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PolitikNahost

Explosion bei Klinik setzt arabische Führungen unter Druck

18. Oktober 2023

Obwohl Urheber und Ursache noch strittig sind, lassen die vielen Todesopfer in Gaza in den arabischen Ländern Wut und Empörung weiter anwachsen. Arabische Politiker positionieren sich gegen Israel.

Kundgebung in Beirut zur Unterstützung der Hamas, 18.10.23
Zorn der Straße: Kundgebung in Beirut zur Unterstützung der HamasBild: ANWAR AMRO/AFP/Getty Images

US-Präsident Joe Biden wagte eine erste Einschätzung. "Auf Grundlage dessen, was ich gesehen habe, scheint es, als sei es von der Gegenseite ausgeführt worden, nicht von Euch", sagte Biden bei einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Tel Aviv.

Er bezog sich damit auf die Explosion auf dem Gelände des Krankenhauses Al-Ahli-Arabi in Gaza-Stadt am Dienstagabend (17.10.). Bei dem mutmaßlichen Raketeneinschlag könnten laut nicht überprüfbaren Angaben der Hamas-Behörden in Gaza womöglich bis zu 470 Menschen ums Leben gekommen sein - Israel bestreitet diese Darstellung entschieden. Mit Bidens Erklärung schalteten sich auch die USA in den Deutungskampf um die Ursache der Explosion ein.

Bereits jetzt zeigt sich, dass der Vorfall den Konflikt zwischen Israel und der Hamas sowie weiteren Israel kritisch oder feindlich gesonnenen Akteuren in der Region zusätzlich befeuert. In mehreren arabischen und muslimischen Staaten brachen Proteste aus, teilweise kam es zu Gewalt.

Das Thema ist wegen der vielen Opfer höchst sensibel. Entsprechend schnell folgten nach der Explosion die Reaktionen aus Israel und dem Gazastreifen. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu und das israelische Militär wiesen die Verantwortung für den Einschlag zurück. Vielmehr gehe das Unglück auf einen fehlgeschlagenen Raketenstart der Extremisten-Gruppe 'Islamischer Dschihad' zurück. Zum Beweis präsentierte Israel unter anderem ein angeblich abgehörtes Telefonat zwischen zwei Hamas-Funktionären. Zugleich sprach das israelische Militär von absichtlichen Falschaussagen der Hamas als Teil eines Medienkriegs.

Der Islamische Dschihad - eine militante, vom Iran unterstützte Gruppe - dementiert die israelische Darstellung kategorisch, ebenso wie die radikalislamistische Hamas, die von Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft wird. Hamas und Islamischer Dschihad machen Israel beziehungsweise dessen Luftangriffe auf Gaza für die Katastrophe verantwortlich. Und sie sind in der Region nicht die einzigen, die das so sehen.

Regierungschefs legen sich fest

Wie brisant die Lage ist, zeigen die Reaktionen mehrerer arabischer Staats- und Regierungschefs sowie weiterer Spitzenpolitiker, die sonst oft als Teil des "pro-westlichen" Lagers gelten und teilweise sogar diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten. Sie übernahmen bereits kurz nach dem Unglück dieselbe Sichtweise wie die Hamas: Aus ihrer Sicht ist Israel für die Explosion verantwortlich.

So sprach der Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas von einem "entsetzlichem Verbrechen, einem Völkermord". Verantwortlich seien auch die Länder, die Israel unterstützten, erklärte er. Zudem sagte er - ebenso wie die Staatsoberhäupter von Jordanien und Ägypten - ein geplantes Vierer-Treffen mit US-Präsident Biden ab.

Auch Ägypten machte umgehend - ohne nähere Belege anzuführen - Israel für die Krankenhaus-Explosion verantwortlich. Das Außenministerium in Kairo sprach von "vorsätzlichen Bombardierungen von Zivilisten". Auch Länder, die erst seit wenigen Jahren diplomatische Beziehungen mit Israel pflegen, wie Marokko, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate, machten Israel direkt für die Explosion verantwortlich und benutzten dafür teilweise scharfe, anklagende Formulierungen. 

