Radikalisierung in der Ukraine
12. Juni 2013Zwei Jahre vor den Präsidentschaftswahlen radikalisiert sich die ukrainische Politik zunehmend. Schuld daran sei die, wie es seitens der regierenden Partei der Regionen heißt, "neofaschistische Partei Swoboda" (Freiheit). Sie war bei der Wahl im Herbst 2012 erstmals ins Parlament eingezogen. Unter dem Motto "Nach Europa - ohne Faschisten!" organisierte die Regionen-Partei von Präsident Viktor Janukowitsch in den vergangenen Wochen landesweit "antifaschistische Märsche".
Zur Opposition zählen neben der von Oleh Tjahnybok angeführten Swoboda-Partei, die Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko - derzeit geführt von Arsenij Jazenjuk - sowie die Ukrainische Allianz für demokratische Reformen (UDAR) mit Vitali Klitschko an der Spitze. Themen wie der Status der russischen Sprache in der Ukraine sowie der Umgang mit der sowjetischen Vergangenheit spalten die Ukrainer. So erhielt auf Betreiben der Regionen-Partei das Russische in einigen Landesteilen den Status einer regionalen Sprache. Die Opposition lehnt dies ab. Einzige Amtssprache landesweit müsse das Ukrainische bleiben. Vor allem die Swoboda-Partei fordert zudem die Beseitigung sowjetischer Denkmäler und eine Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur.
Zunehmende Spannungen
Der deutsche Politikwissenschaftler Andreas Umland bestätigt eine zunehmende Radikalisierung in der ukrainischen Gesellschaft. "Es hat jetzt erste physische Übergriffe von beiden Seiten gegeben, sowohl von jungen Männern, die die Partei der Regionen angeheuert hat, als auch von Seiten Swobodas", sagte der Ukraine-Kenner der Deutschen Welle.
Bei der Swoboda-Partei könne man von einer tatsächlichen Radikalisierung sprechen, aber bei der Partei der Regionen nur von einer künstlichen. "Diese Partei ist weit weniger ideologisch als Swoboda oder Vaterland", so Umland. Da in der Ukraine echter Antifaschismus verbreitet sei, sei die nationalistische Swoboda-Partei in der Lage, die Gesellschaft zu polarisieren. Dies fördere die Regierung offenbar, vermutet Umland. "Man möchte durch diese Konfrontation mit Swoboda, mit den Nationalisten, von den eigenen Misserfolgen und sozioökonomischen Problemen ablenken", betonte der deutsche Experte. Doch das, was die Partei der Regionen betreibe, sei eine Trivialisierung der Begriffe Nationalismus und Faschismus. Deren Verwendung habe vor allem manipulierenden Charakter, um die Situation im Lande anzuheizen, so Umland.
Mobilisierung der Wählerschaft
"Den Machthabern ist die wirkliche Bedeutung dieser Begriffe egal, weil sie diese nur für ihre eigenen politischen Technologien und Ziele ausnutzt", meint der ukrainische Politologe Oleksij Haran. Früher habe vor Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen meist nur die Sprachenfrage die Menschen in der Ukraine polarisiert. Heute versuche die Regierungspartei, "antifaschistische Inhalte" anzubieten. "Auf diese Weise mobilisiert Viktor Janukowitsch seine Wählerschaft für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015", glaubt Haran.
Aktuellen Umfragen zufolge würde Amtsinhaber Viktor Janukowitsch gegen die Oppositionspolitiker Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Julia Timoschenko verlieren, so Haran im Gespräch mit der DW. Aber gegen den Swoboda-Anführer Oleh Tjahybok würde Janukowitsch in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl gewinnen.
Parallelen zu früheren Wahlen
"Es gibt schon geraume Zeit die Spekulation, dass man versucht, Tjahnybok als alternativen Präsidentschaftskandidaten gegenüber Janukowitsch aufzubauen", sagte Umland. Der deutsche Politologe sieht Parallelen zu den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 1999 oder 2002 in Frankreich. Damals hatten radikale Kandidaten in der zweiten Wahlrunde gegen die jeweiligen Amtsinhaber verloren - 1999 der Chef der ukrainischen Kommunisten, Petro Symonenko, gegen Präsident Leonid Kutschma und 2002 der Chef der Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen, gegen Jacques Chirac. "Das scheint offenbar das Szenario der Machthaber in Kiew zu sein, das dahintersteht", so Umland.