Europa kann nicht mit dem Finger auf die USA zeigen. In vielen EU-Ländern gibt es offene oder rassistische Diskriminierung, und der Ruf nach Veränderung wird lauter. Die Demonstrationen reißen nicht ab.
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Zu den Aufgaben von EU-Kommissar Margaritis Schinas gehört es, die "Europäische Lebensart" zu schützen. Damit sieht sich der griechische Politiker auch für das Thema Rassismus zuständig. "Wir haben weniger Probleme als die Vereinigten Staaten, unsere Sozialsysteme sind besser", erklärte Schinas bei einer Veranstaltung der Organisation "Delphi Economic Forum". Aber er räumt ein, dass auch in Europa in punkto gleiche Lebenschancen noch einiges zu tun sei, "eine Menge Themen, mit denen wir uns noch befassen müssen".
Die französische Illusion
Zu den "Themen, mit denen wir uns noch befassen müssen", gehört auch die Diskriminierung bei der Jobsuche. Für die Pariser Jurastudentin Kesiah ist dies bitterer Alltag. Reihenweise wurde sie auf der Suche nach einem Praktikum in einer Anwaltskanzlei abgewiesen. Der Platz sei schon belegt, hieß es meist.
"Sie wollen uns glauben machen, das sie uns akzeptieren. Aber ich finde, dass es hier viel Heuchelei gibt. Es ist nicht wie bei George Floyd in den USA, wo du den Rassismus auf 1000 Kilometer siehst, es ist versteckter. In Frankreich merkt man es anhand vieler kleiner Dinge, bei der Jobsuche, oder dass man auf der Straße ohne Grund angehalten wird.".
Kesiah ging am vergangenen Wochenende mit Tausenden von Franzosen auf die Straße, um gegen Rassismus und Diskriminierung zu protestieren. Anlass dafür waren auch die Fälle von Polizeigewalt in Frankreich, zuletzt der Tod von Adama Traoré 2016.
Es geht nicht nur um brutale Behandlung - in den französischen Vorstädten gehört "Racial Profiling" zum Alltag. So ergab eine Befragung des Europarats unter 5000 jungen Männern afrikanischer oder arabischer Herkunft, dass diese zwanzig Mal so häufig von der Polizei angehalten wurden wie andere Einwohner Frankreichs.
Die Massenproteste in Frankreich haben ein erstes Ergebnis gebracht: Innenminister Christophe Castaner hat den Polizeigriff um den Hals bei Festnahmen verboten. Er bestreitet zwar, dass seine Polizei generell "rassistisch" sei, räumt aber ein "dass einige Polizisten Rassisten sind".
Kolonialherrschaft und Genozid
Nicht nur in Paris, auch in Brüssel gab es Demonstrationen. "Wir sind gekommen, weil dies die Hauptstadt Europas ist", sagt eine der Organisatorinnen. Brända Auchimba ärgert sich über die "Alltagsdiskriminierung und Übergriffe der Polizei, die afrikanische und arabische Jungens an jeder Ecke anhalten".
Darüber hinaus aber will sie, dass die Standbilder des belgischen Königs Leopold II. (1835 - 1909) von den Sockeln geholt werden. Die belgische Kolonialherrschaft im Kongo gehört zur verdrängten Vergangenheit des Landes. Erst 1998 holte der Historiker Adam Hochschild den Genozid und die Ausbeutung des Landes zurück in die nationale Erinnerung.
Rund zehn Millionen Menschen starben unter dem Kolonialregime von Leopold II. im Kongo. Bis heute schweigen die belgischen Schulbücher zu diesem Teil der Geschichte. "Ich hoffe, die Leute verstehen, wie wir uns fühlen, wenn wir diese Statuen sehen", sagt Brända. In Antwerpen hat der Bürgermeister die Leopold-Statue inzwischen ins Museum verfrachtet.
Kulturkampf in Großbritannien
In Londons steht sogar der Bürgermeister auf Seiten der Denkmalstürmer. Sadiq Khan von der Labour-Partei, Sohn einer pakistanischen Familie, ließ die Statue des Sklavenhändlers Robert Milligan vom West-India Quai in Ostlondon abräumen: "Es ist eine traurige Wahrheit, dass eine Menge unseres Reichtums aus dem Sklavenhandel stammte - aber das müssen wir nicht auf unseren öffentlichen Plätzen feiern".
