Deutschland ist ausgeschieden. Im Achtelfinale der EURO 2020 unterliegt das Team von Bundestrainer Joachim Löw England in einem historischen Spiel. Besonders für einen Torschützen wird ein Traum wahr.
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Er war nicht mehr zu halten. Raheem Sterling sprintete nach seinem 1:0-Führungstreffer auf die Fans hinter dem Tor des geschlagenen Manuel Neuer zu. Er schrie, die Hände weit ausgebreitet - ein Tor voller Überzeugung, ein Treffer für die Geschichtsbücher. Sterlings Treffer ließ die vorher enge und spannende Partie zu Gunsten der Engländer kippen. Am Ende hieß es 2:0 (0:0) für die "Three Lions" - das DFB-Team war geschlagen, die Ära Joachim Löw als Bundestrainer beendet. Seit 1966 hatte kein englisches Team mehr eine DFB-Elf in der K.o-Phase eines großen Turniers besiegen können. Es war ein Sieg des Willens an diesem Abend im Wembley-Stadion.
Logisch, dass bei solch einem prestigeträchtigen Duell auch der Torschütze eine besondere Geschichte hat. Vom linken Arm abwärts hat sich Sterling ein Tattoo stechen lassen. Es zeigt einen kleinen Jungen, der ein Trikot mit der Nummer Zehn trägt und hoffnungsvoll mit einem Ball unter dem Arm auf das Wembley-Stadion schaut. Dieser Junge ist er selbst. Sterlings Geschichte ist besonders, weil er in unmittelbarer Nähe des Stadions aufgewachsen ist. Zunächst die beiden Türme des alten Wembley-Stadions, nach dem Umbau dann der berühmte Bogen, der das neue Stadion überragt - beides war von seiner Straße Neeld Crescent aus zu sehen, wo der heute 26-Jährige seine Kindheit verbrachte.
Schon beim 1:0-Erfolg über Kroatien in der EM-Gruppenphase hatte Sterling getroffen. "Da ich zwei Minuten die Straße runter aufgewachsen bin, weiß ich, dass ich hier treffen muss", hatte der Angreifer nach dem Sieg gegen Kroatien gesagt und ergänzt: "Ich habe immer gesagt, wenn ich bei einem großen Turnier in Wembley spiele, muss ich ein Tor schießen."
Fans sorgen für gute Stimmung
Lange Zeit war nicht klar, wie die Neuauflage des Klassikers zwischen England und Deutschland ausgehen würde. Beide Teams zollten dem jeweiligen Gegner viel Respekt, keine Mannschaft wollte den ersten möglicherweise entscheidenden Fehler machen. Mal verhinderte der Kopf von Mats Hummels den Führungstreffer, mal eine starke Parade von Manuel Neuer oder Englands Torhüter Jordan Pickford. Das Duell der beiden Fußball-Mächte lebte von der Spannung und der Stimmung.
Immer wieder stimmten die Fans Lieder an, feuerten ihre Mannschaft an und hätten wohl am liebsten selbst den Ball über die Linie gedrückt. Der quirlige Sterling bereitete der deutschen Defensive so manches Mal Kopfzerbrechen, kam aber in der Anfangsphase lediglich zweimal zu gefährlichen Abschlüssen, die einmal Neuer und ein anderes Mal Mats Hummels mit einer starken Grätsche entschärfen konnten.
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"Football's coming home"
Kurz nach seinem Führungstreffer hätte Sterling dann sogar noch zum tragischen Helden werden können. Durch seinen Fehler wurde Thomas Müller in Szene gesetzt, doch der ließ die große Chance auf den Ausgleichstreffer liegen. Danach war für die englischen Fans im Stadion klar, dass sich die "Three Lions" dieses Mal den Erfolg nicht mehr nehmen lassen würden.
Harry Kane begrub nur wenige Minuten vor dem Schlusspfiff endgültig alle Hoffnungen der DFB-Elf. Und während die einen erschöpft auf den Boden sanken, waren die Emotionen der Engländer nur schwer in Worte zu fassen.
Die Ehrenrunde wurde somit zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle - für die Spieler und die Fans. "Football's coming home" wurde wohl noch nie zuvor mit so viel Inbrunst in dieser Arena gesungen wie an diesem Abend. Rund 40.000 englische Zuschauer feierten ihr Team und ihren Helden aus der Nachbarschaft. Der Fußball ist nach Hause gekommen - es gibt wohl wenige Abende, an denen dieser Satz besser auf den Ausgang eines Spiels passt als dieses Mal.
