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Ramadi im Tausch gegen Tikrit?

Birgit Svensson18. Mai 2015

Im Kampf um Anbar kontrolliert der IS jetzt fast die gesamt Provinz westlich von Bagdad. Iraks Premier Abadi befiehlt verstärkten Einsatz von Schiitenmilizen. Birgit Svensson mit Eindrücken aus Falludscha.

Kämpfer in Falludscha (Photo: EPA/MOHAMMED JALIL)
Bild: picture-alliance/dpa

Die "Straße der Oliven" in Abu Ghraib ist menschenleer. Nur vor dem Gebäude der Fakultät für Landwirtschaft, einer Ausgliederung der Universität von Bagdad, bewegt sich eine Handvoll Studenten mit schnellen Schritten auf den Eingang zu. Das Fabrikgelände nebenan, das einst Iraks größte Milchproduktionsstätte war, ist ebenfalls verwaist. Gewiss haben die Einwohner Angst vor Daesh, ist der erste Gedanke. Das arabische Wort für die Terrormiliz IS, den selbst ernannten "Islamischen Staat", ist seit einem Jahr in aller Munde. Angst und Schrecken dominieren, seitdem die finsteren Typen das Land zwischen Euphrat und Tigris überfielen und ihren eigenen Staat ausriefen. Diesen wollen sie nun ausbauen, mit Brachialgewalt.

"Nein, nein", beschwichtigt ein Uniformierter am Kontrollpunkt, "es liegt nicht an Daesh, dass kein Mensch zu sehen ist". Der junge Mann deutet gen Himmel, wo die Mittagssonne im Zenit steht und am Boden fast 40 Grad im Schatten verursacht. Abu Ghraib ist die erste Stadt der Provinz Anbar, wenn man von Bagdad aus Richtung Westen fährt. Schon mehrere Male ist sie von IS angegriffen worden. Falludscha ist bereits seit Anfang 2014 in der Hand der Terrormiliz. Die vor zwei Tagen gestartete Offensive soll nun auch die Provinzhauptstadt Ramadi unter ihre Kontrolle bringen.

Zerstörung in FalludschaBild: picture alliance/landov

Schiitenmilizen in Sunnitenprovinz

Um zu Brigadegeneral Ali Abdul Hussein Khadim zu gelangen, müssen insgesamt elf Kontrollpunkte passiert werden, obwohl sein Hauptquartier nur knapp 50 Kilometer von Bagdad entfernt liegt. Weitere 30 Kilometer sind es nach Ramadi. Seit Sonntagabend weht dort die schwarze IS-Fahne auf dem Gouverneurspalast. Es scheint, als wolle Daesh Rache üben für die Vertreibung aus Tikrit Ende März. Soll die verlorene Hauptstadt der Provinz Salahuddin nun gegen die Provinzhauptstadt Anbars eingetauscht werden?

Seit dem Auftsieg des IS war Iraks größte Provinz eine Hochburg des Islamisten. Jetzt aber sollen ganze 90 Prozent der Provinz in ihrer Hand sein. Lediglich Abu Ghraib ist noch verschont geblieben. Am Montagmorgen hat Iraks Premier Haider al-Abadi den Befehl gegeben, Schiitenmilizen zum Kampf um Ramadi zu entsenden. Am Mittag sind die Checkpoints schon gemischt besetzt. Sunniten und Schiiten versehen gemeinsam Dienst. Das war ursprünglich so nicht vorgesehen, denn in der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar sind die Schiiten nicht gut gelitten. Grund ist der ehemalige schiitische Regierungschef Nuri al-Maliki, der seine sunnitischen Landsleute immer mehr vom politischen Prozess ausschloss und sogar die Armee zuvorderst mit Schiiten besetzte. Die über ein Jahr dauernden Proteste friedlicher Sunniten wurden ignoriert, ihre Forderungen in den Wind geschossen. Schließlich verbündeten sich die sunnitischen Kräfte in Anbar mit den Radikalen des IS gegen die Regierung in Bagdad. Der Kampf um Anbar wurde zur sunnitischen Sache erklärt. Doch die Lage ist so ernst, dass der neue Premier nun alle verfügbaren Kräfte einsetzen will.

