1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Es wird wieder passieren"

Jonathan Crane Übersetzung: Joscha Weber
20. Juni 2020

Inmitten der globalen #BlackLivesMatter-Bewegung zeigt der Fußball sein hässliches Gesicht: In der tschechischen Liga wird der Franzose Jean-David Beauguel rassistisch beleidigt - doch der setzt sich zur Wehr.

Tschechien | Fußball | Rassismus | Jean-David Beauguel
Bild: imago images/CTK Photo

An das erste Mal erinnert sich Jean-David Beauguel noch genau. Es war vor sechs Jahren, unmittelbar nach seiner Ankunft in Tschechien. "Es war während meiner ersten Saison hier in der Liga und es waren Fans von Sparta Prag", berichtet Beauguel der DW von den ersten rassistischen Schmähungen, die er in der tschechischen Liga ertragen musste. "Damals war ich noch jung und habe nicht verstanden, was gerade passiert war. Ich habe es wirklich kaum wahrgenommen. Und es hat auch sonst niemand darauf reagiert war, weil es für die Spieler hier nichts Neues war."

Rassismus im tschechischen Fußball "ganz normal"

Seit diesem ersten Vorfall habe sich kaum etwas geändert. Rassismus gegen Schwarze Spieler sei im tschechischen Fußball "ganz normal". So auch am vergangenen Sonntag: Jean-David Beauguel reiste mit seiner Mannschaft von Viktoria Pilsen zu Sigma Olmütz. Sportlich eine klare Sache: Pilsen steht auf Rang zwei der Tabelle, Olmütz rangiert im hinteren Mittelfeld. Die Partie endete folgerichtig mit einem Auswärtssieg für Pilsen. Doch anders als das Ergebnis machte ein Vorfall des Spiels Schlagzeilen: Beauguel wurde mit Affenlauten beleidigt. Der Stürmer von Viktoria kämpfte gerade nahe der Eckfahne um den Ball, als die Rufe deutlich hörbar in seine Richtung gingen. Beauguel reagierte mit Gesten in Richtung der Heim-Fans, sprach mit Mitspielern. Eine Reaktion des Schiedsrichters? Fehlanzeige.


Das dreistufige Protokoll der UEFA zum Umgang der Unparteiischen mit rassistischen Beleidigungen fand keine Anwendung, das Spiel lief weiter, als sei nichts geschehen. "Ich habe sie 'uh, uh, uh' rufen hören, wie ein Affe. Ich wurde wütend und habe darauf reagiert. Ich bin zum Schiedsrichter und habe ihn gefragt, warum er nicht reagiert. Er sagte mir, dass wir abwarten müssen. Das war verrückt", beschreibt Beauguel die Situation auf dem Rasen. Dem 28-jährigen Franzosen riss der Geduldsfaden. Auf Twitter postete er ein Video des Szene und machte seinen Frust deutlich. Er kritisierte, dass niemand reagierte und forderte die tschechische Liga zu einer Reaktion auf. "Genug ist genug. Ich habe mich gefühlt wie ein Vulkan. Ich habe all das lange in mir getragen und dann kam der Moment, in dem alles explodierte. Ich konnte meine Emotionen nicht länger zurückhalten, ich musste etwas tun."

Die Opfer müssen sich rechtfertigen

Dass überhaupt Fans bei der Partie zwischen Olmütz und Pilsen im Stadion waren, ist einem tschechischen Sonderweg geschuldet. Während die meisten Ligen nach dem Corona-Lockdown ohne Publikum spielen lassen, ließ man in Tschechien 500 Zuschauer zu. Für die nächsten Spieltage soll die Zahl auf maximal 2500 Personen ansteigen.

Der Fall Beauguel ist bezeichnend für den Umgang des Fußballs mit dem Rassismus. All zu oft mussten in den vergangen Jahren die Opfer der Diskriminierung erst drastisch und laut reagieren, damit eine Debatte in Gang kommt. Kevin-Prince Boateng oder Mario Balotelli sind nur die prominentesten Beispiele. Und nicht selten drehte sich die Diskussion dann um das Verhalten der Opfer, zum Beispiel, ob das Verlassen des Platzes bei einzelnen rassistischen Rufen von den Tribünen denn angemessen sei. Jean-David Beauguel hat da inzwischen eine klare Meinung: "Ich weiß, dass es wieder passieren wird. Wenn es passiert, werde ich vom Spielfeld gehen. Und dann wird es mich auch nicht mehr interessieren, ob wir dadurch gewinnen oder verlieren", macht der Angreifer klar. "Wenn meine Teamkollegen mir folgen, wird mich das freuen. Wenn nicht, kann ich auch damit umgehen. Sie sie sind alle erwachsen und treffen ihre eigenen Entscheidungen."

