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"Der Himmel wird warten": In den Fängen radikaler Islamisten

Jochen Kürten
23. März 2017

Sonia und Mélanie, zwei französische Mädchen in den Fängen radikaler Islamisten: Ein neuer Kinofilm erzählt von der Gefahr der Radikalisierung junger Menschen in der heutigen, westlichen Gesellschaft.

Filmszene "Der Himmel wird warten", von Marie-Castille Mention-Schaar
Radikalisierung zu Hause im Kinderzimmer: "Der Himmel wird warten"Bild: Neue Visionen Filmverleih GmbH

Man begegnet diesen Geschichten immer wieder: Eine junge Frau oder ein junger Mann aus einem westeuropäischen Land, nicht selten auch aus gutbürgerlichen Verhältnissen, noch Teenager, ist plötzlich ausgebrochen aus dem sozialen Umfeld und hat sich radikalen Islamisten zugewandt. Manchmal sind diese jungen Leute schon weg, in Syrien oder dem Irak, manchmal noch in ihrer Heimat, werden von den Behörden oder der Polizei aufgegriffen. Zurück bleiben rat- und fassungslose Eltern und die Frage: Wie konnte das passieren? 

Auf dem Weg zum Dschihad

Die französische Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar hat sich in ihrem vierten Spielfilm mit diesem Thema beschäftigt: "Der Himmel wird warten" zeigt den Lebensweg von zwei solchen jungen französischen Mädchen, die, fasziniert von IS und Dschihad, aus gewohnten Bahnen ausbrechen.

Mélanie, die mit ihrer Mutter Sylvie zusammenlebt und eigentlich ein gutes Verhältnis zu der alleinerziehenden Frau hat, ist plötzlich weg, auf dem Weg nach Syrien. Die 17-jährige Sonia lebt mit ihren Eltern ein vordergründig harmonisches Familienleben. Doch auch hier stimmt irgendetwas nicht. Sonia wird eines Tages verhaftet. Sie wird verdächtigt, einen Anschlag vorbereitet zu haben. Die Eltern sind schockiert.

Die Suche nach einem neuen Leben: Szene aus "Der Himmel wird warten"Bild: Neue Visionen Filmverleih GmbH

Mention-Schaar hat lange recherchiert für ihren Film. Auf das Thema ist sie erstmals gestoßen, als sie in Zeitungen und im Internet Berichte über junge Menschen auf dem Weg zur Radikalisierung las. Im Laufe ihrer Recherchen hat sie dann auch Dounia Bouzar kennen gelernt, die sich in Frankreich intensiv um solche Fälle kümmert. Bouzar ist Mitbegründerin des "Zentrums zur Prävention, Entradikalisierung und der individuellen Betreuung" (CPDSI). Die engagierte Frau erklärte sich schließlich auch bereit, in dem Film mitzuwirken: Sie spielt sich in "Der Himmel wird warten" selbst.

Hoher dokumentarisches Charakter

Mélanie und Sonia hingegen sind fiktive Figuren. "Der Himmel wird warten" ist ein Spielfilm mit hohem dokumentarischen Anspruch. Insbesondere das Schicksal von jungen Frauen habe sie interessiert, erzählt die Regisseurin. Sie habe sich "leichter mit ihren Motiven identifizieren" können als mit denen von Jungen, "die oft extrem verschieden sind", so die Filmemacherin.

Und was sind die Beweggründe für diese nach außen hin nur schwer nachvollziehbare Radikalisierung von jungen Frauen und Männern in westeuropäischen Gesellschaften? "Der Film erzählt von diesem sehr zerbrechlichen Moment der Jugend, in dem man Lust auf Engagement und Reinheit hat und in dem man so gewaltig von einem Extrem zum anderen gelangt, von der Erregung hin zur Depression", führt Marie-Castille Mention-Schaar aus. Man sei in dieser Lebensphase "gegen Lehrer, Eltern, gegen alles, was die Autorität repräsentiert."

Sandrine Bonnaire (r.) spielt die Mutter von Sonia (Noémie Merlant)Bild: Neue Visionen Filmverleih GmbH

Sie habe versucht, die Widersprüche der Mädchen festzuhalten, "ihre Schwierigkeit zurückzukommen, ihre Notwendigkeit, sich an ihrem Glauben festzuhalten, aber auch die Beziehung zu ihren Eltern, die kein Wort mehr über Gott und Religion hören wollen."

Fast wäre der Film gar nicht zustande gekommen. Der Beginn der Dreharbeiten war für den 16. November 2015 terminiert, alles war vorbereitet: die Finanzierung des Projekts, die Schauspielerauswahl, die Drehorte waren ausgesucht. Doch zwei Tage vorher, am Freitag, den 13.11., kam es zu den Anschlägen in Paris mit 130 Toten.

Erschreckende Aktualität

"Ein furchtbarer Zufall des Kalenders", sagt die Regisseurin heute. Sie habe das ganze Wochenende nach den Anschlägen damit verbracht, darüber nachzudenken, ob sie nicht alles absagen solle: "Wir waren alle komplett erschüttert, diesen Film zu machen, der versucht, die Intimität von zwei jungen Mädchen zu erforschen, die zum Fanatismus übergehen, in dem Moment, in dem Frankreich erneut in seinem Herzen getroffen wurde." Doch Mention-Schaar und das Team entschieden dann, die Dreharbeiten zu beginnen: "Verstehen hat nichts mit Entschuldigen zu tun." Es sei für sie nach den Anschlägen noch dringlicher gewesen, zu versuchen zu verstehen.

Nach der Welturaufführung beim Internationalen Filmfestival in Locarno im vergangenen Jahr kommt dieser wichtige - und nach den jüngsten Anschlägen von London - wohl auch immer noch höchst aktuelle Film nun in die deutschen Kinos.

 

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