Trotz der Corona-Pandemie soll die Tour de France Ende August starten. Alles im Radsport steht und fällt mit diesem Rennen, sagt Bora-Hansgrohe-Teamchef Ralph Denk im DW-Interview. Ohne die Tour wäre die Lage ernst.
Ralph Denk: Das ist eine wichtige Nachricht für uns. Natürlich weiß man es ganz sicher erst, wenn tatsächlich losgefahren wird. Aber ich gehe jetzt mal davon aus, dass alles glatt geht. Außerdem ist ja bereits durchgesickert, dass auch der Giro d’Italia, die Vuelta, die WM und die fünf Radsport-Monumente (Mailand-Sanremo, Flandern-Rundfahrt, Paris-Roubaix, Lüttich-Bastogne-Lüttich und Lombardei-Rundfahrt, Anm. d. Red.) stattfinden sollen. Damit haben wir eigentlich fast alles, was wir brauchen. Das sind die Rennen, die die größte Reichweite für unsere Sponsoren bieten. Wenn du da erfolgreich bist, dann kannst du ein Jahr retten. Außerdem hat Paris-Nizza ja schon stattgefunden, wo wir mit Max Schachmann gewonnen haben.
Glauben Sie denn tatsächlich an die Austragung der Tour de France?
Ich glaube schon daran, ja klar. Der vorgelegte Plan macht ja auch Sinn: Die Tour de France, die Weltmeisterschaft, dann im Anschluss der Giro, dann die Spanien-Rundfahrt im November. In Spanien kann man sicherlich auch im November noch Rennen fahren. Wir wären sogar bereit, bis Weihnachten Rennen zu fahren.
Noch zeigen die Infektionszahlen in Europa aber weiter nach oben. Und der Radsport lebt vom direkten Kontakt mit den Menschen. Ist ein normaler Rennbetrieb ab August wirklich realistisch?
Dazu kann ich keine Stellung beziehen, ich bin kein Mediziner. Da müssen wir einfach den Behörden vor Ort vertrauen und die entscheiden, ob Radsport möglich ist und unter welchen Bedingungen. Aber ich hoffe doch, dass sich etwas tut. Ich wohne sehr nahe an der österreichischen Grenze, da haben die Geschäfte schon jetzt wieder offen. Ich sehe da Licht am Ende des Tunnels und ich denke, dass wir im Spätsommer bis Herbst wieder relativ normale Bedingungen haben werden.
Der Radsport war früh vom Coronavirus betroffen. Bei der UAE-Tour wurden schon Fahrer und Teammitglieder positiv getestet und unter Quarantäne gestellt. Wie sehr hat das Coronavirus Ihren Sport erschüttert?
Massiv. Viele Rennen wurden abgesagt, die Frühjahrsklassiker finden jetzt im Herbst statt. Da ist viel Umplanung nötig. Und man muss verstehen: Wir verdienen einen Teil unseres Geldes mit den Startgeldern. Schon jetzt fehlt uns ein mittlerer fünfstelliger Betrag.
Was würde ein Ausfall der Tour de France für Ihr Team und ihren Sport bedeuten?
Das wäre natürlich schon dramatisch. Die Tour ist das Wichtigste für uns, da machen wir keinen Hehl draus. Wir generieren da 70 Prozent unseres jährlichen Werbewertes - die Tour ist das höchste Gut. Findet das Rennen nicht statt, kann ich den Sponsoren keinen Gegenwert bieten. Wie man sich dann verständigt, muss man sehen. Also ich denke weiter positiv.
Tour-Chef Christian Prudhomme hat erklärt, dass die Tour de France auf jeden Fall mit Zuschauern stattfinden soll. Ist das auch Ihre Position?Natürlich ist es schön, wenn all die Menschen am Streckenrand stehen. Aber ich sehe das nicht so kritisch, denn anders als manche Fußballvereine leben wir nicht von den Zuschauern. Radsport ist gratis, die Zuschauer bezahlen kein Eintrittsgeld. Damit partizipieren wir und auch die Tour de France nur im indirekten Sinne von diesen Reichweiten. Insofern könnte ich mir eine Tour de France ohne Zuschauer vorstellen und habe eine klare Haltung: Lieber eine Tour de France ohne Zuschauer, als gar keine Tour de France!
Einige Teams haben angesichts der fehlenden Einnahmen bereits Mitarbeiter entlassen und Gehälter gekürzt. Sind solche Maßnahmen auch in Ihrem Team ein Thema?
Es kommt jetzt ganz darauf an, wann wir wieder Rennen fahren. Das wissen wir ja noch nicht. Vor der Tour werden wir wohl nicht viele Rennen bestreiten. Wenn der neue Kalender final steht, werden wir die Lage neu bewerten. Aber wir haben gut gewirtschaftet und besitzen ein paar Reserven. Zudem stehen wir im engen Austausch mit unseren beiden Hauptsponsoren Bora und Hansgrohe - beide stehen felsenfest zu ihrem Radsportengagement, das steht nicht zur Diskussion.