Sigma Olmütz ist nicht zum ersten Mal auffällig

Nachdem der Vorfall durch Beauguel publik gemacht wurde, bekam er via Twitter Rückendeckung von seinem Verein. Auch Sigma Olmütz reagierte schnell und entschuldigte sich in einem Statement bei ihm und Viktoria Pilsen. Der Verein sei "strikt gegen diese Art von rassistischem Verhalten, das eine kleine Gruppe von Fans gezeigt hat". So etwas gehöre nicht zum Fußball. Vier Tage nach der Partie wurde Sigma Olmütz vom Verband zu einer Geldstrafe verdonnert, allerdings von überschaubarerer Größe: 4500 Euro muss der Verein aus der Region Mähren für "das rassistische Verhalten" seiner Fans zahlen. Die Klubsprecherin Alice Zbrankova teilte mit, dass man noch immer versuche, die Identität der Rufer ausfindig zu machen.

Wirklich neu sind solche Fälle bei Sigma Olmütz nicht. 2017 ermittelte sogar die Polizei, weil Olmütz-Fans einen eigenen Spieler rassistisch beleidigten. Bei einer Zweitligapartie in Pardubice wurde der Kongolese mit "Neger raus" beschimpft. Eine Sanktion blieb aus. Ein Jahr später kam es zu einem Vorfall in einer Straßenbahn. Olmütz-Fans sollen während der Fahrt zu einem Auswärtsspiel in Prag einen Schwarzen beleidigt und attackiert haben. Der Mann musste im Krankenhaus behandelt werden. Auch hier: Keine Strafen für die Fans. Erst der jüngste Fall wurde in Tschechien zu einem größeren Thema.

Mehr Rassismus als Reaktion auf #BlackLivesMatter?

#BlackLivesMatter-Proteste: Auch in Prag gehen Menschen gegen Rassismus auf die StraßeBild: picture-alliance/dpa/CTK/M. Kamaryt

Höchste Zeit, findet Pawel Klymenko vom Fan-Netzwerk Fare, das sich gegen Diskriminierung im Fußball einsetzt. Er beobachtet, dass die aktuell populäre Black-Lives-Matter-Bewegung zu einer Mobilisierung rechtsextremer Gruppen in Europa geführt hat - und an deren Spitze stehen nicht selten Fußballfans. Dieses Phänomen lasse sich insbesondere in Ländern beobachten, die keine lange Geschichte des Multikulturalismus besitzen. "In diesen Gruppen kursieren verfälschte Nachrichten, die Verschwörungstheorien zur vermeintlichen Bedrohung Weißer nähren", glaubt Klymenko. "Ich sehe eine große Gefahr, dass wir in den kommenden Monaten eine massive Welle an Reaktionen rechtsextremer Gruppierungen sehen werden, die ihren Rassismus offener zeigen als bisher."

Derweil gibt man sich im tschechischen Fußball alle Mühe, den Vorfall von Olmütz als Einzelfall abzutun. Die Tschechische Fußballliga LFA, die für die erste und zweite Liga zuständig ist, reagierte mit einer kurzen Mitteilung, in der sie die rassistischen Vorfälle als "singulären Vorfall von wenigen Individuen" abtat. Dabei hätte die Disziplinarkommission der LFA durchaus die Macht, schärfer zu reagieren, zum Beispiel mit Stadionverboten oder sogar mit Punktabzügen. LFA-Sprecher Stepan Hanus versicherte gegenüber der DW, dass man den Fall "sehr ernst" nehme, fügte aber an: "Wir haben nicht so viele Beispiele für solches Verhalten in tschechischen Stadien wie in Westeuropa."

Es fehlt an Widerspruch

Bei Fare stößt diese Aussage auf Kritik: Pawel Klymenko kritisiert die Attitüde, das Problem kleinzureden, auf andere zu verweisen und "von wenigen schwarzen Schafen" zu sprechen. So lasse sich kein Wandel erzielen. Klymenko fordert ein härteres Vorgehen der Ligen und Verbände gegen Rassismus. "In Mittel- und Osteuropa sind rechtsextreme Gruppen im Fußball sichtbarer, weil sie weniger kritisiert werden. Die Verbände und auch die Regierungen tun nicht genug gegen sie. Und ohne zuzugeben, dass es ein systemisches Problem gibt, werden sich solche Vorfälle immer wiederholen.

Das weiß auch Jean-David Beauguel. Doch er hofft, dass sein Fall etwas ändern wird. "Die Dinge werden sich nicht so einfach ändern. Es ist ein harter Kampf, der lange dauern wird. Aber ich wünsche mir, dass es fremde Spieler hier irgendwann leichter haben werden, egal ob sie Muslime sind, aus Asien kommen oder Schwarz sind.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen