Als der Surrealismus in Paris seine Blütezeit erreicht, dominieren männliche Künstler die Bewegung. Frauen sind höchstens Muse oder Modell. Aber sie brechen das Rollenklischee auf - mit ihrer Kunst.
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Fantastische Kunst: Die starken Frauen des Surrealismus
Fetisch, Kindfrau oder Traumwesen – Künstlerinnen kamen bei den Surrealisten eher als Modelle vor. Sie brachen aus diesem Rollenklischee aus und schufen unabhängige Werke. Zu sehen in der Frankfurter Schirn.
Bild: Nickolas Muray Photo Archives
Frida Kahlo (1907-1954)
Die mexikanische Malerin kommt 1939 das erste Mal nach Paris. André Breton hatte sie ein Jahr zuvor in Mexiko besucht und ihr, begeistert von ihrer Malerei, eine Ausstellung in Europa versprochen. Doch was Frida Kahlo bei ihrer Ankunft vorfindet, stößt sie eher ab. Mit der Männerwelt der französischen Surrealisten, die Frauen als Objekt sehen, kann sie nichts anfangen.
Bild: picture-alliance/E. Moore
Patron des Surrealismus: André Breton
Zur Gruppe der französischen Surrealisten um André Breton gehören Künstlerinnen und Künstler unterschiedlichster Art: Musiker und Maler, Filmemacher, Schriftsteller und Modeschöpfer. 1924 hat Breton mit dem ersten "Manifest des Surrealismus" die literarische und philosophische Grundlage geschaffen. Eine neue Einstellung - zur Kunst, zum Verhältnis der Geschlechter und zur Realität kam auf.
Bild: picture alliance/Heritage Images/Fine Art Images
Toyen, Die Safes (1946)
Inspiriert von der Psychoanalyse von Siegmund Freud folgen die Surrealisten der neu entdeckten Kraft des Unterbewusstseins. Traumbilder und assoziative Collagen, wie dieses Bild der tschechischen Künstlerin Toyen, entwickeln einen surrealen Bilder-Kosmos, der sich gegen die "bürgerliche" Kunst richtet. Ausgehend von Frankreich breitet sich der Surrealismus über ganz Europa nach Amerika aus.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Meret Oppenheim, Urzeit-Venus (1962)
Paris wird das Zentrum der neuen Bewegung. Keine Stilrichtung, sondern eine andere Denkweise, die auch im Privaten gelebt wird. Androgyne Frauen, die ihre Weiblichkeit selbstbewusst zum Thema ihrer Kunst machen, tauchen Anfang der 1930er Jahre in den intellektuellen Kreisen der Surrealisten auf. Prominente Vertreterin ist Meret Oppenheim, die später mit ihrer "Pelztasse" berühmt wird.
Bild: Kunstmuseum Solothurn/VG Bild-Kunst
Leonora Carrington und José Horna, Die Grande Dame (1951)
Schon in ihrer Jugendzeit war die Britin Leonora Carrington rebellisch und eigensinnig. In London studiert sie Kunst und trifft an der Londoner Akademie den Maler und Bildhauer Max Ernst, dessen Kunst sie seit langem bewundert. 1937 geht sie mit ihm nach Paris und tritt der Gruppe der Surrealisten bei. Der Austausch mit Künstlern wie Picasso, Dalí und Joan Miró inspiriert sie zu starken Arbeiten.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Eileen Agar, Engel der Gnade (1934)
Eileen Agar ist in Buenos Aires geboren und in London aufgewachsen. Gegen den Willen ihrer vermögenden Eltern studiert sie Freie Kunst und zieht 1928 in die Metropole Paris. Dort trifft sie auf André Breton und Paul Éluard, mit dem sie eine leidenschaftliche Beziehung aufbaut. 1933 bekommt sie ihre erste Einzelausstellung - in London. Henry Moore überredet sie, der "London Group" beizutreten.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Dorothea Tanning, Spannung (1942)
Selbstbewusst und mit Ironie nehmen Malerinnen wie Dorothea Tanning die Motivwelt männlicher Künstler aufs Korn. Salvador Dalí, Max Ernst und Pablo Picasso bevorzugen Frauen als Modelle oder inspirierende Musen. In ihrer Malerei reduzieren sie den weiblichen Körper häufig auf Torso und Körperformen - ohne Arme, ohne Kopf, gesichtslos und austauschbar. Tanning beantwortet das auf ihre Weise.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Leonor Fini, Selbstportrait (1941)
Im Kreis der Pariser Surrealisten spielen Künstlerinnen bald eine wichtige Rolle. Mit ihren Selbstportraits und extrem weiblichen Skulpturen loten sie den Spielraum in der Kunst genussvoll aus. Und sie arbeiten mit künstlerischen Techniken, die sich aus der psychoanalytischen Methodik ableiten. Die Namen dieser begabten Frauen tauchen in der Kunstgeschichte oft nicht auf, wie hier Leonor Fini.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Lee Miller, Stumme Remington (1940)
