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Politik

Rakka - Nach dem Kampf ist vor dem Kampf

Diana Hodali
18. Oktober 2017

Die Terroristen des "Islamischen Staates" sind zwar aus Rakka vertrieben, aber es bahnt sich ein neuer Kampf an. Die Leidtragenden sind die Zivilisten, denn die drohen erneut zwischen die Fronten zu geraten.

Syrien Befreiung von Rakka
Bild: Reuters/E. de Castro

"Der Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hat in Rakka eine Schneise der Verwüstung hinterlassen", erzählt ARD-Nahost-Korrespondent Volker Schwenck. Viele Häuser seien beschädigt oder ganz zerstört. Erst vor wenigen Tagen ist der Journalist aus Rakka zurückgekehrt. Er war dort, um sich ein Bild davon zu machen, wie das kurdisch angeführte Militärbündnis der "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF) die Stadt von der IS-Herrschaft befreit.

Seit Dienstag ist es nun soweit. Der "Islamische Staat" (IS) hat die weitgehende Kontrolle über einen seiner wichtigsten Stützpunkte verloren: die syrische Stadt Rakka. Am Nachmittag hatte das Militärbündnis SDF die Einnahme der Stadt gemeldet. Die SDF-Kämpfer hissten ihre Flagge auf dem zentralen Platz in Rakka - dort wo der IS einst Köpfe seiner Feinde zur Schau stellte. Zur Abschreckung.

Jetzt ist die Stadt zwar befreit, aber es gibt noch einiges zu tun: In den Trümmern lauerten Abertausende Minen und Sprengfallen, berichtet Volker Schwenck. Die Aufräumarbeiten werden lange dauern.

Seit 2014 mussten die Rakkawis, die Einwohner Rakkas, sich den Islamisten fügen. Zivilisten sind kaum mehr da, die Stadt ist in diesem Zustand so gut wie unbewohnbar. "Die Menschen waren in einem sehr schlechten Zustand, als man sie befreite", sagt Adnan Hadad vom syrischen Oppositionsradio Hara im türkischen Gaziantep der DW: "Sie konnten mit niemandem kommunizieren, hatten kaum Nahrung, kaum Wasser."

Große Teile der Stadt Rakka liegen in Schutt und AscheBild: Reuters/E. de Castro

IS geht in den Untergrund

Mit Rakka ist ein weiteres Symbol des IS gefallen. Ihre strategisch wichtigste Stadt Mossul im Irak hatten sie bereits im Juni verloren. "Das ist das Ende des Islamischen Staates", sagt Hadad. Doch dass die Terrororganisation bald wirklich Geschichte sein wird, das bezweifeln viele Beobachter.

Geschätzte 100 IS-Terroristen sollen noch in der Stadt sein, sagte Ryan Dillon, Sprecher der US geführten Anti-IS-Koalition, die die Kämpfer der SDF im Kampf gegen den IS aus der Luft unterstützten. Überwiegend sollen es ausländische IS-Dschihadisten sein. Die Abteilung für IS-Auslandsoperationen hatte ihren Sitz in Rakka - jetzt können sie zwar nicht mehr ungestört Anschläge in Europa und der Türkei planen und organisieren. Doch die führenden Köpfe der Terroristen verfügen weiterhin über ein ausländisches Netzwerk von Dschihadisten, mit denen sie aus dem Untergrund heraus und dezentral - auch über die Sozialen Netzwerke - kommunizieren und Anschläge planen können.

Propagandistisch ist der Verlust Rakkas aber ein schwerer Schlag, denn jetzt können sie nicht mehr weltweit dazu aufrufen, sich in ihrem Territorium anzusiedeln. Ein Problem bleibt weiterhin bestehen: Die Ideologie der Dschihadisten lässt sich nicht so einfach aus den Köpfen ihrer Anhänger verdrängen. Schon gar nicht, da sich möglicherweise der nächste Kampf anbahnt. Rakka ist zwar vom IS befreit, aber jetzt erheben viele Parteien einen Anspruch auf die Stadt und Ostsyrien.

Wenn der gemeinsame Feind besiegt ist

Die Syrischen Demokratischen Kräfte haben die Offensive mit Unterstützung der USA angeführt. Die geschätzt 30.000 Kämpfer sind mehrheitlich kurdische Einheiten der Partei der demokratischen Union (PYD) - ein syrischer Ableger der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Dazu kommen einige Tausend arabische Kämpfer. Die SDF haben Rakka erobert und wollen die Stadt in ihr autonomes Siedlungsgebiet, Rojava, einbinden. Rakka ist aber eigentlich eine arabische Stadt. Ihre überwiegend sunnitisch-arabischen Bewohner würden eine kurdische Herrschaft als Besatzung wahrnehmen.

Auch das Regime von Machthaber Baschar al-Assad will sein Gebiet ausbauen, so weit es geht. Daher wird es vermutlich zu einem Wettlauf um die letzten Gebiete des IS am Euphrat und in der umliegenden Wüste kommen, besonders um die Ölgebiete in der Provinz Deir Ezzor. In Ostsyrien könnte sich also entscheiden, wie eine Ordnung für die Zeit nach dem Krieg aussehen könnte.

2014 hatten die Terroristen des IS Rakka eingenommenBild: picture-alliance/AP Photo/Raqqa Media Center

Konflikte zwischen USA, Iran und Russland

Es gibt noch eine weitere Eskalationsstufe: Regionale und internationale Interessen könnten hier frontal aufeinander stoßen. Die Türkei hat kein Interesse daran, dass die Kurden ihr Gebiet weiter ausdehnen. Wenn nun die Assad-Truppen - mit Unterstützung der Iraner und der Russen - auf der einen Seite und die überwiegend kurdische SDF - unterstützt von den USA - auf der anderen Seite um die letzten Gebiete des IS kämpfen, dann stehen sich Parteien gegenüber, die sonst an keinem Ort der Welt so nah aneinander rücken: Russen und Iraner auf der einen Seite, Amerikaner auf der anderen. Letztere wollen unbedingt verhindern, dass die Iraner in einem künftigen Syrien territorialen Einfluss bekommen. 

Bei diesen möglichen Konfrontationen drohen die Zivilisten wieder zwischen die Fronten zu geraten. Wer kümmert sich um den Wiederaufbau von Rakka? Rakka, die Stadt, die einst ein Symbol für Multikulturalität und Freiheit war. Noch vor einigen Jahren lebten hier verschiedene Religionen friedlich miteinander - davon ist heute nichts mehr übrig. Denn solange die sunnitische Mehrheit in Rakka, aber auch insgesamt in Syrien, politisch und sozial benachteiligt wird, wird eine radikale und militante Ideologie wie die des IS weiter ihre Anhänger finden. Die einst 200.000 Bewohner Rakkas haben sich jedenfalls vorerst in Lager in der Region geflüchtet. "Dort leben jetzt Opfer und Anhänger des IS Tür an Tür", sagt Nahost-Korrespondent Volker Schwenck.

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