Ralph Denk, Jahrgang 1973, war früher Amateurradsportler und Bayerischer Meister. Danach arbeitete er in der Rad-Industrie und betrieb einen eigenen Radladen. Daraus entwickelten sich mehrere Teams, 2010 der erste Straßen-Profi-Rennstall, der 2014 erstmals bei der Tour de France startete. Mit Ex-Weltmeister Peter Sagan holte Denk zwei Mal das Grüne Trikot, mit dem Vorjahresvierten Emanuel Buchmann hat sein Team einen Podiumskandidaten in seinen Reihen.
Das Interview führte Joscha Weber.
Momente der Tour de France
Sie ist weit mehr als das größte Radrennen der Welt: Die Tour de France ist ein Nationalheiligtum Frankreichs und versammelt jährlich 12 Millionen Zuschauer am Streckenrand. Die Dramen der Landstraße sind legendär.
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Rekordvorsprung trotz Rotwein
Maurice Garin (2.v.l.) ist gelernter Schornsteinfeger. Der Franzose legt viel Wert auf eine ausgewogene Ernährung, trinkt andererseits aber auch auf dem Rennrad Rotwein und ist Kettenraucher. Trotzdem gewinnt er 1903 die Premiere der Tour de France - mit dem Rekordvorsprung von fast drei Stunden.
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"Ihr seid Mörder!"
1910 werden die Fahrer erstmals über den Pyrenäen-Pass am Tourmalet geschickt, damals nicht viel mehr als ein Bergpfad. "Ihr seid Mörder, ja Mörder!", schleudert der Tages- und später auch Gesamtsieger Octave Lapize den Tour-Veranstaltern entgegen. Der 2115 Meter hohe Col du Tourmalet ist heute der am häufigsten gefahrene Pass der Tour und auf seinem Gipfel erinnert eine Statue an Lapize.
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Selbst ist der Radfahrer
Wer auf solchen Pisten fährt, muss immer mit einem Platten rechnen. In den ersten Jahrzehnten der Tour-Geschichte reparieren die Fahrer ihre Räder selbst und tragen deshalb (wie hier 1948) auch einen Ersatzschlauch um die Schultern. Heute gehören Mechaniker in Begleitfahrzeugen wie selbstverständlich zum Tour-Tross.
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Der Meister der Meister
Fausto Coppi zählt zu den populärsten Radstars aller Zeiten. Seine Fans rufen den Italiener "Il Campionissimo", den Meister der Meister. 1949 und 1952 triumphiert Coppi nicht nur bei der Tour, sondern auch beim Giro d'Italia. 1952 stehen erstmals Bergankünfte auf dem Plan der Tour de France - gleich drei. Coppi gewinnt sie alle.
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Der Meister der Herzen
1964 liefern sich die beiden Franzosen Jacques Anquetil (l.) und Raymond Poulidor eines der spannendsten Duelle der Tour-Geschichte. Anquetil wehrt alle Angriffe Poulidors ab und holt sich seinen fünften Tour-Sieg. Die Fans lieben auch den unterlegenen "Poupou", der in seiner Karriere achtmal auf dem Podium landet, aber nie ganz oben.
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Das tragische Ende des Tom Simpson
Er fährt Schlangenlinien: Tom Simpsons tritt immer langsamer, bis der Brite kurz vor dem Gipfel des Mont Ventoux schließlich kollabiert. Herzstillstand. Die Versuche, ihn wiederzubeleben, scheitern. Tom Simpson stirbt während der Tour. Zwar lautet der Obduktionsbefund "Dehydratation", doch in seinem Blut werden Amphetamin und Alkohol gefunden. Zusammen mit Hitze und Anstrengung ein tödlicher Mix.
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Gedenken an Casartelli
Auf schmalen Reifen mit Tempo 100 den Berg hinab - die Tour ist ein Spiel mit dem Risiko. Für manche endet es tödlich: 1935 stirbt der Spanier Francisco Cepeda bei einem Sturz in den Alpen. 1995 erwischt es Fabio Casartelli. Der Italiener verliert in den Pyrenäen die Kontrolle über sein Rad und stirbt wenige Stunden später an seinen Kopfverletzungen. Er trug keinen Helm.
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Der Kannibale
Eddy Merckx gibt alles. Nach dem Etappenerfolg auf dem Mount Ventoux muss der Belgier unters Sauerstoffzelt. Wegen seines unbändigen Siegeswillens wird Merckx "der Kannibale" gerufen. Mit 34 Etappen und fünf Gesamtsiegen steht er in den Rekordlisten der Tour. 1969 gewinnt Merckx neben der Gesamtwertung auch die Sprint- und die Bergwertung.
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Frankreichs Tour-Held
Seit 1985 wartet Frankreich vergeblich auf einen neuen Hinault. In jenem Jahr feiert der Franzose Bernard Hinault den letzten seiner fünf Tour-Siege. Auch heute ist der Nationalheld bei der Rundfahrt beinahe täglich im Bild. Als Mitglied des Organisationsteams gratuliert Hinault bei den Siegerehrungen den Fahrern.