Die Amerikanerin Lee Miller kommt 1929 nach Paris. In den USA war sie als Model für das Modemagazin "Vogue" entdeckt worden. Aus ihrer Karriere als Fotomodell erwächst auch ihr Interesse an der Fotografie. Im Pariser Studio von Man Ray, dem sie bald Geliebte und Assistentin ist, lernt sie die künstlerische Fotografie kennen. 1932 zieht sie nach New York - und kehrt 1937 wieder nach Paris zurück.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Louise Bourgeois, 1932 (1947)
Die Französin Louise Bourgeois (1911 -2010) entdeckt ihr künstlerisches Talent erst spät. 1932 beginnt sie, an der Pariser Sorbonne Mathematik zu studieren, nebenbei hilft sie in der väterlichen Tapisserie-Werkstatt aus - und beginnt zu malen. In den Künstlerateliers beobachtet sie die Maler und Bildhauer bei der Arbeit und trifft dort auch auf die Surrealistenkreise um André Breton.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
Kay Sage, Morgen ist nie (1955)
Die Künstlerinnen, die zum direkten Umkreis der Pariser Surrealisten gezählt werden, lösen sich schnell aus der männlichen Fremdbestimmung. Die Amerikanerin Kay Sage, Spross einer wohlhabenden Senatorenfamilie, studiert erst in Rom Malerei, bevor sie 1936 in Paris auf Breton und Yves Tanguy trifft. Nach Kriegsbeginn geht sie zurück nach New York und finanziert vielen Surrealisten die Emigration.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
"Fantastische Frauen"
Der Titel "Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo" setzt mit den Namen dieser prominenten Künstlerinnen nur Eckpunkte. Ein Großteil der 34 ausgestellten Künstlerinnen aus Europa, Mexiko und den USA ist unbekannt. Ihre Namen sind in Katalogen und Nachschlagewerken zum Surrealismus selten zu finden. Bis zum 24. Mai ist die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt zu sehen.
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund
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Als die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo Anfang 1939 hoffnungsvoll nach Paris reist, ist die revolutionäre Kunstströmung des Surrealismus schon weit über die Grenzen Europas bekannt geworden. Ermutigt durch den Schriftsteller André Breton, der sie und ihren Mann Diego Rivera im Jahr zuvor in Mexiko besucht hat, bereitet sie ihre erste Ausstellung in Europa vor.
"Dieses abscheuliche Paris!"
Breton zeigt sich begeistert von den phantasievollen Arbeiten Kahlos und verspricht ihr großen Erfolg in Frankreich. Aber nach ein paar Tagen als Gast in der heruntergekommenen Pariser Wohnung des Ehepaars Breton ist ihr klar, dass daraus nichts wird. "Die Sache mit der Ausstellung ist ein saumäßiges Durcheinander. Bei meiner Ankunft waren die Bilder immer noch im Zollbüro, weil dieser Mistkerl von Breton es nicht für nötig gehalten hat, sie abzuholen", schreibt sie wütend an ihren Mann.
Hilfe kommt in Person des französischen Künstlerkollegen Marcel Duchamp, der die verpackten Arbeiten in eine Pariser Galerie, die er persönlich kennt, transportieren lässt. "Der ist wirklich der einzige hier, der auf dem Boden der Wirklichkeit steht", schreibt Frida in ihr Tagebuch, "nicht wie all die wahnwitzigen Spinner von Surrealisten..."
Gesundheitlich zusätzlich angeschlagen, auch durch das ungewohnte französische Essen, begibt sich Frida Kahlo in ärztliche Obhut ins amerikanische Krankenhaus. Die Ausstellung wird am Schluss ein Erfolg, aber die Malerin distanziert sich nach ihrer überstürzten Abreise radikal: Sie will nicht mehr zu den Surrealisten gezählt werden.
Manifest des Surrealismus
Geprägt durch seine Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg hatte der französische Lyriker und Schriftsteller André Breton in Paris einige Jahre zuvor eine radikal antibürgerliche und antimilitaristische Bewegung ins Leben gerufen. 1924 verfasst er das "1. Manifest des Surrealismus", fortan theoretische Grundlage für Künstler, Dichter und Schriftsteller, die mitmachen wollen. Frauen sind in dieser Anfangszeit höchstens als Modelle im Atelier, als Ehefrau oder inspirierende Muse für die "Herren der Schöpfung" dabei.
