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Die Grenzen der Raketenabwehr

26. April 2017

Die USA haben mit der Installation des THAAD-Raketenabwehrsystems in Südkorea begonnen. Es soll vor Mittel- und Langstreckenraketen schützen. Aber wie sicher ist so ein Schutz?

US-Raketenabwehrsystem THAAD
Bild: Reuters/U.S. Department of Defense, Missile Defense Agency

Als Nordkorea am 15. April auf der Militärparade zum 105. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il Sung große Raketen-Lafetten auffahren ließ, konnten Militärexperten weltweit nur darüber spekulieren, was sich wirklich in den Behältern befand. Einige waren jedenfalls so eindrucksvoll, dass man den Eindruck gewinnen konnte, Nordkorea verfüge nicht nur über ein großes Arsenal von Mittelstreckenraketen, sondern auch über diverse Interkontinentalraketen.

Sicher ist, dass es Nordkorea 2016 gelungen war, mit einer Rakete einen Satelliten in den Orbit zu befördern. Zudem hat Nordkorea mehrfach Mittelstreckenraketen abgefeuert - sogar aus einem U-Boot. Ob das Land auch einen Nuklearsprengkopf hat, der in eine Rakete passt, ist indes unklar. Und ob Raketenabwehrsysteme im Ernstfall wirklich funktionieren? Wir haben recherchiert. 

Was steckt wirklich unter der Verschalung? Südkorea will kein Risiko eingehen und baut das Abwehrsystem THAAD auf. Bild: Gettty Images/AFP/E. Jones

Erfahrungswerte? Primär bei Kurzstreckenraketen!

Abwehrsysteme gegen Kurzstreckenraketen (500 bis 1000 Kilometer), wie das Patriot-System der NATO, haben sich in der Vergangenheit als relativ zuverlässig erwiesen. Im zweiten Golfkrieg 1991 hatte das Patriot-Abwehrsystem es geschafft, zahlreiche von der irakischen Armee des Diktators Saddam Hussein aus Saudi Arabien und Israel abgefeuerte Raketen in der Luft zu zerstören.

Allerdings sind auch noch viele angreifende Raketen durchgekommen. Berichte über die Erfolgsquote der Raketenabwehr schwanken drastisch - zwischen unter 40 und um 80 Prozent.

Nicht zuletzt die Erfahrungen des ersten Golfkrieges von 1980 bis 1988 haben Israel dazu gebracht, ein umfassendes und vielschichtiges Raketenabwehrsystem aufzubauen. Das Teilsystem Iron Dome - ein Herzstück der israelischen Raketenabwehr - kann selbst improvisierte und primitivere Raketentypen mit deutlich kürzerer Reichweite von fünf bis 70 Kilometern bekämpfen und hat zwischen 2012 und 2014 bei massiven Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen nach israelischen Militärangaben 547 von 2968 abgefeuerten Raketen zerstört.

Gefahren erkennen und einschätzen

Auch zur Bekämpfung von Mittelstreckenraketen, die 800 bis 5500 Kilometer Reichweite haben, kommt das NATO Patriot-Abwehrsystem zum Einsatz. Weitere vergleichbare Systeme sind das europäische MEADS oder Arrow der israelischen Armee. Auch das jetzt in Südkorea installierte THAAD-System (Terminal High Altitude Area Defense) ist für solche Angriffe gedacht. Zudem gibt es ein seegestütztes Abwehrsystem der NATO namens AEGIS.

Gemeinsam haben alle genannten Raketenabwehrsysteme, dass sie durch hochpräzise Boden-, See- oder luftgestützte Radare die abgefeuerten Raketen erkennen, ihre Flugbahn sehr genau dreidimensional berechnen und sie als Bedrohung klassifizieren.

Außerdem können die Systeme priorisieren, welche Raketen sie bekämpfen müssen: Solche, die auf unbewohntes Gebiet oder auf die See abgefeuert werden, lassen die Abwehrsysteme unter Umständen durch, um sich auf gefährlichere Angriffe - etwa auf Städte und Dörfer - zu konzentrieren. Dann verfolgen sie computergesteuert die Flugbahn der Raketen und feuern eine Abwehrrakete ab.

Raketentypen: Explosion oder Einschlag

Abwehrraketen älterer Bauart tragen eine Sprengladung in sich. Diese zündet in dem Moment, wo sie der angreifenden Rakete am nächsten ist. Solche Systeme kommen vor allem bei der Abwehr von Kurz- und kürzeren Mittelstreckenraketen zum Einsatz.