Allerdings scheint er sich der Brisanz seiner Entscheidung bewusst zu sein. Um den religiösen Konflikt nicht noch einmal aufflammen zu lassen, wurden in Abu Ghraib und anderswo in der Provinz große Plakate aufgestellt, die die Einwohner auf die Präsenz der Schiitenmilizen vorbereiten: "Wir dienen allen Irakern", verkünden die schiitischen Geistlichen, Großajatollah Ali al-Sistani und Sayed Ammar al-Hakim. Auch Premier Abadi tut alles, um die Situation nicht wieder eskalieren zu lassen. Als letzte Woche Mitglieder einer Schiitenmiliz im Bagdader Sunnitenviertel Adamija Feuer legten, war der schiitische Premier sofort zur Stelle um zu schlichten. Zwischen 2006 und 2008 kam es vor allem in der irakischen Hauptstadt zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Religionsgruppen, weithin als Bürgerkrieg bezeichnet. Tausende wurden getötet, Hunderttausende flohen. Jetzt versuchen die Mitglieder des extremistischen IS den alten Konflikt wieder aufleben zu lassen, indem sie die Schiiten als Ungläubige bezeichnen, die es zu töten gelte.

Idylle im Krieg gegen Daesh

Zurück in Anbar kommt der General von einer Inspektion des Frontabschnitts zurück, den er zu verantworten hat. Sein Gebiet reicht vom Stadtrand Bagdads bis nach Germa, einem Vorort von Falludscha, wo die Frontlinie mit dem IS verläuft. Alles, was dahinter liegt, ist Daesh-Land oder das "Kalifat", wie IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi es nennt und damit an die sunnitische Urform eines Staatsgebildes erinnert. Die Lage sei ruhig, berichtet der 1,68 Meter kleine und 46 Jahre alte Brigadekommandeur der irakischen Armee und setzt kurz sein purpurrotes Barett ab. Während in seinem Büro die Klimaanlagen surren, knallt die Sonne auf die Gartenidylle, die sich der Kommandeur und seine Offiziere geschaffen haben. Vögel zwitschern im offenen Käfig, zwei Straußvögel laufen stolz umher, Katzen streunen, ein Hahn kräht am helllichten Tag. Die Surrealität des Krieges ist auf diesen wenigen Quadratmetern versammelt.

Ali Abdul Hussein Khadim (mitte), rechts einer seiner Offiziere und links Reporterin Birgit SvenssonBild: DW/B. Svensson

Ali Abdul Hussein Khadim kommandiert die Al-Muthanna-Brigade, eine der fünf Armeeeinheiten, die zum Schutz der Hauptstadt rings um Bagdad stationiert sind. Von allen Verteidigern der Hauptstadt hat er den schwierigsten Job, weil sein Gebiet bis nach Falludscha reicht. Khadim muss Abu Ghraib schützen und den Internationalen Flughafen, ebenfalls ein begehrtes Angriffsziel der IS-Terroristen. Sein Vorgänger ist bei den Gefechten ums Leben gekommen. Alles in allem seien die Kampfaktionen von Daesh militärisch gesehen jedoch eher schwach, meint Khadim. Die Propaganda sei das stärkste, was sie zu bieten hätten. Damit sei auch das wiederholte Weglaufen von Soldaten der irakischen Armee zu erklären, was jetzt in Ramadi erneut geschah.

Kleintierzoo im KriegsgebietBild: DW/B. Svensson

Den Gegner kleinzureden ist Taktik und stärkt die Moral der Truppe. Denn schätzungsweise die Hälfte der Soldaten der irakischen Armee ist mittlerweile desertiert, wie man an Kadhims Truppenstärke erkennen kann. Die Brigade besteht aus 3462 Soldaten der regulären irakischen Armee und 3186 schiitischen Freiwilligen, die gegen die sunnitische Terrororganisation kämpfen wollen. Auch wenn der General mit Nachdruck betont, dass auch Sunniten und Christen in seinen Reihen zu finden seien, überwiegen die Schiiten doch bei weitem. Auf der Fahrt zurück nach Bagdad fällt die Militärbasis Habanija auf. Dort hätten am Montagmittag junge Rekruten vereidigt werden sollen. Die Zeremonie ist dem Kampf um Ramadi zum Opfer gefallen.

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