Der Klassiker: Deutschland gegen England
Es ist ein Duell mit großer Historie. Zum achten Mal endet es mit einem Unentschieden. In der Gesamtbilanz haben die Engländer jedoch mit 17 Siegen in 38 Spielen die Nase vorn.
Bild: imago images/Pressefoto Baumann
1909: Die historische Packung
Es ist das vierte Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft überhaupt und das zweite gegen England, dieses 0:9 in Oxford. 6000 Zuschauer werden Zeugen der bis heute höchsten Niederlage eines DFB-Teams. Beim Datum streiten sich die Fußball-Historiker noch immer. Denn offiziell wird der 16. März angegeben. Aber wie konnten die Zeitungen dann schon am 14. März darüber berichten?
... zeigen wir hier nicht. Das ist schon zu oft gezeigt worden. Und inzwischen ist sowieso klar: Der Ball von Geoff Hurst war nicht drin. Im WM-Finale 1966 in London erzwingt Abwehrspieler Wolfgang Weber (links unten) mit seinem 2:2 in der 90. Minute die Verlängerung. Der Rest ist Geschichte. England gewinnt seinen einzigen großen Titel durch einen 4:2-Sieg über enttäuschte Deutsche.
Bild: picture-alliance/dpa/Empics Barratts
1968: Der erste deutsche Sieg
59 Jahre und 13 Spiele lang dauert es, bis Deutschland zum ersten Mal gegen England gewinnen kann. Und wer sonst als der "Kaiser" Franz Beckenbauer sollte das Siegtor zum 1:0 von Hannover schießen? Es ist übrigens, berichten Zeitzeugen, eines der schwächsten Duelle der beiden ewigen Kontrahenten. Egal - am Ende zählt vor 80.000 Zuschauern nur der Sieg bei der WM-Revanche.
Bild: picture-alliance/dpa
1970: Seelers Hinterkopftor
Die deutsche Mannschaft liegt im WM-Viertelfinale von Leon in Mexiko schon mit 0:2 zurück, als zunächst Franz Beckenbauer und dann Kapitän Uwe Seeler treffen. Dabei verlängert der kleine Seeler (r.) den Ball geschickt mit dem Hinterkopf über Torwart Peter Bonetti. In der Verlängerung sorgt Gerd Müller für die Entscheidung und den Einzug ins Halbfinale gegen Italien. Da ist dann aber Endstation.
Bild: Sven Simon/picture-alliance
1972: Der beste Fußball aller Zeiten
"Zu diesem 3:1-Sieg kann es keine Steigerung mehr geben", schwärmt der sonst eher grantige Paul Breitner nach dem ersten Erfolg einer deutschen Nationalelf in Wembley. Seine Kollegen Uli Hoeneß, Günter Netzer und Gerd Müller schießen die Tore. Beim EM-Viertelfinale gibt es damals noch Hin- und Rückspiel. Zwei Wochen später folgt in Berlin ein 0:0 - und wenig später der Titel für die Deutschen.
Bild: Getty Images
1982: Nullnummer in Spanien
1982 gibt es noch Zwischenrunden bei Weltmeisterschaften. In der deutschen Gruppe: Spanien und England. Mit dem 0:0 gegen die Engländer schaffen sich Manfred Kaltz, Ulli Stielike und Hans-Peter Briegel (unten, v.l.n.r.) eine gute Ausgangssituation, besiegen später Spanien mit 2:1 und erreichen über das Elferschießen gegen Frankreich das Finale. Da gewinnt dann allerdings Italien mit 3:1.
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1990: Beginn des Elfer-Mythos
"Im Prinzip kann jede Mannschaft jede andere im Elfmeterschießen schlagen, es sei denn, England spielt gegen Deutschland", verzweifelt Englands Gary Lineker. Stuart Pierce (Bild) und Chris Waddle zeigen im WM-Halbfinale Nerven, Deutschlands Schützen bleiben alle cool beim 4:3 im Elfmeterschießen. Zuvor haben Andreas Brehme und Lineker in der regulären Spielzeit getroffen.
