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Von der Startbahn auf die Schiene

Andreas Spaeth
21. Mai 2021

Nach wie vor hält Corona einen Großteil der Flugzeuge am Boden. Heißt auch: Es gibt zu viele Piloten, während Bahnunternehmen dringend Lokführer suchen. Daraus entstehen interessante neue Karrierewege.

Die gefährlichsten Berufe Pilot
Bild: picture alliance/blickwinkel

Die Lage für die Luftfahrt und damit für Piloten ist auf der ganzen Welt weiter prekär - allein in Europa stand im Mai noch ein Drittel aller Verkehrsflugzeuge geparkt am Boden. Am 4. Mai verzeichnete die Lufthansa 81 Prozent weniger Flüge als am gleichen Tag 2019, die Kranich-Linie konnte gerade noch 306 Flüge durchführen. Einige davon befördern derzeit ausschließlich Fracht.

"Auch der Mai war ein Monat zum Vergessen für die Luftfahrt", sagt Eamonn Brennan, Chef der Luftraumüberwachung Eurocontrol. Der Traumberuf Pilot ist daher für viele Flugzeugführer zum Alptraum geworden. Die Pilotengewerkschaft EPA geht davon aus, dass von bisher etwa 65.000 Flugzeugführern in Europa bis zu 18.000 dauerhaft ihren Job verlieren, allein die Lufthansa muss vermutlich 2022 bis zu 1200 Cockpitjobs streichen.

Zu Jahresbeginn ergab eine Umfrage unter 2600 Piloten, dass nur 43 Prozent von ihnen den Job machten, für den sie ausgebildet waren. 30 Prozent waren arbeitslos, 17 Prozent beurlaubt und zehn Prozent anderweitig beschäftigt. 82 Prozent der Befragten waren bereit, Gehaltseinbußen in Kauf zu nehmen für die Chance auf einen neuen Job.

Am Boden: Abgestellte Lufthansa-Maschinen am Flughafen BerlinBild: picture-alliance/dpa/T. Schöning

Bahnunternehmen als Alternative

Piloten ohne Beschäftigung sind inzwischen weltweit auf Nachfrage im landgebundenen Transportwesen gestoßen. Das gilt für die großen Bahnunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber etwa auch für den Nahverkehr in Hongkong oder Busunternehmen in Australien. Führerstand statt Cockpit - dieser Strategie folgend lenken jetzt immer mehr frühere Piloten andere Verkehrsmittel.

Denn etwa die Züge der Deutschen Bahn fahren trotz der Pandemie beinahe uneingeschränkt weiter, und genau wie bei ihren Schwesterunternehmen in den Nachbarländern herrscht seit längerem ein großer Mangel an Lokführern. Die schweizerische SBB hatte in ihrer Not bereits Rekrutierungskampagnen im Ausland gestartet - mit wenig Erfolg. Dann kam die Pandemie und plötzlich gab es viele arbeitslose Piloten auf Jobsuche, gut ausgebildet, belastbar, zuverlässig - genau passend zum Job-Profil auch für Lokführer.

Ein Sprecher der Deutschen Bahn bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa am vergangenen Wochenende, dass das Unternehmen 1500 Bewerbungen von früheren Piloten und auch Flugbegleitern erhalten habe. Bereits im Mai 2020 hatte die Bahn eine Kooperation mit der inzwischen in Eurowings aufgegangenen Germanwings eingeführt und ebenfalls mit der liquidierten SunExpress Deutschland, um freigestelltes Personal zu übernehmen.

Ähnliche Perspektive, genauso viel Verantwortung: Lokführer in einem ICEBild: Arne Dedert/dpa/picture-alliance

