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Rainer Maria Rilke

Heike Mund
Rainer Maria Rilke (Porträt: AP, Montage: Philip Kleine / Peter Steinmetz)
Bild: Fotomontage: DW

"Ein blasses, blondes Mädchen kauerte da auf dem mattfarbigen geblümten Lehnstuhl; ihre weißen Hände, die nach etwas Unsichtbarem zu greifen schienen, hoben sich hell und durchscheinend von der dunkelgrünen Decke ab, die Kniee und Füße umschloß. Die Lippen waren zartrot wie kaum erschlossene Blüten, und ein leises Lächeln umsonnte sie. So lächelt ein Kind, das in der Christnacht, das neue Holzpferdchen im Arm, entschlafen ist." (aus: "Heiliger Frühling")

Der Autor

Rainer Maria RilkeBild: picture-alliance / IMAGNO/Austrian Archives

Geboren am 4. Dezember 1875 in Prag
Gestorben am 29. Dezember 1926 in Val Mont/Montreux

Bewunderung, vor allem durch sein weibliches Publikum, hat der Dichter Rainer Maria Rilke schon zu seinen Lebzeiten reichlich genossen. Aber es war nie genug, um die schmerzlichen Erfahrungen seiner Kindheit auszugleichen.

Er wird in eine unglückliche Ehe hinein geboren. Der herrische Vater ist Eisenbahninspektor, die Mutter entstammt einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie und flüchtet sich - vom Leben enttäuscht - in eine übersteigerte Religiosität. Ihren Sohn erzieht sie nach der Scheidung allein. "Ich musste sehr schöne Kleider tragen und ging bis zur Schulzeit wie ein Mädchen umher; ich glaube, meine Mutter spielte mit mir, wie mit einer großen Puppe", schreibt Rilke später.

Die Schulzeit verbringt der kränkliche René, so sein Taufname, in großer Isolation. 1886 besteht der Vater darauf, dass sein Sohn auf eine militärische Kadettenschule wechselt. Mit unnachgiebiger Härte werden die Jungen dort auf die Offizierslaufbahn vorbereitet. Rilke wird das später in seiner Erzählung "Die Turnstunde" festhalten. Aber der zarte, kränkliche René hält dem militärischen Drill nicht stand. 1891 darf er die Militärakademie verlassen und eine zivile Handelsschule in Linz besuchen. Seine Matura macht er in Prag, wo ihm sein Onkel teuren Privatunterricht finanziert. Seine Zeit verbringt der Junge lieber mit dem Schreiben von Gedichten als mit Pauken.

1896 geht Rilke als Student der Philosophie nach München, damals der kosmopolitische Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler in Deutschland. Auch Lou Andreas-Salomé gehört zum Kreis der Münchner Bohème. Rilke beginnt ein Verhältnis mit der attraktiven und hochintellektuellen Schriftstellerin, die sich mit einer Biographie über Nietzsche einen Namen gemacht hat. Unter ihrem Einfluss ändert er seinen Vornamen in Rainer.

Ab 1899 unternimmt Rilke mit seiner verheirateten Geliebten zwei größere Reisen nach Russland. Er lernt Leo Tolstoi und andere russische Schriftsteller kennen und reist viel durch die ursprünglichen, ländlichen Teile des riesigen Landes. Die soziale Not übersieht er in seinem dichterischen Enthusiasmus.




Nach seiner Rückkehr verbringt er den Sommer 1900 in der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen. Ein Jahr später – nach der Trennung von Lou Andreas-Salomé – zieht er ganz dorthin und heiratet die Bildhauerin Clara Westhoff, eine Schülerin Auguste Rodins. Obwohl Tochter Ruth geboren wird, kommt ein Familienleben nicht zustande.

In der Künstlerkolonie Worpswede heiratet Rainer Maria Rilke die Bildhauerin Clara Westhoff.Bild: Montage: DW

1902 reist der erfolglose Dichter nach Paris, um eine Monographie über Rodin zu schreiben. Er wird sogar sein Sekretär, aber 1906 kommt es zu einem schweren Zerwürfnis: Rilke wird fristlos entlassen. Aus dieser Zeit in der Kunstmetropole Paris schöpft er unzählige Motive für Romane und Gedichte ("Der Panther"). Das Schreiben wird ihm zur Leidenschaft. 1910 folgt er einer Einladung der Fürstin von Thurn und Taxis und verbringt sorglose Monate auf ihrem Schloss Duino bei Triest. Der erste Teil seiner "Duineser Elegien" entsteht.