Seit der Jahrtausendwende führen westliche Armeen zusätzlich immer mehr Raketen ein, die keinen eigenen Sprengsatz tragen.

Das Abwehrsystem THAAD, welches jetzt in Südkorea installiert wird, ist ausschließlich mit solchen moderneren Raketen ausgestattet. Sie sollen in der Lage sein, auch Langstreckenraketen zu bekämpfen. Die sogenannten "hit to kill vehicle"-Abwehrer sind steuerbare Projektile, die zunächst von mehrstufigen Raketen ins Weltall befördert werden und sich von der Raketenstufe trennen.

Dann gehen sie auf Kollisionskurs mit der angreifenden Rakete und sollen sie durch ihren Aufprall zerstören. Aus einer solch großen Höhe haben sie schließlich enorme Kraft. Damit sie die angreifende Rakete nicht verfehlen, steuern die Projektile ihre Flugbahn durch seitlich angebrachte kleinere Treibwerke bis zum Moment des Aufpralls nach. 

Lassen sich auch Langstreckenraketen abfangen?

Mittelstreckenraketen fliegen bis zu 150 Kilometer hoch, Interkontinentalraketen bis zu 400 Kilometer. Das liegt außerhalb unserer Atmosphäre. Interkontinentalraketen, die in der Regel mit nuklearen Sprengköpfen bestückt sind, erreichen dabei Geschwindigkeiten von 3000 bis über 14.000 Kilometer pro Stunde.

Erfahrungen über den Erfolg bei der Bekämpfung von Mittelstreckenraketen und Interkontinental-Raketen mit einer Reichweite von mehr als 5500 Kilometern in einem echten Kriegsszenario gibt es bisher praktisch nicht. Das ist eigentlich ein Glücksfall, denn solche Raketen sind für einen Nuklearkrieg gedacht.

Das heißt aber auch, dass man nicht genau weiß, wie zuverlässig die Abwehrsysteme für solche Raketen sind. Um solche Sprengköpfe im Flug zu treffen, ist eine erhebliche Präzision notwendig. In Tests ist es bisher tatsächlich häufig gelungen, Mittelstreckenraketen im Flug zu treffen und zu vernichten. Das THAAD Abwehrsystem soll möglicherweise auch in der Lage sein, Interkontinentalraketen zu zerstören. Über etwaige Tests oder Erfolgsquoten ist öffentlich nichts bekannt. 

Mehrfachsprengköpfe besonders gefährlich

Eine besondere Herausforderung für die Raketenabwehr ist die Bestückung von Interkontinentalraketen mit mehrfachen Nuklearsprengköpfen (MIRV). In diesem Fall sendet die Rakete aus ihrem Orbit nicht einen sondern bis zu zehn einzelne Atombomben zurück in die Atmosphäre.

Um auch gegen solche Angriffe gewappnet zu sein, arbeiten verschiedene Hersteller an Raketen, die dann auch mehrere Kill Vehicle gleichzeitig absetzen können. Es ist bislang nicht absehbar, ob solche Systeme tatsächlich funktionieren können. Die größte Schwäche jeglicher Raketenabwehrsysteme ist jedenfalls die Gefahr einer Überlastung durch zu viele Angriffe gleichzeitig.

Keine Chance gegen Lenkraketen

Alle genannten Raketenabwehrsysteme sind bisher nur in der Lage, ballistische Raketen zu bekämpfen. Das sind Raketen, bei denen die Flugbahn nach Abbrennen des Treibstoffes weitestgehend durch die Gesetze der Physik festgelegt ist. 

Damit sind Lenkflugkörper, auch als Cruise Missiles bekannt, immun gegen die Raketenabwehr. Diese können, wie Flugzeuge, ihre Flugbahn ständig ändern und fliegen zudem meist unter dem Radar hindurch. Solche Raketen erreichen meist keine Schallgeschwindigkeit, können aber dafür große Distanzen zurücklegen. 

In einzelnen Versuchen ist es gelungen solche Flugkörper mit Flugabwehrraketen zu treffen. Auch können Abfangjäger solche Marschflugkörper mit Hitze-suchenden Raketen bekämpfen. Ob dies jedoch in einem echten Krieg praktikabel wäre, muss bezweifelt werden, weil die Raketen ja überhaupt erst entdeckt werden müssen, bevor sie bekämpft werden können. 

Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen
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