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Was wir über die 1800 Atommüll-Fässer im Atlantik wissen

1. Juli 2025

Hunderttausende Fässer mit nuklearem Müll wurden vor Jahrzehnten im Atlantik versenkt. Forschende vermuten, dass sie Radioaktivität freisetzen und nehmen Proben aus ihrer Umgebung. 1800 Fässer haben sie bereits geortet.

Vier Menschen beobachten, wie ein gelber Tauchroboter am Heck eines Schiffes zu Wasser gelassen wird
Mit ihrem Tauchroboter Ulyx haben Forschende fast 2000 Fässer mit radioaktivem Müll im Nordostatlantik entdecktBild: Flotte Océanographique Française/picture alliance/dpa

Aus den Augen, aus dem Sinn - nach diesem Motto wurde früher radioaktiver Abfall im Meer verklappt. Mehr als 1800 Fässer mit radioaktiven Abfällen haben Forschende nun im Nordostatlantik entdeckt. Die radioaktiven Fässer waren zwischen den 1950er und 1980er Jahren von verschiedenen europäischen Staaten, darunter Großbritannien, Belgien, die Niederlande, die Schweiz und Deutschland, im Ozean entsorgt worden. Es war die billigste und einfachste Lösung, um radioaktive Abfälle aus der Atomindustrie und aus Forschungslaboren zu beseitigen.

Erst 1993 wurde die Entsorgung von Atommüll im Ozean untersagt. Bis dahin wurden allerdings mutmaßlich mindestens 200.000 Fässer alleine im Nordostatlantik versenkt, in 3000 bis 5000 Metern Tiefe.

Europäische Forschende sind nun auf dem Forschungsschiff "L'Atalante" in das Gebiet gefahren, in dem vermutlich die Hälfte aller Atomabfälle landete: in das Westeuropäische Becken des Atlantiks, mehr als 1000 Kilometer westlich vom französischen La Rochelle. NODSSUM heißt das Projekt - Nuclear Ocean Dump Site Survey Monitoring - zu Deutsch etwa: Überwachung der Atom-Deponien im Ozean.

Bereit für die Forschungsmission im Nordatlantik: die L'Atlante im Hafen der bretonischen Stadt BrestBild: Sebastien Salom-GomisAFP/Getty Images

Bisher kaum Daten zu den Atommüll-Fässer im Atlantik

Das internationale Team aus 21 Forschenden will eine Karte mit allen Orten erstellen, an denen Atom-Fässer gefunden werden. Denn bisher weiß man nur wenig über den Nuklearmüll im Meer und darüber, wo genau er sich befindet.

"In vielen Fällen fehlen Informationen über den Zustand oder den genauen Standort der Fässer und die Daten über die Art und Herkunft der radioaktiven Abfälle sind oft unvollständig oder schwer zugänglich", erklärt Pedro Nogueira der DW. Der Biochemiker vom Thünen-Institut für Fischereiökologie in Bremerhaven ist mit an Bord der "L'Atalante". Er arbeitet seit zehn Jahren an der Überwachung radioaktiver Stoffe in der Meeresumwelt.

Von kontaminierten Labormaterialien und Schutzkleidungen, Rückständen aus Medizin, Forschung und Industrie sowie Abfällen aus Atomreaktoren sei alles dabei, so Nogueira. Zwar handelt es sich bei dem verklappten Müll dem Wissenschaftler zufolge zum Großteil um schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Doch auch einige dieser Stoffe sind gefährlich. Strontium-90 etwa, das vor allem Knochentumore und Leukämie auslösen kann, wenn es in den menschlichen Körper gelangt. Oder Cäsium-137, ein Stoff, der auch bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl freigesetzt wurde. Bis heute sind Wildpilze und Wildtierfleisch in einigen Regionen Europas, darunter Bayern in Deutschland, damit noch stark belastet.

Und auch Plutonium wurde in Fässern im Atlantik versenkt, genauer gesagt: Plutonium-239. Es ist das am häufigsten produzierte Plutoniumisotop. Als Isotope bezeichnet man Atomarten eines chemischen Elements, hier also des Plutoniums, die sich in der Anzahl ihrer Neutronen im Atomkern vom Ursprungselement unterscheiden.

Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von mehr als 24.000 Jahren, erst dann also ist seine Strahlung um die Hälfte gesunken.

Wie viel radioaktive Strahlung entweicht in den Ozean? 

Projektleiter Patrick Chardon, Atomphysiker am Labor Clermont Auvergne in Frankreich vermutet, dass schon seit längerem Radioaktivität aus den Behältern entweicht. Zwar seien die Fässer so konzipiert, dass sie dem Druck der Tiefe standhielten. Allerdings eben nicht so, dass die radioaktive Strahlung in ihrem Inneren bleibe.

"Wir wissen, dass einige Fässer korrodiert sind und dass in Tiefsee-Sedimenten und Organismen in der Nähe alter Deponien geringe Mengen an Radioaktivität nachgewiesen wurden", sagt Pedro Nogueira. "Die verfügbaren Daten zeigen aber, dass sie für die Küstenregionen oder die menschliche Gesundheit nur ein sehr geringes Risiko darstellt." Auch in Fischen und Meeresfrüchten liege die Radioaktivität weit unter den Schwellenwerten für sichere Lebensmittel, wie die laufenden Überwachungen zeigten.

Projektleiter Chardon schätzt, dass bei den allermeisten nuklearen Abfällen im Nordatlantik die Radioaktivität nach etwa 300 bis 400 Jahren verschwunden sein wird. Nur bei etwa zwei Prozent des Mülls sei die Strahlungsdauer deutlich länger, so der Atomphysiker.

Atommüll soll in der Tiefsee des Atlantiks bleiben 

Die in der Tiefsee versenkten Fässer werden wahrscheinlich dort verbleiben. Eine Bergung wäre mit der derzeitigen Technologie äußerst schwierig und könnte größere Umweltrisiken mit sich bringen, erklärt Pedro Nogueira.

Um künftige Veränderungen der radioaktiven Belastung rechtzeitig zu erkennen und dann angemessen zu handeln, sei daher eine kontinuierliche Überwachung des Atommülls im Ozean unerlässlich, betont der Wissenschaftler.

Vier Wochen lang will das Team auf der "L'Atalante" insgesamt vor Ort bleiben. Nicht nur, um Standorte und Zustand der Fässer zu erfassen, sondern auch, um Proben von Wasser, Boden und Tieren nehmen. Sie sollen zeigen, welchen Einfluss der verklappte Nuklearmüll auf das Ökosystem hat. Insgesamt wollen die Forschenden etwa 200 Quadratkilometer Meeresgebiet untersuchen.

Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima, Umwelt und Wissenschaft