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"Fußball ist eine andere Sportart geworden"

Thomas Berthold
30. Januar 2017

RB Leipzig-Sportdirektor Ralf Rangnick und sein junges Team imponieren. Im Interview mit DW-Bundesliga-Experte Thomas Berthold spricht Rangnick über sein Erfolgsprinzip und warum ihn ein DFB-Posten nicht interessiert.

Ausrüster der Bundesliga 16/17 RB Leipzig - Ralf Rangnick - Red Bull
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Ihr Erfolgs-Geheimnis, Herr Rangnick?

05:27

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DW: Ralf Rangnick, du warst ja mal Trainer beim VfB Stuttgart. Wenn ich jetzt 30 Jahre jünger wäre, hätte ich eine Chance, bei RB Leipzig zu spielen?

Ralf Rangnick: Mit Sicherheit! Erst mal siehst du genauso fit aus wie damals. Und zum zweiten warst du damals ja eigentlich auch schon der Prototyp des modernen Abwehrspielers, der schon vieles mitgebracht hat und vieles konnte. Der Fußball hat sich natürlich entwickelt, insbesondere was das Umschaltspiel angeht. Er ist deutlich schneller und dynamischer geworden. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass Spieler wie du, die  genug "Speicherkapazität" hatten, auch in der heutigen Zeit spielen könnten.

Das freut mich. Das höhere Tempo ist das eine. Hat sich denn auch in der Taktik im Vergleich zu den Zeiten, die wir beide noch erlebt haben, etwas getan?

Wir haben ja auch schon Ende der 90er Jahre mit der Viererkette gespielt. Und wir haben auch versucht, ballorientiert zu attackieren, auch Pressing auszulösen. Aber in den 90er Jahren war das noch eher die Ausnahme. Mitte Ende der 90er Jahre haben die meisten Mannschaften noch mit Libero gespielt, mit zwei Manndeckern, mit einer 10, die weitestgehend von Defensivaufgaben befreit war und mit zwei Wasserträgern dahinter. Das war Standard in der Bundesliga. Dann kamen Teams wie Stuttgart, Mainz, Ulm oder Gladbach als Vorreiter einer eher ballorientierten Spielweise. In den letzten sechs bis sieben Jahren ist das extreme Umschaltverhalten dazu gekommen, das nach Balleroberung die Post nach vorne abgeht und nach Ballverlust viele Mannschaften versuchen sofort ins Gegenpressing zu kommen. Dadurch ist das Spiel deutlich sprintintensiver geworden. Der Anteil der schnellen Läufe und der Sprints hat dramatisch zugenommen. Fußball ist, was Athletik und Dynamik angeht, eine andere Sportart geworden.

"Best Man oder Woman for the Job"

Erst die TSG 1899 Hoffenheim, jetzt RB Leipzig. Erfolg im Rangnick-Style: "Gebt mir alle Macht, ich bin kompromisslos. Hol' mir meine Leute und wir haben Erfolg." Ist das Rezept so überhaupt kopierbar?

Also, ganz so ist es nicht. Natürlich haben wir in Hoffenheim 2006 und hier in Leipzig 2012 schon mit einem fast unbeschriebenen Blatt Papier angefangen, das stimmt. In beiden Fällen haben wir dann auch versucht, kompetente Leute dazuzuholen. Immer nach dem Motto: "Best Man oder Woman for the Job". Hoffenheim hat diesen Weg nach meinem Weggang ein paar Mal verlassen. Das hat sie nicht nur viele Punkte gekostet, sondern auch viel Geld. Jetzt sind sie mit Julian Nagelsmann wieder auf den Pfad ihrer ursprünglichen Tugenden zurückgekehrt. Bei uns hier in Leipzig hat die Entwicklung vor allem mit der Qualität unserer Spieler und deren Weiterentwicklung zu tun. Wir haben, glaube ich, ein gutes Team um die Mannschaft herum. Sonst wäre diese rasante Entwicklung nicht möglich gewesen.

In Leipzig von den Fans verehrt: Ralf Rangnick brachten den erstklassigen Fußball zurück nach OstdeutschlandBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Da stellst du gleich die Gegenfrage: Haben die anderen denn alle geschlafen? Es gibt ja auch andere Klubs, die Geld investieren…

Wir haben halt unseren eigenen Weg. Ich kann jetzt auch gar nicht sagen, was wir besser oder schlechter machen als andere. Ich kann nur sagen, dass wir aus Überzeugung handeln. Bei uns gab es zunächst den Gedanken: "Wie wollen wir spielen?" Und danach haben wir neue Spieler gescoutet, geholt und weiterentwickelt.

Da fällt mir noch eine Anekdote ein: Als Trainer in Stuttgart hattest du diesen pädagogischen Ansatz, die Spieler auch im Leben zu begleiten. Haarschnitt, Autos, alles war irgendwie geregelt. Ist das in Leipzig auch noch so?

