, wie sehr der Krieg in Nahost die öffentliche Meinung in dem kleinen Land auf dem Westbalkan mittlerweile dominiert. Die Sorge vor einem Imageschaden für Bosnien durch die Absage ist immens. Statt in Sarajevo wird nun die Europäische Rabbinerkonferenz in München stattfinden - mit Unterstützung der Bayerischen Staatsregierung.
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