Der konservativen, ebenfalls pakistanisch-stämmigen britischen Innenministerin Priti Patel hingegen missfällt diese Art des Protests. Demonstranten, die in Bristol das Standbild des Sklavenhändlers Edward Colston ins Hafenbecken warfen, müssten aufgrund "ihrer zutiefst schändlichen Taten" strafrechtlich verfolgt werden.
"Großbritannien ist nicht unschuldig. Für viele schwarze Leben haben die Regierung und die Polizei nie Rechenschaft abgelegt", sagt ein Demonstrant auf dem Londoner Parliament Square. "Es ist gut, die kollektive Trauer zu sehen und die Bereitschaft, unsere Situation hier zu verändern. Darum geht es", sagt sein Nebenmann.
Die Solidarität mit George Floyd hat auch in Großbritannien die Wut über Alltagsrassismus, soziale Entrechtung, Polizeiübergriffe und Diskriminierung zum Vorschein gebracht. Dazu gehört zum Beispiel der "Windrush Skandal": Beamte ließen Zuwanderer aus der Karibik abschieben, die seit Jahrzehnten in Großbritannien lebten - nur weil sie nie formell eingebürgert worden waren.
"Als Problem identifiziert"
"Für individuellen und institutionellen Rassismus bei der Polizei gibt es in Europa viele Beispiele", sagt Kriminologe Ben Bowling vom Londoner Kings College. Das Ausmaß der Polizeigewalt in den USA sei allerdings extremer, dort würden 1000 Menschen pro Jahr von der Polizei getötet.
Das Problem sei, so Bowling, "wie die Organisation mit Minderheiten und ausgegrenzten Gruppen an sich umgeht. Man sieht in Großbritannien, wie die Polizei sich gegenüber der schwarzen und asiatisch-stämmigen Bevölkerung verhält. Man sieht es deutlich in Deutschland, Frankreich und überall in Europa, wo Minderheiten ausgegrenzt und von der Polizei als Problem identifiziert werden."
Aber es gehe um mehr: "Die Diskriminierung geht über die Polizei hinaus, sie hat mit der Wirtschaft zu tun, mit Bildung und der Familie". Die Länder in Europa müssten anerkennen, dass ihre Zukunft multikulturell und vielfältig sei und jeder Bürger die gleichen Lebenschancen bekommen müsse.
"Ich schäme ich"
Von dieser Anerkennung ist Europa noch weit entfernt. Nur 24 von 705 Abgeordneten im Europaparlament sind afrikanisch-asiatischer Abstammung, obwohl sie rund zehn Prozent der europäischen Bevölkerung ausmachen. Eine von ihnen ist die Schwedin Alice Kuhnke von den Grünen: "Ich schäme mich, weil wir die Menschen in Europa nicht wirklich repräsentieren. Also müssen wir sicherstellen, dass es künftig mehr Abgeordnete gibt, die anders aussehen und unterschiedliche Hintergründe haben".
Kuhnke ist Berichterstatterin für die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie der EU, die seit 2008 auf Eis liegt. Der Gesetzesvorschlag, der die Gleichbehandlung aller Bürger in sozialen Belangen vorschreibt, wird von vielen Mitgliedsländern blockiert. Die Hälfte der europäischen Länder habe nicht einmal einen Aktionsplan, wie sie gegen Rassismus vorgehen wollten.
Die Schwedin hofft darauf, dass die Demonstrationen in der EU etwas anschieben: "Ich bin überzeugt, dass wir die Aufregung und das Bewusstsein von so vielen jetzt nutzen können. Aber es darf nicht bei schönen Worten über Gleichheit enden, das muss sich endlich in der Gesetzgebung der EU wiederspiegeln".