Aus allen Kunstgattungen strömen Künstler in die surrealistischen Gruppierungen, die ihr Zentrum in Paris haben. Angezogen durch die sehr in Mode gekommene Psychoanalyse Siegmund Freuds, experimentieren die Surrealisten mit Traumdeutung, intuitiver Malerei, Collagen und Gruppensitzungen, in denen gemeinschaftlich Kunstwerke entstehen. Man muss nicht Kunst studiert haben, um mitzumachen.
Intuitive Malerei des Unbewussten
Mit dem Surrealismus entsteht in Frankreich aber keine neue Stilrichtung, sondern eine völlig andersartige Denkrichtung. Max Ernst, Hans Arp, René Magritte, Salvador Dali und Man Ray sind die führenden Figuren dieser Zeit. Das Unterbewusstsein führt Pinsel, Stift und Meißel: Surreale Bildwelten und phantasievolle Skulpturen entstehen, die zwischen Abstraktion und Fiktion changieren. Das Spiel mit Identitäten, animalische Sexualität, starker Eros und der Wechsel der Geschlechterrollen bestimmen die Motivwelt.
Frauen tauchen in den Arbeiten der Maler als Göttin, Teufel, Kindfrau, amputierte Puppe oder überhöhtes Traumwesen auf - als Objekt der Männerphantasien. In den 1930er Jahren kommen dann professionelle Künstlerinnen wie Meret Oppenheim, Leonore Harrington, Dora Maar und die Fotografin Lee Miller in den Kreis der Surrealisten um André Breton.
Mit starkem Selbstbewusstsein setzen sie andere Akzente in ihren Ateliers, mischen die Pariser Kunstszene radikal auf und entwickeln ihre eigenständige, weibliche Kunst. Meret Oppenheim wird 1936 durch ihre Pelztasse ("Frühstück im Pelz") weltberühmt, die damals als Inbegriff der surrealistischen Kunst vom New Yorker MoMa angekauft wird.
Das weibliche Prinzip in der Kunst
Viele Künstlerinnen dieser Zeit, die die Kunstströmung des Surrealismus in Europa, Mexiko und den USA vorangebracht haben, sind heute völlig unbekannt. Die Kunstgeschichte hat sie als "Frau und Muse von…" einsortiert, ihre Arbeiten sind in den großen Museen und Kunstsammlungen kaum vertreten. Die Malerin Jacqueline Lamba, seit 1934 mit Breton verheiratet, und die Fotografin Dora Paar, lange Jahre Lebensgefährtin von Pablo Picasso, sind Beispiele dafür. Beide gehörten zu den eigenständigen Surrealistinnen.
Die Kuratorin Ingrid Pfeiffer hat für die aktuelle Ausstellung in der Frankfurter Kunsthalle Schirn in jeder Hinsicht kunstarchäologische Arbeit geleistet. 260 Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Filme und Papierarbeiten von insgesamt 34 internationalen Künstlerinnen des Surrealismus hat sie zu einer umfassenden historischen Schau zusammengetragen. "Fast alle Künstlerinnen waren keine Anfängerinnen und hatten eine professionelle Kunstausbildung, als sie nach Paris kamen", erklärt sie bei der Eröffnung.
Der französischen Künstlerin Louise Bourgeois (1911-2010), die nach einem Mathematik-Studium an der Pariser Sorbonne erst spät zur Kunst und 1932 dann in den Kreis der Surrealisten kam, ist in der Ausstellung ein Extra-Raum gewidmet. Sie lebte in Paris im gleichen Haus, in dem André Breton zeitweise seine Galerie hatte. 1938 zog sie nach New York und hatte dort weiter Kontakt mit den aus Europa emigrierten Künstlern, wie Max Ernst und Marcel Duchamps.
Eindrucksvoll präsentieren in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt ihre Arbeiten - Malerei und Skulpturen, was den damaligen Künstlerinnen ureigene Weiblichkeit bedeutete. 1982 war Louise Bourgeois die erste Frau, die vom New Yorker Museum of Modern Art mit einer eigenen Retrospektive gewürdigt wurde.
Die Ausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Bildwelten von Merkt Oppenheim bis Frida Kahlo" ist noch bis zum 24. Mai 2020 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt zu sehen. Danach wandert sie nach Kopenhagen. Auf ARTE wird am 16.2. die Dokumentation „Gelebte Träume - Künstlerinnen des Surrealismus" ausgestrahlt, später jederzeit in der ARTE-Mediathek zu sehen.