Also, beim Haarschnitt fand ich das auch in Stuttgart nicht so sehr notwendig. Aber was Autos angeht, ja, da gab es, nennen wir es: Leitplanken. Gerade bei jungen Spielern, die dann plötzlich ein paar Euro mehr verdienen, ist es mir wichtig, dass wir ihnen ein paar Orientierungspunkte geben. Hier haben wir das so kategorisiert, dass die Jüngeren ohne viel Erfahrung mit Autos, nicht das PS-stärkste Auto kriegen, sondern eher eins aus dem normalen, unteren Segment. Dann gibt es die zwischen 21- und 24-Jährigen, die sich auch mal ein etwas Größeres nehmen dürfen. Und klar, die Älteren können sich auch einen großen Geländewagen bestellen. Es geht um eine gewisse Bescheidenheit, dass man sich nicht vom ersten großen Vertrag gleich als Statussymbol irgendein großes Auto kaufen muss.

Videoanalyse als eines der wichtigsten Werkzeuge

Genau schaut ihr auch beim Training hin. Stimmt es, dass ihr selbst das Training aufnehmt und das Video anschließend analysiert?

Ja, wir haben alle unsere Plätze mit Kameras versehen. Wir können jede Trainingseinheit aus jeder Perspektive zeigen, wir haben zwei hauptamtliche Videoanalysten, die auch Einzelcoachings machen. Die Videoanalyse ist für mich eines der wichtigsten Mittel, um Spieler zu verbessern.

Zwei mit einem Ziel - zumindest eine Zeit lang: Ralf Rangnick und Investor Dietmar Hopp zu gemeinsam Hoffenheimer Zeiten.Bild: picture-alliance/dpa

Leipzig nimmt gerade Kurs auf die Champions League. Du selbst sagst, man muss "beyond" denken, sich immer hohe Ziele setzen - auch jetzt?

Wenn wir am Ende tatsächlich unter die ersten drei der Bundesliga kommen, dann spielen wir nächstes Jahr in der Champions League. Die Chance ist da, das ist ganz klar. Wir beschäftigen uns aber nicht in erster Linie damit, was eventuell im Mai passiert. Wir haben es bisher immer so gehalten, dass wir uns Woche für Woche mit dem nächsten Spiel und dem nächsten Gegner beschäftigt haben. Darum geht es ja letztlich auch im Fußball.

"Wir sind kein Marketingtool"

Einer unserer User, Joshua Hall aus England, fragt dich: Wie fühlt es sich an, ein Marketingtool für einen Getränkehersteller zu sein und dabei zum meistgehassten Verein in Deutschland zu warden? Die Briten haben Humor (lacht)…

In der Bundesliga gibt es nach meiner Einschätzung viele Klubs, die kein Problem mit uns haben. In Ostdeutschland sind wir der drittbeliebteste Verein der Liga. Ich denke, die "RB-Hasser" werden weniger im Vergleich zu unserer Zweitliga-Zeit. Wir sind sehr glücklich mit unserem Sponsor. Aber wir denken zu keiner Minute daran, wie wir mehr Dosen verkaufen können. Was uns antreibt und motiviert, ist die Weiterentwicklung der Spieler. Wir sind kein Marketingtool.

Was kommt denn nach deiner Zeit hier? Sportdirektor beim DFB? Die suchen ja gerade einen Strategen…

Nein, glaube ich nicht, dass das jetzt was für mich wäre. Dazu weiß ich viel zu sehr zu schätzen, was ich im Moment hier habe. Und wenn wir mal ehrlich sind, fängt das jetzt gerade an, Spaß zu machen. Wir ernten jetzt die Früchte der Aufbauarbeit der letzten vier Jahre. Dass mich irgendwas hier weglocken könnte, kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Aber wir wissen auch nach der Erfahrung in Hoffenheim: Jetzt, wo es läuft, braucht es jemanden wie mich, der darauf aufpasst, dass sich die atmosphärischen Dinge nicht verändern.

Ralf Rangnick ist 58 Jahre alt und Sportdirektor bei RB Leipzig. Nicht erst seit er den Aufsteiger zunächst in die Bundesliga und dann an deren Spitze führte, gilt er als einer der fähigsten Köpfe im deutschen Fußball. Als aktiver Fußballer kam er nicht über das Amateur-Level hinaus, doch als Trainer und Sportdirektor erwarb er sich viel Anerkennung: durch diverse Aufstiege (mit Hannover 96, der TSG 1899 Hoffenheim und RB Leipzig), einen Pokalsieg und eine Vize-Meisterschaft (mit Schalke) sowie österreichische Meistertitel sowie Pokalsiege (mit Red Bull Salzburg). Zwei Jahre lang war Ralf Rangnick auch Trainer von Thomas Berthold beim VfB Stuttgart.

Das Interview führte DW-Fußball-Experte Thomas Berthold.

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