Rekord: Banksy-Werk erzielt 21,8 Millionen Euro
Es war ein Clou, als Banksy nach einer Auktion dafür sorgte, dass sein Bild sich selbst zerstörte. "Girl with Balloon" erzielte jetzt 21,8 Millionen Euro.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck
Die Liebe ist im Eimer
Im Jahr 2018 hatte das Auktionshaus Sotheby's Banksys "Girl with Balloon" versteigert. Wenige Augenblicke nach dem Verkauf begann ein Schredder, es zu zerstören. Nun kam es in London erneut unter den Hammer und erzielte umgerechnet 21,8 Millionen Euro - ein neuer Rekord für ein Banksy-Werk. Der Hype um den Street-Art-Künstler bricht nicht ab. Immer wieder tauchen über Nacht neue Kunstwerke auf.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck
Wir sitzen alle im selben Boot
Seit dem 7. August schmückt dieses Werk eine Wand im Nicholas Everitt Park in Lowestoft, England. Das Graffito zeigt drei Kinder, die in einem Boot stehen: Eines von ihnen blickt zurück, eines sucht den Horizont ab und eines lehnt sich mit einem Eimer über den Rand des Bootes. Wenige Tage später bestätigte Banksy seine Urheberschaft an diesem und weiteren Werken an der englischen Nordseeküste.
Bild: Justin Tallis/AFP/Getty Images
Mann mit Schreibmaschine bricht aus
Ein am 4. März 2021 auf Instagram veröffentlichtes Video zeigt die Entstehung dieses Bildes auf dem Gebäude im britischen Reading. Über die Zukunft der ehemaligen Haftanstalt, in der einmal der Schriftsteller Oscar Wilde einsaß, ist noch nicht entscheiden, es steht zum Verkauf. Banksy macht mit seinem Bild ein eindeutiges Statement für die Umwandlung des Ex-Knastes in einen Ort der Kunst.
Bild: Ben Stansall/AFP/Getty Images
Ein herzförmiger Rettungsring
Ein Mädchen mit Schwimmweste und einem herzförmigen Rettungsring ziert die Bordwand der "Louise Michel". Der Streetart-Künstler Banksy hat das Rettungsschiff gesponsort, bemalt und der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch zur Verfügung gestellt. Das Schiff habe bereits 89 Geflüchtete im Mittelmeer gerettet, twitterte die Organisation. "Wir sind begeistert über die rosa Verstärkung!"
Bild: Reuters/MV Louise Michel
Die USA stehen in Flammen
Nicht nur Schwarze sollen nach dem Tod von George Floyd gegen Rassimus kämpfen, findet Banksy. Zuerst habe er gedacht, dass er bei diesem Thema einfach die Klappe halten und den Schwarzen zuhören solle, schrieb er auf Instagram, besann sich dann aber: "Warum sollte ich das tun? Es ist nicht ihr Problem. Es ist meins." People of Color würden vom "weißen System" im Stich gelassen.
Bild: Reuters/Instagram/@banksy
Dank an die Helden der Corona-Krise
Spiderman und Batman sind die Helden von gestern, dieser kleine Junge spielt lieber mit einer Krankenschwester im Superman-Umhang. Mit diesem Bild bedankte sich Banksy Anfang Mai 2020 bei den Ärzten, Pflegern und Schwestern, die im völlig unterfinanzierten Gesundheitssystem von Großbritannien jeden Tag mit der Corona-Pandemie zu kämpfen haben.
Bild: Reuters/Banksy Imstagram
Würdigung von Obdachlosen
Für Gesprächsstoff sorgte dieses weihnachtliche Graffiti: Es soll auf die Lage von Obdachlosen aufmerksam machen. Zwei fliegende Rentiere scheinen eine Parkbank zu ziehen. Auf einem Video, das Banksy im Internet postete, liegt ein offenbar obdachloser Mann auf der Bank. Fans feierten Banksy für das sozialkritische Kunstwerk. Mittlerweile haben Unbekannte bei den Rentieren rote Nasen hinzugefügt.
Bild: Getty Images/C. Furlong
Affentheater - Made in Britain
Das politische Chaos, in dem sich das britische Parlament durch die Brexit-Debatte bis vor kurzem befand, konnte der berühmte Streetart-Künstler Banksy nicht voraussehen. 2009 entstand sein Gemälde "Devolved Parliament" auf dieser riesigen Leinwand (2,8 x 4,5 Meter) Das Bild ist am 3. Oktober 2019 in London versteigert worden - für 9,8 Millionen Pfund (rund 11 Mio Euro).