Bild: picture-alliance/dpa
1996: Mitten ins Herz
Es ist angerichtet für den zweiten großen Titel der Engländer. Sie stehen im Halbfinale bei der EM im eigenen Land. Der Haken daran: Der Gegner heißt Deutschland und nach regulärer Spielzeit und Verlängerung steht es 1:1 - Elfmeterschießen. Klar, wie das ausgehen wird... Diesmal scheitert Gareth Southgate an Andreas Köpke - danach setzt Andreas Möller (Foto) den entscheidenden Treffer.
Bild: imago images/Pressefoto Baumann
2000: Didis Abbruchfete
Es ist das letzte Spiel im altehrwürdigen Wembley-Stadion. In der EM-Qualifikation wollen sich die Gastgeber allzu gerne mit einem Sieg über Deutschland aus der Arena verabschieden, bevor sie abgerissen und durch eine moderne ersetzt wird. Doch Didi Hamann (Nr. 10) macht einen Strich durch diese Rechnung. Ausgerechnet der langjährige England-Legionär erzielt den Treffer zum 1:0-Endstand.
Bild: picture-alliance/Sven Simon
2001: Dreimal Owen
Das nennt man wohl einen Erdrutsch-Sieg: Als die Deutschen in der WM-Qualifikation durch ein Tor von Carsten Jancker mit 1:0 vorne sind, legt England los. Michael Owen (l.), Steven Gerrard (r.) und Emile Heskey drehen die Partie und fügen Deutschland eine schmerzhafte 1:5-Niederlage zu. Owen trifft sogar dreimal.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Copley
2010: Rache für Wembley
Es ist das Achtelfinale bei der WM in Südafrika: 40. Minute, Spielstand: 2:1 für Deutschland. Da haut Paul Lampard drauf, der Ball prallt von der Latte für alle sichtbar hinter der Linie des deutschen Tores auf. Für alle, nur nicht für die Referees. Kein Tor! Thomas Müller erhöht mit zwei Treffern noch zum 4:1-Endstand. Die Engländer fluchen, und in Deutschland denken alle an Wembley '66...
Bild: AP
2013: Der Sixpack ist geschnürt
Es ist nur ein Freundschaftsspiel, aber in Wembley geht es immer ums Prestige. Das 1:0, erzielt von England-Legionär Per Mertesacker (Bild), bringt den sechsten deutschen Sieg in Folge in der "Kathedrale des Fußballs". Und das, obwohl Bundestrainer Joachim Löw auf Stützen wie Manuel Neuer, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder Mesut Özil verzichtet.
Bild: Reuters
2016: Englands starke Antwort
Alles sieht nach einem souveränen Testspiel-Sieg aus. Toni Kroos und Mario Gomez bringen die Gastgeber mit zwei Toren in Führung. Doch in der letzten halben Stunde offenbart die deutsche Mannschaft viele Schwächen. Harry Kane, der eingewechselte Jamie Vardy mit einem spektakulären Hackentor (Foto) und Eric Dier drehen die Partie zu Gunsten der mutigen und spielstarken Engländer.
Bild: Reuters/H. Hanschke
2017: Gelangweilte Engländer
Bei diesem Duell in Wembley startet die deutsche Elf besser und hat reihenweise Chancen. Die beste vergibt Leroy Sané (r.), sein Schlenzer landet an der Latte. Das Testspiel endet torlos. Dabei ist die zweite Hälfte so langweilig, dass die englischen Fans Papierflieger basteln und jubeln, wenn es einer bis auf den Rasen schafft.
Bild: Reuters/T. Melville
2021: Nächster Rückschlag für die DFB-Elf
Das Achtelfinale der EURO 2020 läuft nicht gut für die DFB-Elf. Raheem Sterling und Harry Kane treffen zum verdienten 2:0-Erfolg für die Engländer im Wembley-Stadion. Es ist gleichzeitig das letzte Spiel für Joachim Löw nach 15 Jahren als Bundestrainer. Die deutsche Elf tritt mutlos gegen die "Three Lions" auf und muss - wie nach der WM 2018 in Russland - erneut frühzeitig die Heimreise antreten.
Bild: John Sibley/REUTERS
2022: Spielverderber Harry Kane
Lange sieht es im Nations-League-Duell in München nach einer Revanche für die EM-Niederlage im Vorjahr aus. Deutschland führt durch ein Tor von Jonas Hofmann bis in die Schlussphase mit 1:0. Doch dann gibt es einen umstrittenen Elfmeter nach Videobeweis. Der zu Fall gebrachte Harry Kane (2.v.l.) lässt sich die Chance nicht nehmen und verwandelt den Strafstoß zum 1:1-Endstand.