Auf dem Höhepunkt seiner schriftstellerischen Produktivität bricht der Beginn des Ersten Weltkriegs in Rilkes Leben ein. 1915 wird er als kriegstauglich zur österreichischen Armee eingezogen, zum Glück aber ins Kriegsarchiv versetzt. Nach Ende des Krieges zieht Rilke erstmal nach München, verlässt aber 1919 während der Revolutionswirren Deutschland für immer. Er residiert fortan lieber in der sicheren Schweiz. Jahrelang hat er keine Ruhe zum Schreiben gefunden. Im Frühjahr 1921 findet er endlich sein Refugium: einen halbverfallenen Turm im Rhônetal, den ihm sein Mäzen Werner Reinhardt umgebaut als festen Wohnsitz überlässt. In dieser Abgeschiedenheit kehrt auch seine Kreativität zurück. Hier kann er viele seiner unvollendeten Werke endlich abschließen.

Eine Reise nach Paris muss er 1925 schwerkrank abbrechen. Mehrfach wird er in den teuersten Sanatorien behandelt, ohne dass eine Besserung eintritt. Im November 1926 diagnostizieren die Ärzte Leukämie, einen Monat später stirbt Rainer Maria Rilke mit nur 51 Jahren. Seinen Grabspruch hat er selbst verfasst: "Rose, oh reiner Widerspruch; Lust, niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern."



Samskola: "Die Freudigkeit, die Neigung, womit in dieser Schule alles geschieht, prägt alle Dinge."Bild: Montage: DW

Die Texte

Rilkes Erzählung "Die Turnstunde" ist als Teil seines "Schmargendorfer Tagebuchs" 1899 entstanden. Er war gerade von seiner ersten Russlandreise zurückgekehrt, die starke Eindrücke in ihm hinterlassen hatte. In ungeheurer Produktivität schrieb er zahllose Gedichte, die "Geschichten vom lieben Gott", das "Buch vom mönchischen Leben" und in nur einer Nacht seine erfolgreichste Erzählung "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke". In diesen arbeitsreichen Wochen wird ihm klar, dass seine Beziehung zu der 15 Jahre älteren Lou Andreas-Salomé keine wirkliche Perspektive hat und er seinen Weg als Schriftsteller allein gehen muss. In dieser Geschichte verarbeitet er mit der literarischen Reflexion des Dichters sein Kindheitstrauma auf der Kadettenschule. Veröffentlicht wurde sie erst 1902.

1904 fährt Rilke nach Kopenhagen und Göteborg, um die schwedische Schriftstellerin und Pädagogin Ellen Key zu besuchen. Sie bringt ihn in Kontakt mit einem außergewöhnlichen Schulprojekt, der "Samskola", in der die Kinder ihre Begabungen frei entfalten dürfen. Der ehemalige Kadettenschüler Rilke ist begeistert und überlegt, so etwas selbst in Norddeutschland zu gründen. Die Pläne scheitern, aber seine Beobachtungen hält er in der gleichnamigen Erzählung "Samskola" fest.

Die Erzählung "Heiliger Frühling"(1897) ist eine Prosaskizze von Rilke und gehört, ebenso wie "Die Turnstunde" und der kurze Text "Generationen", zu seinen unbekannteren Werken.

Der Sprecher

Holger Kunkel

Als Vorleser achtet Holger Kunkel sehr darauf, genau die Kurve zu ziehen, die er dem Textlauf zugedacht hat. Er folgt den Sätzen wie einem Pfad, den er einmal eingeschlagen hat. Der Bildhaftigkeit von Rilkes Sprache lässt er immer genügend Raum zwischen den Zeilen, damit sich ihre Poesie entfalten kann. Manchmal durchzieht er die Texte auch mit feiner Ironie. So gibt er ihnen eine subtile Hintergründigkeit, die Rilkes Seelenabgründe durchschimmern lässt.

Holger Kunkel, geboren 1965 in Berlin, hat seine Schauspiel-Ausbildung in Berlin an der Hochschule der Künste und in New York absolviert. Seine erste Theaterstation waren von 1989 bis 1992 die Wuppertaler Bühnen. In den Jahren danach folgten, neben zahlreichen Rollen in Fernsehproduktionen, internationale Gastspiele in Caracas, Rom, Wien, Jerusalem und Haifa. Seit 2007 ist er fest im Ensemble im Theater Essen.

1991 erhielt er den Kritikerpreis als bester Nachwuchs-Darsteller in Nordrhein-Westfalen. Im Kino war er in "Nichts als die Wahrheit" (1999, Regie: Roland Suso Richter) zu sehen und in "Hitlerjunge Salomon" (1989, Regie Agniezka Holland). Außerdem arbeitet er bei allen Rundfunkanstalten als Sprecher für Hörspiele und Feature.

Die Klassiker - Rainer Maria Rilke: "Die Turnstunde" und andere Prosatexte
Sprecher: Holger Kunkel
Produktion: interface studios, Köln
Regie: Heike Mund
Online-Realisation: Claudia Unseld
Redaktion: Gabriela Schaaf

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