Die Eile, mit der sich in westlichen Medien oft als "gemäßigt" bezeichnete arabische Spitzenpolitiker hier auf Israels alleinige Schuld festlegten, sei aus deren Sicht durchaus nachvollziehbar, sagt Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Islam- und Nahoststudien an der Hebrew University in Jerusalem, im DW-Gespräch: "Sei es in Ramallah, wo Demonstranten den Rücktritt von Mahmud Abbas gefordert haben, oder aber auch im Libanon und in Jordanien: In vielen Orten stehen diejenigen Politiker, die eng mit den westlichen Staaten zusammenarbeiten, jetzt extrem unter Druck", so der Professor. "Deshalb haben sie den Vorfall umgehend verurteilt und Israel dafür verantwortlich gemacht."

Solidarisch mit Israel: Joe Biden ( r.) umarmt Benjamin NetanjahuBild: Evan Vucci/AP/picture alliance

Enormer öffentlicher Druck

Wie groß dieser Druck ist, zeigt sich etwa am Beispiel der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland. Seit der Wahl von Präsident Mahmud Abbas im Jahr 2005 haben dort keine Präsidentschaftswahlen mehr stattgefunden. Käme es wieder dazu, würde Abbas gemäß Meinungsumfragen dort radikaleren Kräften wie der Hamas unterliegen. Seit Beginn des aktuellen Konflikts mit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel sei noch einmal klar geworden, dass die PA als Akteur in den palästinensischen Gebieten weitgehend irrelevant geworden sei, sagte Steven Höfner, Leiter des Büros der Konrad Adenauer Stiftung in Ramallah, vor wenigen Tagen der DW. Gegen diesen Bedeutungsverlust scheint Abbas mit seinen harten Worten und Schuldzuweisungen in Richtung Israel nun anzusteuern. Wie andere arabische Staatschefs ist er damit Getriebener der sich derzeit neu ausbreitenden Solidarität vieler Araber und Muslime mit den Palästinensern, die nicht selten mit Abneigung oder Hass gegen den Israel einhergeht. 

Unter Druck stehen neben Staaten, die ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben, gerade auch solche, die dies bis vor kurzem noch planten. Das zeigt sich deutlich am Beispiel Saudi-Arabien. Das Königreich hatte in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche mit Israel geführt. Beide Länder kämen sich "jeden Tag näher" und stünden "an der Schwelle zu einem Abkommen, das ein Quantensprung für die Region" wäre, hatte der saudische Kronprinz Mohamed bin Salman noch vor wenigen Wochen gesagt. Nun erklärt das Königreich, es verurteile "auf das Schärfste das abscheuliche Verbrechen der israelischen Besatzungstruppen". Die Normalisierung liegt derweil zumindest auf Eis.

So sehen sich die bislang dem Westen und Israel nahestehenden arabischen Staats- und Regierungschefs in einem Dilemma: In der eigenen Bevölkerung und der öffentlichen Meinung stößt ihr bisheriger Kurs derzeit auf wenig Gegenliebe. "Der Zorn ist sehr groß und gerade in den sozialen Medien gibt es viele Stimmen, die versichern, auch im Falle einer Waffenruhe werde man die Ereignisse der vergangenen Tage nicht vergessen", fasst Simon Wolfgang Fuchs gegenüber der DW die Stimmung in weiten Teilen der arabischen Welt zusammen. "In dieser Atmosphäre ist der Angriff auf das Krankenhaus nur die Spitze des Eisbergs."

Schmerz: Eine Trauernde in Gaza nach der Explosion in dem KrankenhausBild: AFP

Iran heizt Konflikt weiter an

Derweil heizt die iranische Regierung - ein wichtiger Unterstützer der Hamas - die Situation weiter an. So erklärte der iranische Präsident Ebrahim Raisi laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna: "Die Flammen der US-israelischen Bomben auf das Krankenhaus in Gaza werden bald auch die Zionisten verzehren."  Die ebenfalls vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon, die von den USA, Deutschland und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, verkündete am Mittwoch einen "Tag des Zorns" und sprach von einem "Massaker". Mit seiner eigenen Darstellung und Untersuchung des Vorgangs hat Israel in den arabischen Ländern kaum eine Chance, Gehör zu finden. Nahost-Experte Fuchs: "Ich glaube, das Narrativ des israelischen Luftschlags ist dort jetzt einfach in der Welt."

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Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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