Ähnlich hohe Verantwortung

Insgesamt etwa 280 frühere Airline-Mitarbeiter hat die Deutsche Bahn demnach bereits eingestellt, darunter 55 Ex-Piloten und 107 ehemalige Mitglieder von Kabinenbesatzungen, die bei der Bahn meist als Zugbegleiter anheuern. Die neuen Lokführer absolvieren eine sogenannte Funktionsausbildung, die zehn bis zwölf Monate dauert. "Es gibt große Schnittmengen mit dem Beruf des Piloten", sagte Dennis Seidel dem Branchenportal airliners.de, er saß zehn Jahre im Cockpit von Flugzeugen einer Air Berlin-Regionaltochter und wird derzeit zum Lokführer der Deutschen Bahn ausgebildet. "Rein von den Tätigkeiten sind die Aufgabenbereiche sehr ähnlich. Die Lokführer haben einen genauso verantwortungsvollen Job wie Piloten", so Seidel. In der Lok etwa eines ICE sitze er zwar allein, ohne Copilot wie im Flugzeug, dafür sei die Anzahl der beförderten Personen in dem Hochgeschwindigkeitszug mit bis zu 900 Passagieren wesentlich höher.

Der 27jährige Felician Baumann aus Hamburg war ursprünglich für eine Pilotenausbildung bei Austrian Airlines nach Wien gekommen und musste sich dann in der Pandemie neu orientieren. Seine Wahlheimat hatte er schnell lieben gelernt und sich als Plan B beim Nahverkehrsbetrieb Wiener Linien als Straßenbahnfahrer verdingt.

Straßenbahn in Wien, hier vor dem RathausBild: Getty Images

Gehaltseinbußen mal kleiner, mal größer

"Der Auftrag liegt in beiden Berufen darin, eine ähnliche Anzahl von Gästen sicher von A nach B zu befördern", erzählt Baumann in einem Video seines Arbeitgebers.In Wien erregte seine ungewöhnliche Karriere auch mediale Aufmerksamkeit. "Bim statt Boeing", titelte die Lokalzeitung Heute - wobei 'Bim' auf Wienerisch Straßenbahn heißt. Ein wichtiges Thema beim Jobwechsel vom Flugzeug in den Führerstand ist der Gehaltsunterschied. "Der ist nicht so signifikant, ich verdiene jetzt unwesentlich weniger als ich am Anfang in der Fliegerei bekommen hätte", sagt Baumann.

Bei der Deutschen Bahn kassieren nach deren Angaben fertig ausgebildete Lokführer 44.000 bis 52.500 Euro brutto jährlich inklusive Zulagen, während bei Lufthansa ein Pilot vor der Pandemie im ersten Berufsjahr rund 65.000 Euro brutto im Jahr nach Hause brachte - und selbst als Co-Pilot nach 20 Dienstjahren fast das Doppelte.

Das Lohngefälle zwischen Cockpit und Führerstand ist anderswo noch viel größer: In Hongkong saß Earnest Li 19 Jahre im Airbus-Cockpit einer Tochtergesellschaft von Cathay Pacific, die kürzlich abgewickelt wurde. Der Pilotenveteran sattelte um: "Früher war ich Airbus-Kapitän, heute bin ich Kapitän eines Doppeldecker-Busses", erklärte Li dem Online-Portal The Standard,nachdem er beim lokalen Nahverkehrsanbieter angeheuert hatte.

Jeder junge Pilot sollte einen Plan B haben

Allerdings ist in der asiatischen Metropole der Gehaltsverzicht immens: Als Busfahrer verdient er jetzt umgerechnet gut 1800 Euro monatlich, während vor der Pandemie und Gehaltskürzungen die dienstältesten Piloten bei Cathay Pacific umgerechnet bis zu 18.000 Euro einstrichen - im Monat. In Australien sind 13 bisherige Qantas-Piloten jetzt ebenfalls als Reisebusfahrer tätig, mehrere von ihnen flogen vorher den Riesen-Airbus A380, der jetzt auf Jahre eingemottet ist.

"Es gibt einige Fälle, aber noch keine Massenbewegung von Piloten in Richtung Gleise", erklärt Janis Schmitt, Sprecher der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit und berichtet von etwa 60 Piloten und Pilotinnen auf diesem Karriereweg hierzulande. "Grundsätzlich raten wir jedem, sich vor der Cockpit-Ausbildung einen Plan B zurecht zu legen", so Schmitt gegenüber DW. Dass der dann zur Lenkung eines Zuges, einer Straßenbahn oder eines Doppeldecker-Busses führt, konnte sich vor gut einem Jahr sicher noch niemand vorstellen.

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