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Das dramatische Finale
Keine der bisher 99 Auflagen ist so knapp wie die Tour 1989. Nach 3285 Kilometern liegt Sieger Greg LeMond (l.) aus den USA die Winzigkeit von acht Sekunden vor dem Franzosen Laurent Fignon (r.). Vor der Schlussetappe hat Fignon noch einen Vorsprung von 50 Sekunden. Doch der schmilzt im Zeitfahren nach Paris dahin, LeMond triumphiert.
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Der Außerirdische
Was Hinault für die Franzosen, ist Miguel Indurain für die Spanier. Der Baske thriumphiert von 1991 bis 1995 als Erster fünfmal in Serie. Vor allem im Zeitfahren dominiert der "Außerirdische" die Konkurrenz fast nach Belieben, auch in den Bergen fährt er stark. Bei Indurain wird ein rekordverdächtiger Ruhepuls von nur 28 Schlägen pro Minute gemessen.
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Triumph mit Schatten
Jan Ullrich (Mitte) stürmt mit eleganter Leichtigkeit 1997 zum ersten deutschen Toursieg 1997 und löst gemeinsam mit Grün-Gewinner Erik Zabel eine Radsport-Euphorie in der Heimat aus. Doch in der Rückschau sind die damaligen Helden, die hier mit dem Franzosen Richard Virenque posieren, keine mehr. Heute weiß man: Alle drei waren - zumindest zeitweise - gedopt.
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Die Tränen der Lügner
Große Emotionen, großes Drama bei der Tour 1998: Frankreichs Liebling Richard Virenque weint, weil er gemeinsam mit seinem Rennstall Festina die Tour verlassen muss. Zuvor war ein Teamwagen voll mit Dopingmitteln entdeckt worden. Virenque und Kollegen beteuerten ihre Unschuld - und mussten später doch gestehen, gedopt zu haben. Der Skandal erschütterte die Tour in ihren Grundfesten.
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Dunkle Wolken über einem Märchen
Ein Sinnbild? Bei seinem ersten Toursieg 1999 verdunkelt sich der Himmel über Lance Armstrong. Ganz so, als wäre es eine Botschaft. Das Märchen vom Krebs-Bezwinger Armstrong, der wie Phönix aus der Asche steigt und von 1999 bis 2005 siebenmal triumphiert, ist zu schön, um wahr zu sein. 2012 wird er überführt, gesteht Doping, wird lebenslang gesperrt und verliert alle Tour-Titel.
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Das böse Steak
Noch ein Held, dessen Story Zweifel weckt: Der Spanier Alberto Contador ist wohl einer der stärksten Bergfahrer der Tour-Gechichte. Doch das Publikum misstraut ihm. Ein Zuschauer verfolgt ihn 2011 verkleidet als Dopingarzt. Sein dritter Tour-Titel im Jahr 2010 ist ihm wegen Dopings aberkannt worden. Contador beteuert bis heute, unwissentlich ein Clenbuterol-verseuchtes Steak gegessen zu haben.
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Permanente Sturzgefahr
"Radsport ist stürzen und weiterfahren", sagen die Profis. Auch bei der Tour. So müssen 2012 nach einem Massensturz bei Tempo 70 insgesamt 13 Fahrer das Rennen aufgeben. Gerade bei den ersten, meist flachen Etappen arbeiten die Tour-Ärzte fast im Akkord. Der Grund: Alle Teams wollen Tagessiege, um den Erwartungsdruck der Sponsoren zu erfüllen. Denn ohne die geht im Radsport nichts.
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Der Jogger vom Mont Ventoux
Radschuhe sind für Läufe denkbar ungeeignet. Die Pedalplatten an den Sohlen geben kaum Halt. Dennoch entscheidet sich der Brite Chris Froome bei der Tour 2016 zu einem Läufchen. Sein Rad ist nach einem Crash am Mont Ventoux kaputt, Ersatz nicht in Sicht. Froome will keine Zeit verlieren und läuft, bis er ein neues Rad erhält. Seine Laufeinlage sichert ihm einen weiteren Tour-Sieg.
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Auf Biegen und Brechen
Die Tour ist ein täglicher Kampf: um Positionen im Feld, um Sekunden im Gesamtklassement und natürlich um Tagessiege. Die Sprinter sind dabei wenig zimperlich. Mark Cavendish (links in der Bande) und Peter Sagan (2. v. l.) treiben es bei der Tour 2017 auf die Spitze: Ihr Gerangel in Vittel endet für beide schmerzhaft - Cavendish bricht sich das Schulterblatt, Sagan wird disqualifiziert.
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Nicht alle lieben die Tour
Die Tour ist eine große Bühne, die auch ungebetene Nebendarsteller anzieht: So gibt es immer wieder Proteste, die mit dem Rennen wenig zu tun haben. Bei der Tour 2018 blockieren Bauern die Straße, um für den Erhalt der Landwirtschaft in ihrer Region zu protestieren. Die Polizei setzt Tränengas ein, dessen Wolke den Fahrern ins Gesicht weht. Nach einer Rennunterbrechung geht die Tour weiter.