Bild: picture-alliance/NurPhoto/G. Alexopoulos
Laden ohne Käufer
Die Millionensumme, zu der das Gemälde "Devolved Parliament" (2009) jetzt versteigert wurde, löste auch Kritik aus. Zum Käufer gab es keine Angaben. Banksy selbst, der in London als aktuelles Statement diesen verschlossenen Laden mit Kunst eingerichtet hat, postete nach der Auktion, Kunstwerke seien zum Eigentum der Reichen geworden, statt "das gemeinschaftliche Eigentum der Menschheit zu sein."
Bild: Getty Images/P. Summers
The World of Banksy
Banksy ist einer der berühmtesten Streetart-Künstler der Welt. Seine wahre Identität ist nach wie vor ungeklärt, zumindest gibt es keine eindeutige Biografie über ihn. Gemälde oder Zeichnungen auf Papier sind bei ihm selten. Die meisten seiner Bilder sprayt der britische Künstler anonym auf Häuserwände, Mauern und Abbruch-Ruinen. Verkäuflich sind diese Arbeiten nicht.
Bild: picture-alliance/dpa/MAXPPP/A. Marchi
Steve Jobs
Ein immer wiederkehrendes Thema seiner Bilderwelten ist der globale Raubtier-Kapitalismus. Dieses Wandbild sprayte Banksy im Eingangsbereich des Flüchtlingslagers in Calais. Zu sehen ist der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs, im Gepäck seinen legendären ersten Mac-Computer. Der Vater des Apple-Managers stammte aus Syrien.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Spingler
EU-Missklang
Schon mit dieser Arbeit mischte sich Banksy 2017 in die Brexit-Debatte in Großbritannien ein. Über Nacht tauchte dieses meterhohe Bild an einer Häuserwand unweit des Fährhafens Dover auf: Ein Mann steht auf einer Leiter und versucht mit Hammer und Meißel einen der EU-Sterne zu entfernen. Inzwischen ist das Bild von der Wand verschwunden. Jemand hat es weiß übertüncht.
Bild: Reuters/H. McKay
Israelisch-Palästinensischer Schlagabtausch
Auch den israelisch-palästinensischen Konflikt hat sich der britische Streetart-Künstler vorgenommen. 2017 eröffnete Banksy in Bethlehem direkt an der Sperrmauer ein Hotel, das er mit seiner Kunst ausstattete, Damit wollte er ein "Zeichen des gewaltlosen Widerstandes" setzen. Seit 2005 hat er viele Werke in dem historischen Ort hinterlassen. Es gibt bereits eine "Banksy-Tour" für Touristen.
Bild: Getty Images/I. Yefimovich
Krieg ist kein Kinderspiel
Die Identität von Banksy gibt bis heute Rätsel auf. Bekannt ist nur, dass der inzwischen weltberühmte Künstler aus dem südenglischen Bristol stammt. Ende der 1990er Jahre kam er nach London und begann gezielt an speziellen Orten seine Bild-Botschaften auf die Wände zu sprayen, wie hier 2016 in einer englischen Grundschule in Withchurch.
Bild: picture-alliance/dpa/N.Munns
Globale Klimakrise
Auf seine künstlerische Art ist Banksy immer schon ein Visionär. Er thematisierte in seinen Wandarbeiten häufig die politischen Probleme der Zukunft, wie hier die Klimaerwärmung. Diese gesprayte Botschaft, die allerdings nicht eindeutig Banksy zugeordnet werden konnte, schuf er 2009 in London - lange bevor US-Präsident Trump diesen Satz in vollem Ernst verkündete.
Bild: picture-alliance/empics/Zak Hussein
Medienkritik
Auch die Verrohung der Medienwelt, die sich sensationsgierig auf Opfer von Kriegen und Terroranschlägen stürzen, prangert Banksy an. Diese Arbeit war 2018 in einer Londoner Galerie ausgestellt und nicht an eine Hauswand gesprayt. Auch sein Gemälde "Devolved Parliament" ist gerahmt und wurde für die Auktion bei Sotheby's auf einen Schätzwert von 1,8 bis 2 Millionen Euro taxiert.