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Literatur

Ralf Rothmann: "Junges Licht"

Jochen Kürten
7. Oktober 2018

Wie erlebt ein Zwölfjähriger in den 1960er Jahren im Ruhrgebiet seine Kindheit? Ralf Rothmanns meisterhafter Roman "Junges Licht" blickt psychologisch sehr genau auf die Adoleszenz seiner literarischen Hauptfigur.

Kinostart Junges Licht
Bild: JungesLicht/Weltkino

"Es war der erste Tag der Ferien, das leichte, etwas ungläubige Erwachen in der Sonne, die schräg durch die Topfblumen auf mein Bett fiel. Ich gähnte, kniete mich aufs Kopfkissen und schob den Vorhang ein Stück weiter auf, langsam, um kein Geräusch zu machen." 

Ein Tag bricht an. Ein Tag im Leben Julians. Es ist der erste Tag der Ferien, und wir begleiten diesen Julian ein paar Wochen lang, lernen Mutter und Vater kennen, die kleine Schwester Sophie, das Nachbarsmädchen Marusha, ein paar Nachbarn mehr. Im Herzen des Ruhrgebiets hat Rothmann das Geschehen angesiedelt, dort, wo auch der 1953 in Norddeutschland geborene Autor aufgewachsen ist.

"Junges Licht" von Ralf Rothmann

02:16

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Und doch ist es ganz und gar erstaunlich, wie dieser Schriftsteller - Rothmann war 2004, als der Roman in Deutschland erschien, ja immerhin schon über 50 - es schafft, sich in einen Zwölfjährigen hineinzudenken. Es ist die Perspektive Julians, aus der der Leser die Welt eines Zwölfjährigen kennenlernt.

Ein Heranwachsender entdeckt im Ruhrgebiet die Welt

Im Grunde genommen ist es eine gänzlich unspektakuläre Welt, die uns der Autor hier präsentiert. Es passiert eigentlich nicht viel in dem rund 240 Seiten langen Roman "Junges Licht". Ein Zwölfjähriger inmitten von Fördertürmen und Hochhaussiedlungen. Die Mutter verreist mit der Schwester in die Kur, sie hat's an der Galle. Der Vater bekommt keinen Urlaub, und so verbringt Julian seine Tage zwischen Langeweile, kleinen Ausflügen und Begegnungen mit dem frühreifen, drei Jahre älteren Nachbarsmädchen Marusha, die nicht nur Julian den Kopf verdreht.

Ralf RothmannBild: Imago/Sämmer

"Der Mond war wieder zu sehen; über dem Förderturm verzogen sich die Wolken, und vorsichtig legte ich den Hebel um und drückte die Balkontür auf. Weit entfernt, in der Senke hinter den Felder, rumpelte der Güterzug, der die Zechen und Kokereien miteinander verband, manchmal schlug etwas gegen die Geleise, und ich versuchte vergeblich, jemanden zu erkennen hinter Marushas Vorhängen." 

Rothmann beschreibt diesen Alltag zwischen pubertärem Erwachen und Entdeckerlust mit solch einer Intensität, dass man den Jungen förmlich vor sich sieht. Das ist zum einen dem ungeheuer genauen psychologischen Blick Rothmanns zu verdanken, der es dem Leser ermöglicht, tief in die Gefühlswelt eines Zwölfjährigen einzudringen. Und zum anderen Rothmanns Fähigkeit, die Welt drumherum ebenso realistisch und detailgenau zu schildern.

"Mein Vater gähnte. Er trug noch seinen Schlafanzug und ein Unterhemd und kratzte sich mit beiden Händen Bauch und Brust. Dann stellte er den Topf mit den Graupen auf die kleine, von Frau Schulz geliehene Kochplatte, und ich klappte die Brotdose zu." 

Oscar Brose spielt in der Verfilmung von 2016 den jungen Julian, Charly Hübner (im Artikelbild) den VaterBild: JungesLicht/Weltkino

"Junges Licht" wirkt an manchen Stellen durch seine präzise Beschreibung der Innen- und Außenwelt wie die Drehbuchvorlage für einen Film. Das mag sich zwölf Jahre später auch der im Ruhrgebiet lebende Regisseur Adolf Winkelmann gedacht haben. Seine Verfilmung von Ralf Rothmanns Roman zählte dann auch zu den gelungensten deutschen Literaturverfilmungen der letzten Jahre.

 

Ralf Rothmann: "Junges Licht" (2004), aktuell verlegt bei Suhrkamp 

Ralf Rothmann, 1953 in Schleswig geboren, ist ein vielfach ausgezeichneter Autor von Romanen und Erzählungen. Er erhielt unter anderem den Heinrich-Böll- und den Max-Frisch-Preis sowie 2017 den Kleist-Preis. 2018 wurde Ralf Rothmann für seinen Roman "Der Gott jenes Sommers" (Suhrkamp Verlag Berlin, 2018) mit dem Uwe-Johnson-Preis ausgezeichnet . Die Jury lobte die "unbestechliche Erinnerungsarbeit", die in seinem gesamten Werk eine zentrale Rolle spiele. In seinen ersten Romanen, wie auch in "Junges Licht", beschäftigte er sich mit dem Leben im Ruhrgebiet. Seine übrigen Romane sind vor allem in Berlin angesiedelt, wo Ralf Rothmann seit längerem auch lebt.

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